Pläne am Reißbrett können fatale Folgen haben

Warum treffen wir uns gerade in Wochern? Vernik: Weil es ein wunderschönes Dorf mit gewachsenen Strukturen ist, das nicht umsonst mehrfach ausgezeichnet wurde

 Jürgen Ludwig, Stefan Rink und Thorsten Vernik an der Kapelle Wochern. Foto: Kathrin Werno

Jürgen Ludwig, Stefan Rink und Thorsten Vernik an der Kapelle Wochern. Foto: Kathrin Werno

Warum treffen wir uns gerade in Wochern? Vernik: Weil es ein wunderschönes Dorf mit gewachsenen Strukturen ist, das nicht umsonst mehrfach ausgezeichnet wurde. Und weil sich am Beispiel Wochern gut demonstrieren lässt, wie wenig passend sich eine Ortserweiterung in einen ursprünglichen Ort eingliedert, wenn diese nur anhand des Planes auf dem Reißbrett erschlossen wird. Wie sollte man Neubaugebiete denn erschließen? Rink: Indem man sich vor Ort ein Bild macht. Thorsten Vernik und ich haben 2001 noch an der Fachhochschule eine Studienarbeit über Wochern erstellt. Damals war das Dorf noch unverfälscht, es zeichnete sich durch Autobahnbau und den Luxemburg-Boom aber ab, dass hier bald gebaut werden würde. Also haben wir uns überlegt, wo die Erweiterung sich harmonisch in den Ort eingliedern könnte.Das Neubaugebiet liegt nun am Eingang des Dorfes auf einem Hügel.Was ist daran auszusetzen? Vernik: Auf den ersten Blick gar nichts. Wer auf den Ortsplan schaut, sieht an dieser Stelle in der Tat eine Lücke. Doch stellten wir seinerzeit während unserer Arbeit schnell fest, dass eine Erweiterung an dieser Stelle die gewachsene Struktur des Dorfes stört.Inwiefern? Rink: Beim Blick vom Neubaugebiet ins Dorf sieht man deutlich, was wir meinen: Wochern ist in die Natur eingebettet. Die Bebauung schmiegt sich regelrecht harmonisch in das Tal. Nirgendwo wächst der Ort wesentlich über die natürlichen Grenzen hinaus. Zudem wird das Dorf rundum von Streuobstwiesen umrahmt, die einen sanften Übergang von Kultur zu Natur bilden. Das Neubaugebiet hingegen sprengt diesen Rahmen. Wo hätte man denn Ihrer Meinung nach besser neue Bebauung angesiedelt? Rink: Eine größere Erweiterung hätte sich für uns im Unterdorf im Bescher Tal angeboten. Eine Verlängerung der Stichstraße würde sich ins idyllische Tal einbetten und eine schöne Wohnqualität bieten.Mal abgesehen vom richtigen Platz für Neubaugebiete: Ist es denn überhaupt möglich, in ein Dorf mit alten, bäuerlichen Strukturen neue Bebauung harmonisch zu integrieren? Ludwig: Ja, sicher. Viele ausgezeichnete Projekte in der Eifel sprechen dafür. Aber die Dorf- und Städteplaner sollten idealerweise vor Ort fahren, sich das angucken, mit älteren Dorfbewohnern sprechen, Bebauung analysieren. Natürlich ist das ein Kostenfaktor. Aber attraktive Dorfbilder sind nicht eine Investition in den Tourismus, sondern auch in die Lebensqualität. Vernik: Oft wird geplant, wo jemand Grundstücke verkaufen möchte. Die Investoren erstellen quasi die Bebauungspläne. Wir wünschen uns, dass die öffentliche Hand, die Gemeinden, das stärker im Auge hält und die kulturelle Identität der Orte bewahrt. Letztlich zahlt sich das aus, weil unsere Dörfer auch in Zukunft attraktiv bleiben. Stichwort Lebensqualität: Überbewerten Sie da die stimmige Lage eines Neubaugebietes da nicht ein wenig? Vernik: Nein, durch Bauen wird fast immer ein Domino-Effekt ausgelöst, der sich positiv oder negativ auswirkt. Zurzeit wird