So kommt ein Ottweiler Ehepaar nach Neuseeland Die Tasche des Edmund Fickeis

Ottweiler · Nach über 70 Jahren erhält eine Ottweiler Familie Nachricht aus Neuseeland. Dort wartet auf sie ein Erinnerungsstück.

 Die Tasche, eine Taschenlampe und Nähzeug.

Die Tasche, eine Taschenlampe und Nähzeug.

Foto: Eleni Witehira

„Ich habe ihn!“ Diesen Satz wird Axel Fickeis wohl so schnell nicht wieder vergessen. Es war eines von diesen Telefonaten, bei denen sich nach zwei drei Sätzen die Frage stellt: Auflegen oder weiter zuhören? Denn eine ihm unbekannte Frau meldete sich aus Bayreuth. Ihre Einstiegsfrage: „Hieß Ihr Vater Edmund?“ Dann nannte sie die Namen von den Schwestern des Vaters. Axel Fickeis bejahte beides. Was wollte die Person am anderen Ende der Telefonleitung? Der erste Gedanke bei vielen Menschen dürfte sein: Ist das womöglich eine Trickbetrügerin, die sich mit ein paar Daten aus der Familiengeschichte Geld ergaunern will? Fickeis legte nicht auf. Er war zu verdutzt. Denn nach dem zweiten Ja kam jenes „Ich habe ihn!“ und ein lauter Jubelschrei.

Zwei Tage später, Anfang Juni, saßen die fremde Frau und ihr Lebensgefährte, Wiebke Finkler und Llyod Spencer Davis, bei der Familie Fickeis in Ottweiler am Tisch. Und erzählten die ganze Geschichte, die fürs erste Telefonat zu lange gewesen wäre. Eine alte Ledertasche, die Axel Fickeis’ längst verstorbener Vater Edmund als Soldat im Zweiten Weltkrieg bei sich trug, lag demnach seit über 70 Jahren in Neuseeland bei einer Maori-Familie mit Namen Chissell. Und diese Familie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Tasche und Unterlagen, die sich darin befinden, wieder dorthin zurückzubringen, wo sie hingehören. Das war in den Zeiten vor den sozialen Medien eine deutlich schwierigere Aufgabe als heute. Dazu kommt, dass die Post in der alten deutschen Schrift Sütterlin geschrieben war und der Name des Soldaten für die Menschen vom anderen Ende der Welt wohl nicht eindeutig zu entziffern war. Über Facebook gerieten die Maori schließlich an Wiebke Finkler, eine Deutsche, die seit 19 Jahren in Neuseeland lebt. Die wiederum wusste den Namen richtig zu lesen und kam schließlich über das Einwohnermeldeamt in Neunkirchen an die Ottweiler Familie heran.

„Es ist wie ein Märchen“, sagt Axel Fickeis, nachdem er sich entschlossen hat, der SZ von der Sache zu erzählen. Neben seiner Frau ist auch sein Bruder Rolf mit am Tisch. Es ist für ihn immer noch beinahe unbegreiflich, auch wenn er mit Finkler und der Maori-Familie mittlerweile eine rege Korrespondenz über das Internet führt. „Ich war am Anfang schon irritiert“, sagt er, „unser Vater war nie in Neuseeland“. Er konnte nicht verstehen, wie diese Tasche mit den wenigen Habseligkeiten aus der Soldatenzeit ans andere Ende der Welt in die Stadt Dunedin gekommen war. Jetzt plant er mit seiner Frau eine Reise dorthin – in ein Land, das er immer gerne mal sehen wollte – um das Erinnerungsstück abzuholen. Denn das soll dem Ehepaar von offizieller Seite überreicht werden. Vermittlerin Finkler, von Hause aus Meeresbiologin und Dokumentarfilmerin, würde darüber gerne einen Filmbeitrag drehen –  wenn sie dafür Sponsoren findet.

