Selbsterkenntnis-Trip mit Spaß-Garantie

Neunkirchen · Bei Hagen Rethers Rundumschlag vom Klimawandel über Waffenexporte bis zur Massentierhaltung blieb dem Zuhörer auch schon mal das Lachen im Halse stecken.

Zu Hagen Rether zu gehen, hat was Masochistisches an sich. Schließlich bekommt man an einem dieser langen Abende mit dem Wahl-Essener - in der Gebläsehalle waren es diesmal dreieinhalb Stunden - gefühlte 1000 Mal um die Ohren gehauen, was man doch für ein selbstzufriedenes, ignorantes Konsum-Würstchen ist, das in letzter Konsequenz mehr oder weniger für so ziemlich jeden Ärger rund um den Globus verantwortlich ist, ob Klimawandel, Selbstmord-Attentate, Flüchtlingswelle oder was auch immer.

Weshalb es sich empfehlen würde, am Merchandising-Stand nicht nur Liebe 3 bis 5, so die inspirierenden Namen der letzten Rether-Programme, anzubieten, sondern auch ein paar Peitschen zur Selbstgeißelung. Gewonnen wäre damit zwar nichts für das Klima oder den Weltfrieden, aber vielleicht würde man sich anschließend ein bisschen besser fühlen. Also: Noch besser. Denn natürlich macht das Spaß. Wenn dieser schnieke angezogene Mann (Ausnahme: die weißen Socken, aber mit denen will er einen neuen Trend kreieren) sich auf dem Bürostuhl rekelt und dreht und die Worte sanft, aber stetig durch Themen wie Turbo-Abi, Pflichtverrentung, Freihandelsabkommen, Wahlverhalten oder Waffenexporte fließen lässt, zwischendurch immer mal wieder grinsend "Dazu kommen wir später", kopfschüttelnd "Ich versteh das nicht" oder unvermittelt "Haben Sie Winterreifen" einflicht, und einen schon irgendwie einlullt - bis zum nächsten Aufreger.

Was Rethers großes Geheimnis bleibt: Wieso das lustig ist. Denn natürlich hat er Recht. Langstreckenflüge und Öko-Getue passen nicht zusammen, "die zweite Maus kriegt den Käse", Blockwarte sind in Deutschland wieder unterwegs und industrielle Massentierhaltung ist einfach nur Horror. Wenn einem dann noch der Vorgang des Schlachtens so detailliert und minutiös geschildert wird wie von Rether, löst das eher Brechreiz aus als Lachsalven. Will er, dass der halbe Saal zum Veganismus konvertiert? Nö, dem Mann am Flügel würde es schon reichen, wenn Metzger flächendeckend zu Altenpflegern umgeschult würden und sich die Zuschauer anschließend nicht gleich wieder in den nächsten Fastfood-Tempel stürzen.

Apropos Flügel: Der blieb, genau wie die ebenso obligaten Bananen, überwiegend Deko. Irgendwann polierte Rether dann doch noch selbstvergessen dran herum, um schließlich eine verjazzte Version von Michael Jacksons "Earth Song" anzustimmen. Dann noch ein undefinierbares "Seien Sie gut zu Ihren Kindern" und der Selbsterkenntnis-Trip mit einem der genialsten Kabarettisten, den dieses Land derzeit zu bieten hat, war Geschichte.

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