Marathonsitzung in Ottweiler Warum in einem Fall das Los entschieden hat

Ottweiler · Der Stadtrat Ottweiler brauchte am Dienstag 3 Stunden und 45 Minuten, um Regularien für die neue Legislaturperiode zu erledigen.

 Bürgermeister Holger Schäfer (rechts) und der neue Ottweiler Stadtrat.

Bürgermeister Holger Schäfer (rechts) und der neue Ottweiler Stadtrat.

Foto: Andreas Engel/Engel

„Demokratie muss man lernen“ – der Zwischenruf aus dem Publikum galt einer ungültigen Stimme bei der geheimen Wahl zum Hauptausschuss des Ottweiler Stadtrates. Diese ungültige Stimme sorgte dafür, dass ein Sitz in dem Ausschuss per Los vergeben wurde und an die AfD ging. Demokratie braucht gutes Sitzvermögen – diese Erkenntnis dürften auch die neuen Mitglieder des Gremiums bei der konstituierenden Sitzung am Dienstagabend bekommen haben. Um 18 Uhr standen die alten und die neuen Mitglieder fürs Gruppenfoto vor dem Schlosstheater. Um 21.45 Uhr hatten sie die Tagesordnung, die sich zum Auftakt der neuen Legislaturperiode mit den notwendigen Regularien befasste, abgearbeitet. Im Wesentlichen heißt das: Bürgermeister Holger Schäfer (CDU) verpflichtete die 32 Mitglieder im Saal (Jörg Budke, FWG, war verhindert), der Rat wählte mit Hans Peter Jochum, Johannes Schmitt und Markus Schley (alle CDU) drei ehrenamtliche Beigeordnete, und er bestimmte und besetzte die vier Stadtratsausschüsse. Damit ist der Rat jetzt arbeitsfähig.

Am Anfang der Sitzung stand neben der Verpflichtung der neuen Räte die Verabschiedung ausgeschiedener Mitglieder. Bürgermeister Schäfer dankte den 15 Frauen und Männer für ihr Engagement. Darunter Bürger, die ein oder sogar zwei Jahrzehnte an Bord waren. Überstrahlt hat sie allerdings alle Friedel Budke (FWG). Er hat dem Stadtrat 36 Jahre angehört. Mit knappen Worten verabschiedete sich Budke, schrieb den neuen Räten ins Stammbuch, sie sollten die freiheitliche Grundordnung hüten wie ihren Augapfel, und schloss trocken: „Tschüs dann.“

Die Fraktionen brauchten deutlich länger, um in ihren Auftakt-Statements darzulegen, wie sie sich die künftige Ratsarbeit vorstellen. CDU-Sprecher Christian Batz stellte die veränderte Situation im Rat dar. Obwohl die Christdemokraten in der Summe ein Stimmenplus erhalten hätten, sei die absolute Mehrheit durch die hohe Wahlbeteiligung verloren gegangen. Dennoch sei man stärkste Kraft. Batz: „Wir müssen für unsere Ideen Unterstützung suchen.“ Die Fraktion habe sich dabei gegen eine förmliche Koalition entschieden. Schuldenbremse, Klimaschutz und Nachhaltigkeit, Großprojekte und ein „esonderes Augenmerk“ für die Belange der Feuerwehr benannte Batz als Eckpfeiler für die Legislaturperiode. SPD-Sprecher Wolfgang Brück erinnerte daran, seine Fraktion habe vor fünf Jahren ein Angebot der CDU zur Zusammenarbeit auf Basis einer Beigeordneten-Stelle abgelehnt. Die SPD wollte unabhängige Opposition bleiben. Mit einem Seitenhieb auf Schäfer sagte Brück: „Ich weiß, dass der Bürgermeister der Ansicht ist, es gäbe im Stadtrat keine Opposition, aber die SPD sah und sieht das anders.“ Der Fraktionschef erinnerte auch an die drei Großbaustellen in der Stadt: Fußgängerbrücke am Bahnhof, Sanierung Bahnhofsgebäude sowie der Hallen im Alten Weiher. Diese Projekte seien immer noch nicht fertig und wesentlich teurer als geplant. Die Stadt brauche deshalb „seriöse Planungen und kompetente Umsetzungen“. Die SPD setze für die kommenden Jahre auf eine „soziale Stadt“. An der Ratsarbeit wolle sie konstruktiv mitwirken.

