Wie Kinder mit Reimen Sprache lernen

Neunkirchen · Der Neunkircher Heinz Günnewig lehrt seit Jahrzehnten Luxemburger Lehrer, wie sie Kinder zur Mehrsprachigkeit erziehen. Er empfiehlt, fremde Sprachen über Reime zu vermitteln. Auch Flüchtlingen.

 Heinz Günnewig vermittelt Grammatik auch mit Comics und Gedichten. Foto: Rich Serra

Heinz Günnewig vermittelt Grammatik auch mit Comics und Gedichten. Foto: Rich Serra

Foto: Rich Serra

Die deutsche Sprache sei von einem Irren gemacht, so ähnlich hat es 1897 der amerikanische Dichter Mark Twain formuliert. Der Mehrsprachigkeits-Experte Heinz Günnewig (72) zitiert ihn, er kennt ähnliche Reaktionen auf die deutsche Grammatik. Seit seiner Zeit als Rektor an der stark mit ausländischen Kindern besetzten Bachschule in Neunkirchen sammelt er Praxis-Erfahrung und erforschte die Vermittlung des Deutschen. Der luxemburgische Staat - Ausländeranteil annähernd 50 Prozent - engagierte ihn in den 80er Jahren an der Pädagogischen Hochschule, seit 2003 lehrt Günnewig an der Luxemburger Universität (Lehrerweiterbildungsinstitut IFEN).

Dort hat Günnewig eine eigene Theorie entwickelt: Kinder würden am besten durch Reime lernen, sprich durch Poesie. Günnewig: "Kinder sind gleich in ihrer Welterfahrung, da gibt es zunächst keine Trennung in verschiedene Sprachen und Kulturen." Der Körper, sprich sinnliche Eindrücke, erleichterten den Spracherwerb, man brauche etwas Rhythmisches, Lustvolles - "Sumsumsum, Sprache ist Kulturgebrumm": "Es ist kein Sprachkurs, es ist ein Kulturerlebniskurs."

Günnewig, ein Bilderbuch-Fan, hat selbst 24 Gedichte geschrieben und zusammen mit einem Comic-Zeichner 24 Poster entwickelt, die in den luxemburgischen Klassen 1 und 2 zum Einsatz kommen. In den Gedichten versteckt sich der Grundwortschatz. Günnewig hat festgestellt, dass Abzählreime auf Deutsch wie auf Arabisch einen ähnlich bezwingenden Mitmach-Sog ausüben. "Es geht um Wohlklang und Rhythmus. Mit Bewegungen des ganzen Körpers prägt sich das Gesprochene ein." Zudem entfalle die Scheu, etwas falsch zu machen, denn das Ganze habe etwas Spielerisches. "So sickert die hoch komplizierte Grammatik angst- und zwanglos in den Körper."

Das ist keine revolutionär neue Erkenntnis, Günnewig weiß das: "Ja, es ist so naheliegend, aber niemand macht's", sagt der Neunkircher und verweist auf die bescheidenen Erfolge etwa der Flüchtlings-Sprachkurse. Just dieser Tage meldete das TV-Magazin "Fakt", dass jeder zweite Flüchtling die Deutsch-Kurse abbreche. Schaden: 150 Millionen Euro.

Luxemburg gilt allgemein als Vorzeige-Land in Sachen Mehrsprachigkeit. Wie romantisch verklärt dieses Bild einer angeblich mühelos dreisprachig kommunizierenden Gesellschaft ist, zeigt die harsche Angst-Debatte, die gerade über die vermeintliche Schwächung des Luxemburgischen geführt wird, weil die Regierung in Kindergärten Französisch implementieren will.

Günnewig fühlt sich durch Studien über die bescheidenen Erfolge von Flüchtlings-Sprachkursen bestätigt. Die Vermittlung folge dem klassischen Modell, das sich an Sprachsystematik und schriftsprachlicher Grammatik-Logik orientiere. "Formale Lernprozesse, die auf sprachliche Korrektheit zielen, sind der falsche Weg", meint Günnewig. Die aktuelle Integrationsdebatte hält er für den idealen Zeitpunkt, um umzusteuern. Aber kann man erwachsenen Flüchtlingen mit Abzählreimen kommen? Kaum. Man könne aber, so Günnewig, mit ihnen durch den Herbstwald laufen, und Eichendorff oder Goethe-Gedichte zitieren. Beim Laubdurchpflügen entfalte sich die Bedeutung des Wortes "rascheln" unmittelbar. Günnewig ist sicher: Die Fremden werden es nie mehr vergessen.

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