Erinnerung braucht ein Zuhause

Neunkirchen · In den Räumen des geplanten „Hüttenstadtmuseums“ im Kult wurde die jüngste „Neinkerjer“ Vergangenheit bekömmlich in Jahrzehnt-Häppchen serviert. Garniert mit vielen Anekdoten. Veranstalter war der „Förderkreis für die Städtische Galerie und das Museum Neunkirchen“.

 Zeitzeugengespräch im Kult Neunkirchen: Gerd Meiser, Fritz Decker und Peter Bierbrauer (von links). Foto: Thomas Seeber

Zeitzeugengespräch im Kult Neunkirchen: Gerd Meiser, Fritz Decker und Peter Bierbrauer (von links). Foto: Thomas Seeber

Foto: Thomas Seeber

Es muss lebendig gewesen sein, authentisch, pulsierend, laut, dreckig, anstrengend und irgendwie auch schön - das alte Neunkirchen . Allein die Zahl von 330 Kneipen sagt eigentlich schon alles. Weshalb sich zwangsläufig etwas Wehmut in das von Peter Bierbrauer moderierte, lebhafte "Zeitzeugengespräch" des Journalisten Gerd Meiser mit dem ehemaligen Oberbürgermeister Fritz Decker einschlich.

Um nicht sofort in der Anekdoten-Flut des Duos unterzugehen, strukturierte Bierbrauer, ehemals Geschäftsführer der Neunkircher Kulturgesellschaft, die jüngste "Neinkerjer" Vergangenheit in Jahrzehnt-Häppchen - beginnend mit den 60er Jahren, in der die "Phase des Niedergangs" mit dem Schließen der ersten Gruben 1962 begann. Aber es wurde auch 1964 das Stadtbad eröffnet. Und Borussia Neunkirchen stieg in die Bundesliga auf. "Unser Eisenwerk muss ans Meer", war damals Stadtgespräch, der "Saar-Pfalz-Kanal" wurde als Lösung des Problems gehandelt. Bürgermeister Friedel Regitz, für Meiser "der größte Lokalpolitiker Neunkirchens", sah das realistischer: "Er setzte auf Ansiedlung und Fläche." Regitz' Herztod bei einer Routine-OP sei ein Unglück gewesen, "er hatte alle Fäden in der Hand".

Dann die 70er Jahre mit der Gebietsreform und dem Antritt Peter Neubers 1975 im Rathaus. Plötzlich gab es neue Perspektiven: "Zauberwort Restrukturierungsprogramm". 1978 wurde das Stadtfest "grad se läds" (Meiser) aus der Taufe gehoben, 1979 das Blieszentrum. "Neuber hat ein Arbeitstempo vorgelegt, das vorher nicht da war", erinnerte sich Decker. Das konnte Meiser bestätigen, aber: "Wir als Zeitungsleute hatten das Gefühl, viel belogen worden zu sein." Wobei: "Als Fachmann war Neuber genau der Richtige, der Beste."

Dann die Demontage des Eisenwerkes in den 80ern. 1985 kam es zum Kontakt mit der ECE (entwickelt Einkaufszentren, d. Red.), die eigentlich viel lieber nach Saarbrücken wollte. "Aber wir haben gekämpft", plauderte Decker aus dem Nähkästchen. In Rekordzeit wurde das Center gebaut und 1989 eröffnet. Was einen "tiefen Grimm" bei den ansässigen Geschäftsleuten auslöste, der sich bis heute nicht wirklich gelegt hat. Wobei der Einbruch der Kaufkraft schon viel früher einsetzte, nämlich mit der Einführung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs im Eisenwerk. "Der Einkaufsschlauch von der Bahnhofstraße den Hüttenberg hoch war nicht zu halten", betonte Decker.

Und was bleibt? "Neunkirchen ist nicht charakterlos, sondern seinen Charakter los", befand Meiser und gab nonchalant zu: "Wenn ich wüsste, wo nebendran ein Arzt wohnt, würde ich wegziehen." Konstruktiver zeigte sich Bierbrauer, der "die Erinnerung an diese Stadt" gern im öffentlichen Bewusstsein bewahrt sehen möchte. Weshalb zwingend ein "echtes" Museum, das auch dem Stummschen Archiv gerecht wird, her müsse. Ein diesbezügliches Podiumsgespräch mit Museums-Experte Meinrad Maria Grewenig ist für den Jahresbeginn eingeplant.

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