Zeitreise in das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte Bei dieser Stadtrundfahrt wird Geschichte des Dritten Reiches begreifbar

Neunkirchen · Auf den Spuren der Barbarei, aber auch des mutigen Widerstandes: antifaschistisch-historische Stadtrundfahrt durch Neunkirchen.

Die Teilnehmenden der Stadtrundfahrt an der Alex-Deutsch-Brücke in Wiebels­kirchen

Die Teilnehmenden der Stadtrundfahrt an der Alex-Deutsch-Brücke in Wiebels­kirchen

Foto: Forum/Gerhard Schaal

Das Forum für Freiheit, Demokratie und Antifaschismus in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule hat jetzt eine antifaschistisch-historische Stadtrundfahrt in Neunkirchen angeboten. Die Exkursion startete mit einer kurzen thematischen Einführung durch Brunhilde Jerrentrup im Innenhof des Rathauses, wie es in einer Pressemitteilung weiter heißt.

Die erste Station führte an die Pauluskirche. Gegenüber dem jetzigen Standort der Glocken der ehemaligen evangelischen Kirche, die dem Zugriff der Nazi-Behörden entgingen und nicht auf einem der „Glockenfriedhöfe“ für „kriegsverwertbares Material“ landeten, wie geschätzte 80 000 Kirchenglocken aus Deutschland und den besetzten Gebieten, befand sich das Jägermeisterhaus. Während der Nazi-Diktatur Sitz der Gestapo und der NSDAP-Kreisleitung, der Schaltzentrale für Verfolgung und Terror in der Region.

Im Verlauf der Rundfahrt wurde über eines der größten Zwangsarbeitssysteme in der Geschichte informiert, das vom faschistischen deutschen Staat installiert worden war. Der Einsatz von Zwangsarbeitern – unter anderem zur Produktion von Waffen für Hitlers Eroberungskriege – gehöre zur unrühmlichen Geschichte des Neunkircher Eisenwerkes, so das Forum. An das Leid der so ausgebeuteten Menschen erinnert das 1998 errichtete „Denkzeichen“ des Neunkircher Künstlers Seiji Kimoto.

Die Tour führte weiter zum seit 1777 bestehenden Jüdischen Friedhof in der Hermannstraße. Heute befindet sich dort die Grabstätte von Alex Deutsch, dem Auschwitz-Überlebenden, der als Zeitzeuge voller Leidenschaft für mehr Mitmenschlichkeit und Toleranz plädierte.

Auf Gedenktafeln wird an die Toten des Nationalsozialismus erinnert, insbesondere auch an die 32 Kinder von Zwangsarbeiterinnen, die in Neunkirchen verstarben. In den Nachkriegsjahren wurden 234 schlichte Grabsteine für die unter den Bedingungen mörderischer Sklavenarbeit zu Tode gekommenen sowjetischen Kriegsgefangene und Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter errichtet. Eine weitere Grabstätte für 98 sowjetische Kriegsgefangene, die im Lager Emsenbrunnen interniert und auf den Gruben der Region Zwangsarbeit leisten mussten, befindet sich auf dem Friedhof in der Frankenfeldstraße, der im Laufe der Rundfahrt ebenfalls auf dem Programm stand.

Das Leben und Wirken Neunkircher Antifaschisten bildete einen weiteren Schwerpunkt der Exkursion. Berichtet wurde unter anderem über den Augenarzt Dr. Karl Schneider. Aktiv im Abstimmungskampf für eine Status-quo-Regelung vertrat er nach der Eingliederung des Saargebietes in das Deutsche Reich 1935 weiterhin seine kritische Haltung gegenüber dem Hitlerstaat. Am 15. April 1940 wurde er verhaftet, in „Schutzhaft“ genommen, ins KZ Sachsenhausen und dann nach Dachau verschleppt. Dort starb er am 5. November 1940 unter „ungeklärten Umständen“. Ein Gedenkstein auf dem Scheiber Friedhof und ein Stolperstein in der Innenstadt sind Karl Schneider gewidmet. Ausführliche Informationen erhielten die Teilnehmer im Kombibad „Die Lakai“ über den Künstler Franz Schnei. In Neunkirchen vor allem durch die von ihm für das ehemalige Stadtbad geschaffenen Mosaiken bekannt, war das Leben und Schaffen von Franz Schnei geprägt durch sein Engagement gegen Faschismus und Krieg.

In Wiebelskirchen besuchte die Gruppe die Alex-Deutsch-Brückeund den Wibiloplatz. Hier wurden 2012 die ersten „Stolpersteine gegen das Vergessen“ – dem von Gunter Demnig initiierten Kunstprojekt – in Neunkirchen verlegt.

Über die systematische Ermordung von Menschen mit geistigen, körperlichen und seelischen Behinderungen wurde am Beispiel von Eduard Senz berichtet, an den das 1994 errichtete Denkmal am Hammergraben erinnert.

Beendet wurde die Stadtrundfahrt am Synagogenplatz, dem Standort des jüdischen Gotteshauses in Neunkirchen. Hier gedachte die Gruppe der Zerstörung der Synagoge am 10. November 1938.

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