Konstruktive Zusammenarbeit boten auch Grüne, Linke und AfD an. Grünen-Sprecher Hennig Burger zeigte sich selbstkritisch. Man habe mit einem dritten Mandat im Rat gerechnet. Er müsse reflektieren, ob auch seine Person dies verhindert habe. Er erinnerte an die hohen Verbindlichkeiten, den demografischen Wandel (Burger: „demografische Revolution“) und die Energiewende, für die in Ottweiler schon viel getan worden sei. Ralf Georgi (Linke) griff in seiner Rede insbesondere die 100 bedrohten Arbeitsplätze bei der Ottweiler Gießerei Werle auf und will mehr für die Mobilität der Menschen getan sehen. Ingrid Behr (AfD) sprach unter anderem von Sicherheit, öffentlichem Personenverkehr, Seniorenbelangen sowie Tier- und Naturschutz. Munter hoffte sie auf gute Zusammenarbeit.

Nach der geheimen Wahl der drei Beigeordneten hatte der Rat die Chance, durch eine gemeinsame Haltung geheime Wahlen der Ausschüsse zu vermeiden. Doch das „Einvernehmen“ stellten die Mitglieder nicht her. Die CDU wollte zunächst bei elf Mitgliedern in Hauptausschuss, Bau- und Umweltausschuss und Ausschuss für Bildung und Soziales bleiben. Der Rechnungsprüfungsausschuss sollte wie zuvor fünf Mitglieder haben. Die SPD plädierte für ein Erweitern auf 13 Mitglieder (außer der unstrittigen Rechnungsprüfung), damit jeweils ein Sitz für eine der drei kleinen Fraktionen möglich werde. Grünen-Sprecher Burger fragte, warum in 13er-Ausschüssen nicht je ein Platz für die drei kleinen Fraktionen denkbar wäre, die immerhin ein Viertel der Wählerstimmen bekommen hätten. Diesen Ansatz verfolgte der Rat nicht weiter. Es kam zur Einigung auf 13er-Ausschüsse und geheimer Wahl. Jedes Ratsmitglied musste also für jeden Ausschuss in die Wahlkabine. Beim ersten Wahlgang (Hauptausschuss) dann die Panne: Eine der 32 Stimmen war ungültig. Nach dem Höchstzahlverfahren nach d‘Hondt bedeutete dies sieben Mandate für die CDU, nur vier für die SPD und eines musste per Los zwischen Sozialdemokraten, Grünen und AfD (die Linke hatte auf einen Wahlvorschlag verzichtet) bestimmt werden. Holger Hermann, Personalratsvorsitzender im Rathaus, zog das Los – und bescherte der AfD den Platz. Danach ging es besser. Keine ungültige Stimme mehr. Der Bauausschuss hat damit sieben CDU-Vertreter, fünf von der SPD und einen Linken (die Grünen verzichteten). Der Bildungsausschuss hat neben den beiden großen Fraktionen noch ein Mitglied der Grünen (die Linke verzichtete in diesem Wahlgang auf einen Wahlvorschlag).

In den Aufsichtsrat der Wasserversorgung Ostsaar (WVO) wählte der Stadtrat Alexander Weiß (SPD). Er setzte sich gegen Christian Batz (CDU) durch. Zuletzt besetzte das Gremium noch den Beirat für Belange von Menschen mit Behinderung. Vor fünf Jahren hatte die Konstituierung schon drei Stunden gebraucht. Diesen Zeitrahmen hat der neue Rat locker überboten. Nicht nur die wenigen Zuhörer der öffentlichen Sitzung dürften froh gewesen sein, gegen 22 Uhr das Ottweiler Schlosstheater endlich verlassen zu haben.

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