die Integration der Menschen in die Dörfer durch die Planung der Ortserweiterungen - nicht nur in Wochern - geradezu verhindert. Wie Satellitenstädten gleich formieren sich die Neubaugebiete um die Dorfmitte, die Ortskerne haben keine Chance in ihrer organischen Struktur zu wachsen und veröden. Die dörfliche Gemeinschaft bleibt auf der Strecke Ludwig: Genau. Nicht ohne Grund wird in vielen Orten eine attraktive Dorfmitte als Treffpunkt umgesetzt, wie das ja auch jetzt in Wochern geschehen ist. Aber das ist nicht die Lösung des Problems. Sondern? Rink: Auch hier lohnt ein Spaziergang durch Wochern. An der Hauptdurchfahrt, der Nikolausstraße, sieht man gut, wie Dörfer in unserer Region angelegt wurden: Vor den Häusern befinden sich große, halböffentliche Hausvorflächen, auf denen gearbeitet wird, auf denen aber auch fast immer ein Hausbaum und eine Bank stehen. Hier trifft man sich zum Gespräch, die Kinder können miteinander spielen. Keine Vorgärten oder Jägerzäune isolieren die Menschen voneinander. Wünschen sich die Menschen heute aber nicht stärker ihre Privatsphäre? Ludwig: Privatsphäre ja, aber in Neubaugebieten kann man schon von Anonymität sprechen. Aus verschiedenen Gründen werden die Grundstücke immer kleiner, wodurch die Menschen enger aufeinander sitzen. Manche Häusern sieht man fast immer mit herunter gelassenen Rollläden, weil man sich vor den Blicken der Nachbarn schützen möchte. Die Menschen verschanzen sich regelrecht. Vernik: Und schirmen sich im engen Garten mit Plastikzelten und ähnlichem voneinander ab. Wegen dieser zunehmend unattraktiven Wohnsituation muss man eventuell über alternative Wohnformen nachdenken.Was ist denn die Alternative?Vernik: Zunächst einmal muss man sich die örtlichen Gegebenheiten ansehen und dort nach einer Struktur suchen, die sich fortführen lässt. Bei unserer Dorfanalyse hat sich gezeigt, dass der bestehende Ort quasi aus einer Aneinandereihung platzartiger Straßenräume besteht. Dieser Eindruck entsteht durch die langen Häuserzeilen mit ihren halböffentlichen Hofflächen. In einem Neubaugebiet ließe sich dies durch die geschickte Gruppierung und Zusammenfassung von Einzelhäusern erreichen. Solche Strukturen könnten sowohl Privatsphäre als auch Gemeinschaft gleichermaßen fördern. Und die Dörfer können ihre regionaltypische Identität besser bewahren. Ihre Vorschläge klingen nach Uniformität im Ortsbild Vernik: Wirklich? Wir sehen es umgekehrt: In ganz Deutschland sind die Neubaugebiete komplett auswechselbar und damit uniform. Regionale Eigenheiten finden sich nur noch im Zentrum. Die Neubaugebiete zeichnen sich durch unüberschaubaren Kuddelmuddel der Stile aus: Klinkerhaus neben Toskana-Villa, dazwischen kanadische Blockhütte und obendrüber der Schwarzwälder Beghof. Und da wundert man sich, wenn das nicht stimmig wirkt. Rink: Auf den ersten Blick ist das nachvollziehbar: Eine Familie liebt Kanda und möchte ein Holzhaus. Dort passt das auch hin, aber eben nicht ins Saarland. Nicht neben eine Finca, die der Nachbar gebaut hat, weil er Mallorca-Fan ist. Alles gehört an seinen Platz, dort wirkt es authentisch und schön. Genau das lieben wir doch auch an den Dörfern in Frankreich, Spanien und Italien, sie sind verdichtet und regionaltypisch. Nicht jeder kann oder will ein altes Haus restaurieren. Wie lässt sich denn regionaltypisch neu oder sogar