Mehr als 11 000 leben von Hartz IV

Kreis Neunkirchen. Gut jeder zehnte der derzeit rund 137 000 Einwohner im Landkreis Neunkirchen ist auf finanzielle Unterstützung durch "Papa Staat" angewiesen und damit von Armut bedroht. Das ist eine der wichtigsten Feststellungen im Sozialbericht für den Landkreis Neunkirchen, den das Kreissozialamt jetzt erstmals erarbeitet hat

Kreis Neunkirchen. Gut jeder zehnte der derzeit rund 137 000 Einwohner im Landkreis Neunkirchen ist auf finanzielle Unterstützung durch "Papa Staat" angewiesen und damit von Armut bedroht. Das ist eine der wichtigsten Feststellungen im Sozialbericht für den Landkreis Neunkirchen, den das Kreissozialamt jetzt erstmals erarbeitet hat. Der Bericht soll die soziale Lage im Kreis beschreiben, Entwicklungen und Tendenzen aufzeigen und so Reaktionen ermöglichen.Die detaillierte Sozialstudie wurde bei der jüngsten Kreistagssitzung von Sozialamtschef Udo Zägel vorgestellt. Sie geht auf eine Anregung der Linken-Fraktion im Kreistag zurück. Deren Sprecherin Ingrid Janke monierte dann auch den Titel "Sozialbericht" als zu harmlos und zog die Bezeichnung "Armutsbericht" vor. Womit Landrätin Cornelia Hoffmann-Bethscheider keine Probleme haben dürfte. "Es ist wichtig, dass das Thema Armut in unserer Gesellschaft thematisiert wird", sagte sie. "Nur, wenn wir uns bewusst machen, dass Menschen unter uns in sozialen Notlagen leben, werden auch Schritte ergriffen, etwas daran zu verändern." Handlungsstrategien gegen die Armut sollen nun in den zuständigen Ausschüssen beraten werden, ein Konzept in einer der nächsten Kreistagssitzungen vorgestellt werden.

Auf mehr als 100 Seiten hat Udo Zägel unter Mitarbeit von Christine Steimer und Ines Ney Sozialdaten erfasst und mit zahlreichen Grafiken ergänzt. Ausgewertet wurden dabei verschiedene Quellen wie Statistiken des Statistischen Landesamtes, der Agentur für Arbeit, der Bertelsmann-Stiftung, der Arbeitslosenselbsthilfe, der Ärztekammer usw. "Wir haben neben der wirtschaftlichen Situation, zu der Erwerbstätigkeit und Einkommenslage beitragen, auch die Bereiche Bildung und Gesundheit untersucht", erläuterte Udo Zägel dem Kreistag.

Die SZ hat einige bemerkenswerte Fakten aus dem Sozial-/Armutsbericht ausgewählt: Genau 11 233 Personen in 5898 Bedarfsgemeinschaften - das sind etwas mehr als acht Prozent der Kreisbevölkerung - bezogen Ende 2009 Arbeitslosengeld II (Hartz IV). 2100 Menschen im Kreis sind trotz Erwerbstätigkeit auf staatliche Hilfe angewiesen. "Man kann davon ausgehen, dass mindestens 60 Prozent davon vollzeitbeschäftigt sind, also kein existenzsicherndes Einkommen haben", heißt es im Bericht. Der Teufelskreis dabei: "Dieser Teil der Bevölkerung wird auch im Alter nicht von der eigenen Rente leben können", hält die Landrätin fest. Stark angestiegen ist bereit jetzt die Zahl jener, die auf "Grundsicherung im Alter" angewiesen sind (siehe Grafik).

Im Kreis Neunkirchen hatten laut Bertelsmann-Stiftung 2008 15,4 Prozent der Haushalte ein geringes Einkommen (unter 1000 Euro). Ein hohes Einkommen (mehr als 4000 Euro) hatten 14,7 Prozent der Haushalte.

Bildung ist ein Grundstein für den späteren Lebensstandard. Der Anteil der Kinder, die ein Gymnasium besuchen, ist im Kreis mit 24,1 Prozent geringer als im Landesschnitt (25,7 Prozent). 14,7 Prozent der ausländischen Schüler an allgemeinbildenden Schulen im Kreis schafften 2009 keinen Abschluss - im Landesschnitt waren es nur halb so viele.

Im Kreis Neunkirchen gab es 2009 4184 pflegebedürftige Frauen und Männer - rund drei Prozent der Bevölkerung. 767 von ihnen müssen Sozialhilfe in Anspruch nehmen.

Bemerkung am Ende des Berichts: "Die Armut hat ein weibliches Gesicht". Besonders die Altersarmut werde bei Frauen auf Grund ihrer Erwerbsbiografie zunehmen. Bereits jetzt erhalten im Kreis mehr Frauen Grundsicherung im Alter als Männer.

Weitere Auskünfte zum Sozialbericht beim Leiter des Kreissozialamts Udo Zägel, Telefon (06824) 906-21 22.

"Die Armut in unserer Gesellschaft muss thematisiert werden."

Landrätin Cornelia Hoffmann-Bethscheider

Auf einen Blick

Wenn von Armut gesprochen wird, ist in Deutschland überwiegend die "relative Armut" gemeint. Unter diesem Aspekt besteht nach Definition der EU ein Armutsrisiko, wenn man weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens aller Einkommenssteuerpflichtigen eines Landes zur Verfügung hat. Als "arm" gilt, wer auf weniger als 50 Prozent kommt. Beispiel: Für das Jahr 2008 wurden als gemitteltes monatliches Einkommen in Deutschland 1548 Euro errechnet. Als arm definiert wird demnach, wer weniger als 774 Euro Einkommen hat, als armutsgefährdet, wer weniger als 929 Euro hat. gth

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