Viele Geflüchtete auf Tafel angewiesen Großer Zulauf bei der Neunkircher Tafel

Neunkirchen · Die Tafel hilft immer mehr ukrainischen Geflüchteten, die wochenlang auf behördliche Hilfen warten müssen. Nebenbei retten sie tonnenweise Lebensmittel.

Hochbetrieb bei der Neunkircher Tafel
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Hochbetrieb bei der Neunkircher Tafel

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Foto: Jakob Hartung

„Nicht schon wieder Lachs“, sagt Thomas Mörsdorf. Der Leiter der Neunkircher Tafel blickt auf die prall gefüllten Lebensmittel-Kisten. Wenn es gut läuft, dann sollte am Ende alles an die Menschen verteilt sein, die schon in einer langen Schlange vor der Ausgabe stehen. Neben frischem Gemüse und Obst gibt es auch Kaffeeteilchen, Freilandeier, vegane Müllermilch, Mozzarella Bufala und eben massenweise Lachs.

Die großen Lebensmittelgeschäfte haben vor Ostern viel Fisch ins Sortiment aufgenommen, jedoch längst nicht alles verkauft. Der Lachs wird danach als nicht mehr verkaufsfähig aussortiert und kommt in die Tonne – wäre da nicht das Team der Tafel. „Wir sind professionalisierte Lebensmittelretter“, sagt Mörsdorf. Fünfmal die Woche fährt die Tafel mit zwei Bussen durch den Landkreis und klappert Supermärkte und Logistikzentren ab.

Kriegsflüchtlinge brauchen Hilfe

Der Aufwand ist aktuell nötiger denn je, denn die Tafel kann sich vor Neuanmeldungen kaum retten. Rund 80 Haushalte sind in den letzten Wochen dazu gekommen, die meisten davon sind ukrainische Geflüchtete. Eine davon ist Victoria, die zusammen mit ihrem kleinen Sohn Lebensmittel holt. Sie kommt aus der ostukrainischen Metropole Charkiw und wohnt seit Mitte März in Neunkirchen. Seit über einem Monat wartet sie darauf, dass der Landkreis ihre Papiere bearbeitet und Unterstützung auszahlt. Für die Wartezeit hätte sie 250 Euro bekommen, doch das hätte kaum gereicht. Deshalb ist sie jetzt schon zum zweiten Mal bei der Tafel.

„Ich bemängele den Landkreis“, sagt Mörsdorf deshalb. Die Tafel sei aktuell in einer schwierigen Lage, weil die Anträge der Geflüchteten vier bis sechs Wochen brauchen würden. „Die arbeiten in einer Bürokratie-Blase, das ist ein unhaltbarer Zustand“, sagt Mörsdorf. Um den Menschen helfen zu können, hat die Tafel ihre Anmelderegeln gelockert und hilft Ukrainern sofort. Ein Aufnahmestopp, wie bei der Tafel in Saarbrücken, soll es in Neunkirchen nicht geben. „Wir haben 2015 keinen Aufnahmestopp gemacht und wollen das auch dieses Jahr verhindern“, sagt er.

Durch die vielen neuen Kunden herrscht leichtes Chaos im sonst ausgeklügelten Tafel-Betrieb. Elke Caesar arbeitet am Einlass und muss immer wieder erklären, wie die Reihenfolge funktioniert. Außerdem wissen viele noch nicht, dass die Tafel pauschal zwei Euro pro Person kassiert. Übersetzer-Apps und geduldiges Gestikulieren helfen dabei, kyrillische Pässe zu entziffern und Namenslisten anzulegen.

Arme Menschen aus allen Schichten

Es gibt zwar viele neue Kunden, doch die meisten Menschen kommen schon länger zur Neunkircher Tafel. „Das sind von Armut betroffene Menschen, die aus fast allen Schichten kommen“, sagt Mörsdorf. Der Sozialpädagoge kennt die häufigsten Armutsrisiken: „weiblich, Kinder, chronische Erkrankung und Migrationsgeschichte“.

So stehen an diesem Tag besonders viele Mütter mit Kindern vor der Tafel. Daneben wartet auch Karimi, der 2016 mit Frau und Kindern aus dem Iran nach Schiffweiler gekommen ist. Trotz seiner schweren Arthrose arbeitet er nebenbei in einem Restaurant, muss den größten Teil seines Gehalts jedoch ans Jobcenter abgeben. Karimis Frau kann aktuell auch nur in Teilzeit arbeiten. „Ich gehe gerne zur Tafel. Viele der Lebensmittel kann man noch essen und wir sparen monatlich bis zu 100 Euro“, sagt er.

Professionelle Lebensmittelretter

Insgesamt versorgt die Tafel wöchentlich rund 520 Haushalte. Dem Ansturm begegnen die Mitarbeitenden der Tafel mit erfahrener Gelassenheit. Bevor es losgeht, macht Herr Marrati allen einen Kaffee. Er ist in Frührente und kommt dreimal die Woche für vier bis sechs Stunden. „Ich bin schon seit zehn Jahren dabei, aber viele andere hier noch länger. Wir sind wie eine Familie“, sagt er. Die Tafel ist jedoch nicht nur auf Ehrenamtliche angewiesen, sondern bietet auch Arbeitsgelegenheiten über das Jobcenter an. Einige von ihnen seien früher selbst zur Tafel gekommen, erzählt Mörsdorf. „Hilflose werden zu Helfern“.

Die Tafel in Neunkirchen gibt es inzwischen schon über 20 Jahre. Das sei für ihn jedoch nichts zu feiern, meint Mörsdorf, der schon seit der Gründung dabei ist. Die Ursprungsidee sei gewesen, allen Kindern eine ausreichende und gesunde Ernährung zu ermöglichen. Bis heute hält Mörsdorf an diesem Grundsatz fest und nimmt deshalb keine Tiefkühlpizzen oder Cola an.

Erst in den letzten Jahren ist neben dem Mildern von Armut auch das Lebensmittelretten in den Vordergrund getreten. „Es gibt wahnsinnig viel Essen, das nicht mehr verkauft werden kann“, sagt er. Häufig ist am Ende der Woche noch gerettetes Essen übrig. Dann kommen Leute von einem lokalen Foodsharing-Netzwerk, die die Reste mitnehmen.

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