Regionalverband Saarbrücken und Kreis Neunkirchen Treibt Corona Frauen zurück an den Herd?

Neunkirchen/Saarbrücken · Frauenbeauftragte sehen in Pandemie starke Risiken für Gleichberechtigung.

 Viele Frauen kümmern sich gleichzeitig um Haushalt, Kinderbetreuung und Homeoffice – keine Seltenheit zurzeit.

Viele Frauen kümmern sich gleichzeitig um Haushalt, Kinderbetreuung und Homeoffice – keine Seltenheit zurzeit.

Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Ob Corona zum Gleichberechtigungskiller wird, lässt sich nach einem Jahr Pandemie noch nicht so leicht beantworten, wie erste wissenschaftliche Untersuchungen zeigen.

Heike Neurohr-Kleer, Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft der Frauenbeauftragten und zugleich Frauenbeauftragte im Kreis Neunkirchen, und ihre Kollegin Mirjam Altmeier-Koletzki (Regionalverband Saarbrücken) haben unterm Strich aber doch eine eindeutige Einschätzung: So wie die Pandemie in unsere Gesellschaft eingreift, bedeute dies für Frauen „einen Schritt zurück“. Alte Geschlechterrollen kommen wieder zum Vorschein, Gleichberechtigung gerät im Corona-Stress in den Hintergrund. Die Frau in der Pandemie, das lässt sich nach dem Gespräch mit Neurohr-Kleer und Altmeier-Koletzki so zusammenfassen: Stress im und Sorge um den Job. Stärker als Männer eingebunden als Freizeit-Lehrerinnen (Homeschooling). Bei den Themen Haushalt und Pflege von Angehörigen gilt das gleiche. „Es ist ein gewaltiger Schritt zurück, eine ganz schwierige Situation“, sagt Altmeier-Koletzki, „allerdings sieht es in anderen Ländern sicher schlechter aus.“ Neurohr-Kleer atmet tief ein und aus, ehe sie sagt: „Wir haben Jahre gebraucht für Themen wie Entgeltgerechtigkeit oder Frauenquoten in Vorständen.“ Mit Corona kämen die Fortschritte wieder ins Wanken.

Mit Zahlen lässt sich nach einem Jahr Corona auf Kreis- oder Regionalverbandsebene nicht arbeiten. Erste Studien und Publikationen gibt es aber etwa vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), IAB-Forum (Online-Magazin des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung) und dem gewerkschaftsnahen WSI (Wirtschats- und sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung), auf die die beiden Frauenbeauftragten hinweisen. Der DGB zeigt sich schon in der Überschrift kämpferisch. Das Arbeitspapier ist überschrieben mit der Zeile „Rückfall in alte Rollenbilder verhindern“. Die Corona-Krise wirke wie ein Brennglas. Bestehende Strukturen der Ungleichheit würden deutlicher zutage treten. Defizite der Gleichstellung im Erwerbsleben, so der Gewerkschaftsbund, verschärfe die Pandemie. Frauen arbeiteten häufiger in kleineren Betrieben, und das zu niedrigeren Löhnen, ohne Tarifbindung, in Teilzeit. Zugleich dominierten Frauen die systemrelevanten Berufe in Bildung und Betreuung, in der Kranken- und Altenpflege, im Einzelhandel und den Reinigungsberufen. Darüber hinaus verrichteten die Frauen den weitaus größeren Teil der unbezahlten Sorge- und Hausarbeit. Kümmern sich also um Kinder, Haushalt, pflegebedürftige und alte Menschen.

Homeoffice habe mit der Corona-Pandemie massiv an Bedeutung gewonnen. Allerdings, so die Gewerkschaftsstudie, würden Frauen offenbar öfter von Arbeitgebern an den Arbeitsplatz beordert, als dies bei Männern der Fall sei. Und auch bei den kleinen Jobs erwischt die Pandemie vor allem die Frauen nach Einschätzung des DGB. Fast doppelt so viele Frauen wie Männer verlieren demnach in diesen Tagen einen Minijob.

Auch das WSI schreibt, die Corona-Krise treffe Frauen doppelt. Männer machten zwar mehr Homeoffice, die Betreuungsarbeit daheim bleibe aber überwiegend an den Frauen hängen. Eine interessante Aussage: Von den Paaren, die für sich einen fairen Ausgleich in der Familienarbeit reklamieren, sagten nur 60 Prozent, dies auch in der Ausnahmesituation der Pandemie in gleichem Maße umzusetzen. In unteren Lohngruppen, heißt es weiter, ist das Phänomen einer Wiederaufnahme alter Rollenbilder stärker zu beobachten. Das IAB-Forum kommt nach einer Online-Befragung zu dem Schluss, dass Frauen in der Pandemie den größeren Teil der Kinderbetreuung und Hausarbeit schultern. Die „Hauptlast der Sorgearbeit“ liege bei ihnen. Väter kümmerten sich aber gleichwohl in der Pandemie stärker um den Nachwuchs als zuvor. Beim IAB heißt es, die Folgen der Krise für die Arbeitsteilung würden in der Wissenschaft aktuell kontrovers diskutiert. Auf der einen Seite stünde die These des Rückfalls in alte Muster, auf der anderen die der „Krise als Gleichmacher“. Geschlossene Schulen und Kitas stellten für Eltern ganz allgemein eine hohe Belastung dar.

 Mirjam Altmeier- Koletzki, neue Frauenbeauftragte im Regionalverband

Mirjam Altmeier- Koletzki, neue Frauenbeauftragte im Regionalverband

Foto: Stephan Hett/ Regionalverband

Auch wenn ihr keine aktuelle Datenbasis für den Kreis Neunkirchen zur Verfügung stehe, ist sich Heike Neurohr-Kleer aus ihrer beruflichen Erfahrung sicher: „Frauen machen grundsätzlich mehr unbezahlte Arbeit. Das ist durch Corona noch extremer geworden.“ Ihre Saarbrücker Kollegin Altmeier-Koletzki fügt hinzu: „Wer glaubt, Homeoffice und Kinderbetreuung sei ein Genuss, der liegt falsch.“ Frauen sollen während der Pandemie Mutter, Erzieherin, Freundin, Hausfrau, Psychologin, gute Ehefrau und gute Berufstätige sein. Ob mit oder ohne Beruf – die Corona-Pandemie treffe die Frauen hart.

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