erLesen Karen Duve und Nettes Liebes-Sommer

Neunkirchen · Im Rahmen der „erLESEN – Literaturtage im Saarland“ stellte Karen Duve ihren Bestseller „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ in der ausverkauften Reithalle vor.

Man schreibt eben doch nicht einfach mal so ein Buch. Geahnt haben dürfte das wohl jeder passionierte Leser. Aber so konkret unter die Nase gerieben wie von Karen Duve bekommt man es eher selten. Letztlich läuft es doch auf Forschen, Zusammensuchen, Wissenanlesen hinaus. Davon zeugen im Fall ihres neuesten, in der deutschen Literatengeschichte schürfenden Bestsellers „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ zwölf eng mit Einzelnachweisen beschriebene Seiten Literaturverzeichnis. Dass die Schriftstellerin angesichts dieses immensen Rechercheaufwands nur viereinhalb Jahre für den Roman brauchte, grenzt fast an ein kleines Wunder.

Wobei sich der Aufwand unbedingt gelohnt hat. Tatsächlich war die von Tilla Fuchs moderierte Lesung in der Stummschen Reithalle restlos ausverkauft – zur Freude von Anke Birk und ihrem Bücher-König-Team. Bereits im zweiten Jahr ihres Bestehens verfügen die „erLESEN-Literaturtage“ der saarländischen Buchhandlungen und Verlage über ein erstaunliches Renommee, strahlte die Buchhändlerin in ihrer Begrüßung. „Bis heute hatten wir schon 2800 Zuhörer“, wobei ja noch drei Tage ausstünden.

„Ein bisschen Droste-geschädigt wie alle, die sie in der Schule lesen mussten“ – ja, dass sei sie durchaus gewesen, gab Karin Duve beim Einstieg ins Interview lächelnd zu. Aber dann habe sie von dieser „unglücklichen Liebesgeschichte“ gehört, bei der Annette von Droste-Hülshoff gleich „zwei Männer in einem Jahr hatte“. „Wie kann das sein?“, fragte sich die Autorin. Immerhin schrieb man das Jahr 1820, wo Frauen, auch die des Adels, sich keusch zu geben und klein zu halten und dem munter dominierenden Mann niemals in die Quere zu kommen hatten. Einmal neugierig geworden, begann Duve, immer tiefer in das Thema einzusteigen. „Ohne Internet wäre das nicht möglich gewesen“; genauso wenig wie ohne die vielen Droste-Forscher, die jeden noch so kleinen Winkel im Leben der unglücklich verliebten, lebenslang ledig bleibenden „Freiin“ durchforsteten. Tatsächlich ließen sich viele Situationen in nämlichem Sommer fast minutiös rekonstruieren.

Wobei noch genug Freiraum für Dichtung blieb. Und in deren Genuss kam das Publikum reichlich, als Karen Duve Schlüsselszenen ihres Buches vorlas – das gleich vielversprechend beginnt: „Es war früh am Morgen. Der Himmel hing tief, und die Sonne war kraftlos und hing noch tiefer. Aus einem Buchenwald traten ein kleiner, grundhässlicher Mann namens Heinrich Straube und ein zartes, sehr blondes und etwas glotzäugiges Freifräulein.“ Zack, und schon hat Karen Duve ihre Leser an der Kandare. Denn letztlich ist es dann doch vor allem das große erzählerische Talent der gebürtigen Hamburgerin, Jahrgang 1961, ihr manchmal boshafter Schalk, ihr Sinn für bildhaftes, lebendiges Beschreiben, der „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ zu einem solchen Lese- beziehungsweise Zuhörvergnügen macht.

Während das aristokrate Landleben im tiefsten Westfalen auf der Stelle tritt, verändert sich draußen die Welt. Überrascht sei Duve über die vielen aktuellen Bezüge gewesen: ausgebrannt sein, Nationalismus, Umweltverschmutzung – all das kam damals auf mit dem Beginn der Industrialisierung. Vermisst habe er im Buch Zitate der von Droste-Hülshoff, wunderte sich ein Herr in der abschließenden Fragerunde. Stimmt, nickte die preisgekrönte Schriftstellerin aufgeräumt. Es sei schlicht und ergreifend nicht nötig gewesen. Annettes Werk sei ja zur Genüge dokumentiert. Duve habe lieber „die anderen Dinge, die sonst verloren gehen“, ans Licht holen und zur kollektiven Anschauung bringen wollen. Zumal das, was die Anfang Zwanzigjährige bis dato fabriziert hatte, künstlerisch oft noch zu wünschen übrig ließ. Kostprobe gefällig? „Im ersten Gedicht von ihr, das mir in die Hände fiel, ging es um Erschöpfung. Da heißt es zum Beispiel: „Ausgeschlürft wie von Empusenzungen’. Das hat mir einfach nicht gefallen.“

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