In der Weltkriegstasche befinden sich Briefe, Fotos, etwas technisches Gerät. Erinnerungen, die den Bewahrern dieses Erbes offensichtlich sehr wichtig waren und sind, die unbedingt wieder dorthin sollten, wo sie hingehörten. Die Maori- und die Ottweiler Familie haben sich mit tatsächlich wundersam langer Verzögerung gefunden – aber wie waren die beiden Soldaten damals aufeinandergestoßen? Nach allem, was bekannt ist 1941 an der ägyptisch-libyschen Grenze? Ein Maori in Diensten der Briten und der deutsche Wehrmachtssoldat? Dies ist ein Punkt in der Geschichte, der sich nicht mehr klären wird. Walter Chissell war damals davon ausgegangen, das Erbe eines sterbenden Soldaten mitzunehmen. Doch dem war nicht so. Während Edmund Fickeis letztlich wohlbehalten aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause gekommen war, hatte Chissell weniger Glück. Wie die Ottweiler Familie erfahren hat, war er nach den Kriegstagen stark traumatisiert, lebte zurückgezogen. Nur wenn es um die Tasche des Deutschen ging, wurde er lebhaft. Der Neuseeländer war verwundet in die Heimat zurückgebracht worden, eine Möglichkeit, selbst die Tasche nach Deutschland zu bringen, habe er nicht gehabt. Er starb Jahre später und nahm seinen Kindern das Versprechen ab, sich weiter um die Sache zu kümmern. Seine Tochter Shirley Witehira und ihre Schwägerin Eleni Witehira hielten sich daran. Aber es war Elenis Tochter Xzenia, die Facebook ins Spiel brachte und somit den Durchbruch schaffte. Finkler sah den Facebook-Aufruf Ende April, als sie gerade mit ihrer Doktorarbeit fertig war. Sie hatte den Witehiras ein paar Tipps gegeben und erklärt, sie fliege in Kürze nach Deutschland. Sie musste es schneller tun als geplant. Ihr Vater war krebskrank, die letzte Unterhaltung, schreibt sie in einer E-Mail aus Neuseeland, habe sich um Edmund Fickeis gedreht. Und so, erläutert sie, hat die alte Tasche auch für sie Bedeutung erhalten. Ihre Großväter hätten beide im Zweiten Weltkrieg gekämpft, das Thema Menschlichkeit verbinde sie auch mit eben diesem alten Fundstück. Der Film, den sie gerne machen würde, handele mithin von den kleinen privaten Geschichten von Familien in Deutschland und Neuseeland, aber auch von den großen Themen.

In E-Mails schreibt Eleni Witehira in überschwänglichen Worten, wie froh ihre ganze Familie sei, dass jetzt endlich die Nachfahren von Edmund gefunden sind. Sie erzählt, jener deutsche Soldat sei für sie über die Jahre ein Familienmitglied geworden. Es sei ein Wunder geschehen, von dem sie so lange geträumt hätten. Das Bild des deutschen Soldaten habe sie immer mal wieder in Händen gehalten, sie habe zu ihm gesprochen. Dass der Kontakt jetzt zustande gekommen sei, schreibt sie in ihrer E-Mail auch dem Zutun der Großväter zu, die eine Hand über allem hätten. Es habe in all den Jahren mehrfach Angebote von dritter Seite gegeben, die Tasche zu kaufen. Aber das kam für die Chissells und Witehiras nicht in Frage. Es sei für sie eine Frage der Ehre und des Respektes gewesen, die Dinge nur der Familie von Edmund Fickeis auszuhändigen.

Edmund Fickeis dürfte manch älterem Neunkircher bekannt sein. Nach dem Zweiten Weltkrieg und sechs Jahren Gefangenschaft unterrichtete er als Grundschullehrer in der damaligen Schlossschule und der Falkenschule in Neunkirchen. Seinen Söhnen hat er von den Kriegsjahren nicht viel erzählt, die Tasche war nie Thema. Auch die beiden Söhne rätseln, ob sich Walter Chissell und Edmund Fickeis tatsächlich begegnet sind? Wahrscheinlicher scheint, dass es sich um eine Verwechslung handelt, die den Maori so eng an die Tasche band. Sie muss offenbar bei dem sterbenden Soldaten gelegen haben, dessen Schicksal den Maori so sehr rührte.

 Bilder aus der Tasche, oben Edmund Fickeis.

Bilder aus der Tasche, oben Edmund Fickeis.

Foto: Eleni Witehira
 Wiebke Finkler (links) und Eleni Witehira mit der Tasche.

Wiebke Finkler (links) und Eleni Witehira mit der Tasche.

Foto: Finkler
 In den letzten warmen Herbsttagen haben sie ihre Geschichte erzählt: Axel, Monika und Rolf Fickeis aus Ottweiler.

In den letzten warmen Herbsttagen haben sie ihre Geschichte erzählt: Axel, Monika und Rolf Fickeis aus Ottweiler.

Foto: Michael Beer

Wie auch immer – in Neuseeland steht bald eine Begegnung an. Monika und Axel Fickeis, 65 und 68 Jahre alt, sind schon etwas aufgeregt, sich auf den weiten Weg auf die andere Seite der Welt aufzumachen. Sie werden nach Christchurch auf der Südinsel Neuseelands fliegen und von dort weiter nach Dunedin reisen. Es mag in gewisser Weise ein sonderbares Aufeinandertreffen werden, wenn sich die Saarländer und die neuseeländischen Maori dort treffen – vielleicht mit Wiebke Finkler hinter der Kamera. Fremde, die sich gefunden haben. Dank der Tasche von Edmund Fickeis.

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