Pflegekräfte zwischen Idealismus und Überforderung

Neunkirchen · Viele praktische Beispiele aus dem Pflegealltag zeigten bei der Tagung die oftmals belastende Situation der Fachkräfte. Referent Claus Fussek schilderte die Problematik bei der Tagung „Pflege zwischen Anspruch und Realität“.

Claus Fussek, Referent bei der Fachtagung "Pflege zwischen Anspruch und Realität" hatte für sein Publikum einen Stapel Papiere mitgebracht: Listen der gesetzlichen Mindestanforderungen an Pflegeheime sowie Kopien von Briefen. In letzteren fragt etwa eine Frau, ob ihr Mann Anspruch habe auf eine bestimmte Zahl von Toilettengängen. In dem Pflegeheim, in dem er lebe, finde sie ihn regelmäßig in nassen Hosen vor.

Außerdem tätigt eine Pflegekraft eine "Anonyme Selbstanzeige": Immer wieder passierten bei der Medikamentengabe wegen Überforderung des Personals gefährliche Fehler. Und sie selbst habe sich dabei ertappt, in einer stressigen Situation eine Bewohnerin sehr unangemessen behandelt zu haben. "Solche Briefe erreichen mich ständig", so Fussek, der sich seit 30 Jahren mit Missständen in der Altenpflege beschäftigt und als Kritiker und Buchautor bekannt geworden ist.

Die Schere zwischen den gesetzlichen Mindestanforderungen und dem Alltag in deutschen Pflegeeinrichtungen geht offenbar weit auseinander - deshalb hat die Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe im Saarland (Kiss) zusammen mit ihrem Träger, der Landesvereinigung Selbsthilfe, am Mittwoch in der Stummschen Reithalle in Neunkirchen erstmals diese Fachtagung zum Thema veranstaltet. Wie Beate Ufer von Kiss erklärte, ist die Idee dazu in Zusammenhang mit dem von ihr geleiteten Projekt "Selbsthilfe und Teilhabe stärken in der Pflege" sowie mit den "Wochen der seelischen Gesundheit" des Kiss entstanden.

In seinem Vortrag ging Fussek auf verschiedene Missstände ein, setzte diesen aber auch Positivbeispiele entgegen. Seine Devise: "Aufhören zu jammern! Handeln". Und das meinte er nicht diskreditierend, sondern als Ansporn: "Werdet kritische Pflegekräfte, erhebt die Stimme!" Empathielose "schwarze Schafe" im Personal müssten benannt werden, bei Überforderung müssten im Extremfall Polizei und Notarzt verständigt werden.

Diskussion mit Experten

Die gut 40 Besucher hatten außerdem die Möglichkeit, mit einer Expertenrunde zu diskutieren. Dabei waren der Pflegebeauftragte des Saarlandes, Jürgen Bender, Bernd Seiwert vom Sozialministerium, die Sozialdezernentin des Kreises, Birgit Mohns-Welsch, Gerhard Becker von der Selbsthilfegruppe Verschnaufpause für pflegende Angehörige, der Vorsitzende der Saarländischen Pflegegesellschaft, Harald Kilian sowie die Inhaberin eines ambulanten Pflegedienstes, Gaby Stullgys. Letztere als täglich in dem Bereich Aktive schlug ähnliche Töne an wie Fussek: "Wir sollten enger zusammenrücken und uns besser organisieren. Dann könnten wir einiges erreichen!"

Ufer zeigte sich nach der Tagung zufrieden, vor allem wegen der regen Diskussionsbeteiligung des Publikums. "Ich hoffe, dass wir einen Impuls gesetzt haben und das Thema weiter vorangetrieben wird."

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