Ausstellung Ottweiler Wie man gegen Alzheimer (ein wenig) gewinnt

Ottweiler · Bilder aus der „Traumwelt“ des an Demenz erkrankten Künstlers und Werbegraphikers Carolus Horn zeigt die Marienhausklinik Ottweiler bis 31. März.

 Jörg Eberling (links) im Gespräch mit Beate Leonhard-Kaul, Sören Meng und Thomas Hans.

Jörg Eberling (links) im Gespräch mit Beate Leonhard-Kaul, Sören Meng und Thomas Hans.

Foto: Anja Kernig

„Alzheimer und Kunst, passt das zusammen?“ Mit dieser Eingangsfrage dürfte Referent Jörg Eberling vielen Skeptikern aus der Seele gesprochen haben. 40 Minuten später war klar: Diese heimtückische Krankheit, die dem Patient jeden Tag ein Stück seiner Persönlichkeit unwiederbringlich raubt, lässt sehr wohl künstlerisches Arbeiten zu und verliert durch dieses sogar ein Stück weit ihren Schrecken. Bewiesen hat dies das Ehepaar Horn: Carolus, begnadeter Werbetexter und Zeichner, der Nachkriegsdeutschland solch eingängige Slogans wie „Es gibt viel zu tun. Packen wir‘s an“ oder „Nur fliegen ist schöner“ schenkte, und seine Ehefrau Tilde. Die Plakate und Illustrationen des Wiesbadeners Künstlers kannte in den 1960/70er Jahren jedes Kind. Im Alter von 60 Jahren erkrankte Horn an Alzheimer und starb mit 71. Wie sich die Krankheit in seine Werke einschlich und sie schließlich dominierte, dokumentiert die vom lokalen Netzwerk Demenz nach 2004 jetzt erneut in den Landkreis geholte Wanderausstellung des Pharmakonzerns Novartis eindrucksvoll. Gastgeberin Beate Leonhard-Kaul hofft, dass sie „eine größere Sensibilität für das Thema Demenz und Alzheimer wecken kann“. Laut der Oberin der Marienhausklinik Ottweiler sei es wichtig, „ein Verständnis dafür zu entwickeln“, um „erspüren zu können, was in dem erkrankten Menschen vor sich geht“.

Mit seinem lebhaften, profunden Vortrag trug Jörg Eberling in jedem Fall dazu bei: „Carolus Horn war ein Gigant unter den Grafikern“, schilderte der Kurator. Dreidimensionalität, Glas und Glanzflächen gehörten zu Horns Stärken, wie die von ihm gestaltete Werbeanzeige für den Opel Kapitän verdeutlicht. Auch das Spiel mit Hell und Dunkel sowie feine Strichzeichnungen zur Akzentuierung beherrschte er aus Effeff. Noch 1980 hat Horn perfekt gezeichnet – obwohl er zu diesem Zeitpunkt schon erkrankt gewesen sein musste. Nur wenige Monate später finden sich erste Anzeichen in seinen Bildern wieder: Mit Einsetzen der Depression, typischerweise ein Frühsymptom der Demenz, verschwand alle Farbe aus seinen Bildern. Nach der Diagnose „Alzheimer“ kamen sie zwar zurück - vor allem Rot-, Orange- und Gelbtöne, wie sie auch Kinder lieben – dafür stimmten Perspektive, Raumempfinden und Proportionen immer weniger. Gesichter und Formen wurden flacher, holzschnittartiger.

Was fast bis zuletzt blieb: Die roten Fensterrahmen der hessischen Backsteinhäuser, in denen der Künstler aufgewachsen war. „Demenz zerstört das Gedächtnis von hinten nach vorne. Die Patienten kommen irgendwann wieder in ihrer Kindheit an“, so Eberling. Diese Zeitreise vollzieht sich auch in Horns Werken. Gemalt hat er noch bis wenige Tage vor seinem Tod im Jahre 1992. „Dass dies möglich war, hatte er vor allem seiner Frau zu verdanken“, erklärte Kurator Eberling. Sie motivierte ihn immer wieder und zeichnete am Schluss sogar Formen vor, die er nur noch ausmalen musste. Damit tat Tilde Horn das genau Richtige. Statt ihren Mann aufzugeben, förderte sie ihn. „Während seiner Krankheit hat ihm seine Kunst das traurige Dahinvegetieren erspart und mir die Pflege ungemein erleichtert“, bilanzierte sie später.

„Denken Sie sich in die Traumwelt des Demenzpatienten hinein, gehen Sie mit“, empfahl Eberling Angehörigen und Pflegenden. Es ist kontraproduktiv, die Fehler zu suchen: „Freuen Sie sich lieber über alles, was noch klappt. Da geht noch unendlich viel.“ Horn beispielsweise hat seine Gäste mit heißem Wasser bewirtet und dazu einen halben Kohlkopf serviert. Im Grunde alles richtig, bis auf den vergessenen Teebeutel und den einen falschen Griff im Kühlschrank.

„Sie haben ein wenig den Schock genommen“, bedankte sich Landrat Sören Meng im Anschluss, „und Mut gemacht, anders, offener mit der Krankheit umzugehen.“

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