modern bauen? Ludwig: Wieder empfiehlt sich der Blick in die Dörfer. Wir sollten schauen, wo unsere Qualitäten liegen und diese neu interpretieren. Um beispielsweise ein intaktes Ortsbild mit den historischen Hausgrößen zu erhalten und fortzuführen, sollten auch die neuen Gebäude mit einen längsrechteckigen Grundriss mit der Längsseite zur Straße errichtet werden. Wichtig für ein stimmiges Bild ist auch, dass die Häuser zweigeschossig sind, nicht anderthalbgeschossig wie bei den meisten Neubauten. Satteldächer ohne Dachüberstand sind ebenfalls typisch für die Region.Vernik: Ganz wichtig sind uns auch die halböffentlichen Vorflächen mit Hausbäumen. Überhaupt die Bepflanzung mit heimischen Arten. Auch Nadelgehölze stören - sie kommen im ursprünglichen, dörflichen Umfeld nicht vor. Früher konnte man nur mit den Materialien bauen, die man in der Region vorfand. Warum muss ein Ziegeldach heute blau oder grün sein? Warum das Haus grellgelb? Warum brauchen wir aufdringliche und teure Pflanzringe, wenn Steine aus Umgebung den gleichen Zweck erfüllen? Ein zurückhaltenderer Umgang mit Farbe und Material würde manchem Ortsbild gut anstehen. Aber wo bleiben da die individuellen Vorstellungen beim Bauen? Rink: Man muss sich ja sowieso beim Bauen an Regeln halten. In Bayern oder Holland sind die Vorgaben rigoroser, aber die Ortschaften auch wesentlich stimmiger. Raum für individuelle Wünsche bleibt dort auch. Manchmal muss man aber persönliche Traumvorstellungen hinten anstellen, wenn sie das Dorfbild nachhaltig stören. Ein Haus gehört einem ja nicht nur selbst, sondern ist immer Bestandteil einer Gemeinschaft. Vernik: Es geht nicht um Bevormundung. Heute kann man sich sein Haus aus den unterschiedlichsten Versatzstücken kunterbunt zusammen bauen: Das Ergebnis sind Gebäude, die aussehen wie aus dem Versandhauskatalog. Viele Bauherren sind sich nicht bewusst, dass sie damit die Identität der Dörfer zerstören. Wir möchten dafür sensibilisieren, den Blick sowohl bei Bauherren als auch bei der öffentlichen Hand für regionaltypische Eigenheiten schärfen und Alternativen anbieten. Ludwig: Das hat im übrigen auch viel mit regionalem Selbstbewusstsein zu tun, das bei uns nicht allzusehr ausgeprägt scheint. Man darf nicht vergessen, dass man für einen langen Zeitraum baut, das sollte man gut planen. Und es geht nicht um Perfektion, sondern um allgemeine Strukturen. Was planen Sie als Initiative Baukultur für Aktivitäten? Ludwig: Im April haben wir eine Vortragsveranstaltung mit der Trierer Professorin Marie-Luise Niewodniczanska in Perl organisiert, die sich bereits seit Jahren als Autorin und Vorkämpferin auf dem Gebiet einen Namen gemacht hat. Solche Vorträge soll es häufiger geben. Vernik: Wir möchten mit unserer Initiative künftig mit weiteren Veranstaltungen auf die Problematik hinweisen und versuchen Lösungswege aufzuzeigen. Noch gibt es recht unverdorbene Orte mit regionaltypischer Prägung. Ihren Charme zu erhalten, sollte unser aller Interesse sein.

HintergrundDie private "Initiative Baukultur - Bauen im ländlichen Raum" haben die Architekten Jürgen Ludwig aus Weiler, Stefan Rink aus Bethingen und Thorsten Vernik aus Besseringen gegründet, um die Öffentlichkeit für ein stimmiges und harmonisches Bauen mit hoher Lebensqualität zu sensibilisieren.

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