Helden der Kindheit Weit mehr als ziemlich beste Freunde

Furpach · Claus Utzig und Albert Simon sind unzertrennlich. Und zwar seit dem Jahr 1962, da waren die beiden zwölf Jahre alt. Wie es dazu kam, das allerdings hat einen tragischen Hintergrund.

 Tiefe Freundschaft verbindet seit 1962 Claus Utzig (rechts) und seinen Lebensretter Albert Simon.

Tiefe Freundschaft verbindet seit 1962 Claus Utzig (rechts) und seinen Lebensretter Albert Simon.

Foto: Jörg Jacobi

Die Geschichte, die Claus Utzig zu erzählen hat, ist  eine Geschichte, wie  geschrieben für einen Film

Sie beginnt im Sommer 1962. Claus Utzig ist zwölf Jahre alt. Gerade ist er mit seiner Familie wieder von Neunkirchen nach Furpach gezogen, dorthin, wo sie eigentlich auch herstammt. Utzig ist Fußballer. Spielt bei den Borussen. Auch sein Vater ist Fußballer. Der trainiert in der Lakai, direkt neben dem heutigen Prießnitzbad. Damals hieß das Bad noch Volkssonnengarten. Es war gut besucht, viele kamen nur hierher, um sich auf der Wiese zu sonnen. Utzig begleitet in diesem Sommer seinen Vater zum Training. Und schnell entdeckt er, dass vom Fußballplatz zum Volkssonnengarten hin ein Loch im Zaun ist. „Das war super“, lacht Utzig in Erinnerung daran, „da konnten wir für nix ins Bad.“ Das wird eifrig genutzt. Utzig ist Stammgast. Er genießt das Sonnenbaden. Mehr baden ist nicht. Denn Utzig ist Nichtschwimmer. Hat vor lauter Fußball oder warum auch immer das Schwimmenlernen irgendwie verpasst.

An besagtem Tag zum Ende des Sommers im Jahr 1962 spaziert Utzig durchs Bad, das hat ein kniehohes Becken und ein großes Becken. Dort tummeln sich die jungen Leute. Vermutlich haben die mittlerweile mitgekriegt, dass der Claus nicht schwimmen kann. Jedenfalls, so erinnert der sich viele Jahre später, sie necken ihn. Dann kommt, was kommen musste. „Ich weiß nicht mehr, warum ich das gemacht habe.“ Utzigs Miene ändert sich. Er ist zurück in der Vergangenheit, erinnert sich. Mit Anlauf ist er ins Schwimmerbecken gesprungen. „Ich bekam Panik. Meine Füße fanden keinen Boden, meine Hände keinen Beckenrand. Ich bin rauf und runter, konnte nicht oben bleiben. Habe nichts mehr richtig wahrgenommen.“ Gefühlte zehn Minuten geht das so. Dann spürt er Hände. Die ziehen ihn hoch, ziehen ihn raus aus dem Becken. „Ich habe das nur schemenhaft mitgekriegt, weiß nur, dass ich am Hals gezogen wurde.“ Die Hände gehören zu Albert Simon. Zwölf Jahre alt, begeistertet Schwimmer. Im Furpacher Weiher hat er das gelernt. Gemeinsam mit dem Schwimmmeister holt der Junge den Gleichaltrigen wieder zurück ins Hier und Jetzt. „Du hast aber sehr viel Glück gehabt“, sagt der Bademeister. Utzigs Vater wird gerufen, kommt den Jungen abholen. „Da war vielleicht was los zu Hause“, kann der im SZ-Gespräch über diese Erinnerung lachen. „Das war so einie idiotische Mutprobe“, weiß er heute.

Sein Leben ist durch diese Mutprobe entscheidend verändert worden. „Ich war seitdem nie mehr im Schwimmbad“, gesteht er. „Das tiefste Wasser, in das ich gehe, ist die Badewanne.“ Mit Hilfe vieler Entschuldigungen seiner Eltern hat er sich vorm Schwimmunterrricht in der damaligen Mittelschule gedrückt. „Da hatte ich mal Chlor-Allergie, mal war ich krank.“ Zu Bundeswehrzeiten beim Nato-Fallschirmjägerbatallion wurde während der Stationierung am Meer in Griechenland dann aus der Chlor- eine Salz-Allergie. „So habe ich das immer irgendwie geschafft.“ Seine Enkel empfehlen ihm heute Schwimmärmchen, lacht Utzig. Aber er ist sich sicher: Damals, da hat er einen Schock gekriegt, deshalb wird er nie mehr in ein Schwimmbad gehen.

Aber es gab noch eine zweite einschneidende Lebensveränderung. Nach der Rettungsaktion ist es für Albert nicht bei der Einladung zum Kaffee bei Utzigs Eltern geblieben. Albert, vier Wochen älter als Claus, begeisterter Fußballer wie er, allerdings beim SV Furpach, hat den „Neuen“ unter seine Fittiche genommen. „Der hat nie den Mollie raushängen lassen“, erinnert sich Utzig, „hat nie drauf rumgeritten oder wollte Dankbarkeit.“ Und auch im SZ-Gespräch winkt Simon ab: „Das war doch nix.“ Im Gegensatz zu Utzig kann er sich an die Rettungsaktion kaum noch erinnern. Fußballerisch sind sie dann gemeinsam weiter durchs Leben, haben beide in der Jugendauswahl unter Jupp Derwall gespielt. „Der Claus, der war ein toller Fußballer“, sagt Simon.  Und auch die Söhne haben später zusammengekickt. „Wir waren seit dem Sommer 1962 unzertrennlich“, sagt Utzig.

Ob sie sich auch ohne den Vorfall je kennen gelernt hätten? Trotz der gemeinsamen Liebe zum Fußball wohl kaum,  vermuten sie. Schließlich haben sie andere Schulen besucht, waren in unterschiedlichen Vereinen. „Aber durch den Vorfall im Schwimmbad hatten wir eine ganz besondere Bindung, sind schon anders miteinander umgegangen“, erinnert sich Utzig. Albert Simons Familie wird von der Heldentat erst durch die Zeitung erfahren. Utzigs Familie hingegen weiß davon. Schließlich ist der Albert Simon ein ganz wichtiger Mensch im Leben von Claus Utzig. „Er ist mein Held.“

Wer war der Held Ihrer Kindheit? Telefon (06821) 9046453, E-Mail: rednk@sz-sb.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort