Tag des offenen Reviers Der „Mutter des Waldes“ geht es schlecht

Neunkirchen · Reformen sind gefragter denn je für den Dauerpatienten Wald – das ist eine der Erkenntnisse, die die Besucher vom Tag des offenen Reviers im Kasbruchtal mit nach Hause nahmen.

 Diese Gatter schützen den Baum-Kindergarten vor Verbiss durch Rehe.

Diese Gatter schützen den Baum-Kindergarten vor Verbiss durch Rehe.

Foto: Anja Kernig

Früher. Das war noch was. Da konnte man bei Regen trockenen Hauptes unter einer Eiche stehen. Und heute? Wird man halt nass. „60“, „40“, „30“, das sind die Prozentzahlen, die Revierförster Thomas Brill immer wieder resigniert fallen lässt, den Blick hoch in die Baumkronen gerichtet. Über so viel oder besser so wenig Blattmasse im Vergleich zu ihren kerngesunden Artgenossen verfügen viele der großen Buchen und Eichen hier im Kasbruch. Gesund sind die wenigsten, dämmert dem Laien schon nach einer Viertelstunde Fußmarsch. Was Brill gar nicht leugnen will. Zumal manche Schäden unsichtbar unterm festen Schuhwerk der Besucher lauern. „Der Boden ist sauer wie Essig, eine tickende Uhr“. Zwar blasen die Fahrzeugauspuffe kein Blei mehr in die Luft, dafür aber Stickoxide in rauen Mengen. Zusammen mit den Stickstoffverbindungen, welche die mit Gülle überdüngten Wiesen und Felder ausgasen, ein Riesenstressfaktor für die Wälder.

Kein Wunder, dass am Tag des offenen Reviers keine rechte Freude aufkommen will. Dabei hat der Lieblingsort vieler Mitmenschen gerade erst durch Corona noch mal tüchtig an Renommee gewonnen. Dank der großen Flächen ist Platz für alle, ideal für Sport und aktive Erholung. Auch wer abschalten und mal auf andere Gedanken kommen will, sucht den Wald auf. Doch dem geht es teilweise längst selbst richtig dreckig. Nur gut, dass nach den prasseldürren, heißen Sommern der diesjährige so bescheiden ausfiel. Das viele Wasser hat die leeren Speicher etwas aufgefüllt. Den todkranken Kandidaten unter seinen hölzernen Schützlingen verschafft das eine Gnadenfrist von drei, vier Jahren, doziert Brill. Absterben werden diese Bäume trotzdem.

„Früher war Förster ein Traumjob“, sagt Brill. Heute sei er „hin und her gerissen“. Eigentlich müsste man weg von der traditionellen Forstwirtschaft, die auf Holznutzung zugeschnitten ist. Denn gebraucht wird der Wald für so viel mehr: zuvorderst für die Kohlendioxidbindung. Aber auch als Sauerstoffproduzent, als Staubfilter, zum Zurückhalten von Wasser und als Trinkwasserquelle. Womit noch kein Wort über Artenvielfalt verloren ist und wertvolle Biotope.

Trotzdem will jeder auf einem Holzstuhl sitzen, ärgert sich der Förster. „Wir müssen uns um 180 Grad drehen“ – Produzenten wie Konsumenten. Was nicht so einfach ist. Man denke nur an die Privatleute mit ihren Holzöfen. Die wären ohne Brennholz aufgeschmissen. Eingeschlagen wird heute nur noch ein Bruchteil früherer Mengen. Gut, aber zu spät, befürchtet Brill. Schon 2018/19 hätte man reagieren müssen. „Es ist eine Minute vor zwölf.“ Zu den größten Verlierern des Klimawandels zählen neben Fichten auch die Buchen. Hitze, Trockenheit und Sonneneinstrahlung schwächen die Bäume, aufgeplatzte Rinden sind das Einfallstor für Pilze und Schädlinge. „Fällt braunes Bohrmehl raus, dann stirbt der Baum.“

Als „Mutter des Waldes“ ist die Buche von Haus aus für die Verjüngung des Bestandes zuständig. Kommen doch ihre Sämlinge mit sehr wenig Licht aus. Gleichzeitig wachsen Buchen bis ins hohe Alter sehr gut und bilden dabei dichte Kronen, die kaum Sonnenstrahlen durchlassen. Leider schwächelt die „Mutter“ massiv. Anders als die tiefwurzelnde Eiche, die bei „Kopf“-Schäden ihre Krone einfach nach unten verlagert, kann sich eine Buchenkrone nicht erneuern. Der Anfang vom Ende. Was Brill aufgefallen ist: „Die Zerfallphase dauerte früher zehn bis 20 Jahre. Die überspringen wir jetzt.“ Doch nicht alles ist aus dem Gleichgewicht. So findet man in seinem Revier durchaus noch gesunde Standorte mit der typischen, gemischten Alters-Durchstufung und dichten Kronen. „Das sind die Flächen, die unter Naturschutz gestellt wurden.“ Dort überlässt man den Wald sich selbst – und der dankt es prompt. Ein Prinzip, das Schule machen sollte: „Weniger ist mehr.“ Was die Natur zu leisten im Stande ist, kann man zudem im Kernbereich des Kasbruchs beobachten. Die Fläche des zurück gebauten Freibads haben sich Birken und Kiefern zurück erobert. Ziemlich ratlos machen Brill dagegen die vielen Eichenkindergärten. Mehrfach zeigt er den Zuhörern ganze Teppiche aus Sprösslingen im Schatten. „Es hat noch nie Zeiten gegeben, wo die in so einem dunklen Loch hochgekommen sind.“ Gehören Eichen doch zu den Lichtbaumarten. Und vielleicht ist ja gerade das die hoffnungsvollste Botschaft dieses Nachmittags: „Man erlebt neue Überraschungen“, sinniert Brill. „Das ist manchmal ganz gut so.“

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