Er will endlich wieder durchstarten

Neunkirchen · Gerd Erdmann, Gastronom und Künstler, ist bekannt wie ein bunter Hund, vor allem wegen seiner legendären Abende, bei denen er Essen mit Kunst verband. Sein Lyonersack, eine Art Calzone, wurde zu einem Renner. Nun sucht Gerd Erdmann nach einem Organspender, um wieder durchstarten zu können.

 Gerd Erdmann an der Theke seiner Musikkneipe. Seine langen Haare und die Brille sind seine Markenzeichen. Foto: Erdmann

Gerd Erdmann an der Theke seiner Musikkneipe. Seine langen Haare und die Brille sind seine Markenzeichen. Foto: Erdmann

Foto: Erdmann

Gerd Erdmanns wichtigster Begleiter ist das Handy. Es ist immer griffbereit, oft hat er es in der Hand und prüft, ob es auch aufgeladen ist. Denn Gerd Erdmann erwartet sehnlichst einen Anruf aus dem Uniklinikum in Homburg. Seit Monaten hofft er auf die erlösende Nachricht, dass er sich unverzüglich nach Homburg aufmachen solle, es habe sich ein Organspender gefunden. Noch bis vor zwei Jahren waren Gerd Erdmanns wichtigste Geräte der Pinsel und der Kochlöffel. Denn der 67-jährige Künstler, Koch und Restaurantbetreiber ist so etwas wie eine Legende im Raum Neunkirchen und darüber hinaus. Keiner konnte so elegant und charmant Kunst und Essen verbinden wie er, zunächst am Milchhof, dann in der Neunkircher Marienstraße, später im Gutshof in Furpach, zuletzt in der Neunkircher Willi-Graf-Straße.
Visionär und Macher

"Von Beruf bin ich eigentlich Bildhauer", erzählt Gerd Erdmann, der seine langen, inzwischen ergrauten Haare immer noch als Markenzeichen trägt, ebenso die typische Brille. Er stammt aus einer Bergmannsfamilie aus Göttelborn, "wir waren einfache Leute, aber schon mein Großvater hatte eine künstlerische Ader, man gab ihm den Spitznamen Kunstbergmann".

Seine saarländischen Wurzeln hat Erdmann nie verleugnet, auch nicht, als er für fünf Jahre nach Mallorca zog, um in einer kleinen Finca eine Bildhauerschule aufzuziehen. Das war Mitte der 80er Jahre, "da war ich meiner Zeit voraus", sagt Erdmann, "damals gab es noch nicht diesen Hype um Mallorca, da konnte man noch ein 350 Jahre altes Bauernhaus mit einem tollen offenen Kamin für einen Klicker und einen Knopf erwerben".

Gerd Erdmann lebte wie "vor 300 Jahren", es gab kein Telefon, kein Licht und kein Wasser, "ich habe das Holz rangeschafft und alles selbst gemacht". Seine Bildhauerkurse waren trotzdem gut gebucht, "auch ohne Internet".

Besonders schätzten die Bildhauerschüler das Essen, das Erdmann dazu kochte, "die Gäste waren begeistert". Nach fünf Jahren war das Mallorca-Abenteuer beendet, Erdmann verkaufte das Bauernhaus und kam wieder zurück in seine Heimat, wo er dann mit seiner kulinarischen Kreation "Lyonersack" einen echt saarländischen Coup landete.

Anlässlich des Saarlandtages vor über 20 Jahren sollten mehrere Köche der Landesregierung ein kreatives und innovatives Essen vorschlagen. Und Erdmann gewann mit einer besonderen Idee: Er formte einen Sack aus Hefeteig und füllte ihn mit Lyoner, Pilzen, Käse und Tomaten. "Es war eine Art saarländischer Calzone", lacht der Künstler-Koch, "das war kein elitäres oder schwieriges Gericht, das konnte jeder nachkochen, deshalb war es so erfolgreich." Der Lyonersack war auch prompt der Renner in seiner Furpacher Künstlerkneipe, in der sich Jazz- und Blues-Musiker die Klinke in die Hand gaben. "Ich wollte ein bunt gemischtes Programm bieten, eine Art hochwertigen Eintopf für alle Kulturinteressierten."

Das ist ihm über Jahre gelungen, "ich hatte Jam-Sessions, der Amby Schillo war oft da, es herrschte eine Super-Stimmung - und wenn die Speisekarte mal allzu erfolgreich lief, habe ich die Gerichte einfach 'runtergenommen und was Neues angeboten, so kam nie Langeweile auf."

2010 beschloss Gerd Erdmann, in der Neunkircher Willi-Graf-Straße ein historisches Haus aus dem 19. Jahrhundert zu erwerben, es zu restaurieren und im Erdgeschoss eine Kunstkneipe mit einer angeschlossenen Galerie im ersten Stock einzurichten.

Wie immer ging er voller Elan an die Arbeit, schuf ein gemütliches Kneipen-Ambiente, das mit seinem schwarzen Klavier und den roten Samtvorhängen ein wenig an ein Pariser Kabarett erinnert. Auch seine darüber liegende Wohnung restaurierte er sorgfältig, schliff die alten Dielen ab und verlieh den lange vernachlässigten, historischen Türrahmen wieder den alten Glanz.
Er gibt die Hoffnung nicht auf

Doch Anfang 2014 zeigten sich die ersten Anzeichen seiner Krankheit, eine genetische Veranlagung, die schnell fortschritt und den Betrieb der Musikkneipe unmöglich machte. Schweren Herzens, nach 25 Jahren in der Gastronomie, gab Erdmann Ende 2015 den Betrieb auf, "es ging einfach nicht mehr". Nun hofft er auf jemanden, der "dieses hübsche Ambiente übernehmen könnte, einen Koch, einen Künstler, irgend jemanden, der neues Leben in die Kneipe bringt."

Er selbst geht ab und zu hinunter und begutachtet die stillen Räume, die eigentlich nach Musik und Publikum verlangen. Er selbst verbringt die meiste Zeit des Tages im Bett und fühlt sich schwach. Seine Lebensgefährtin, eine quirlige und sympathische junge Frau, kümmert sich um ihn, umsorgt und pflegt ihn liebevoll: "Es soll ihm an nichts fehlen", sagt sie und macht ihm Mut, dass er nach der Transplantation wieder ein normales Leben führen könne.

Doch dafür müsse er erst einen Spender finden, sagt Erdmann, der die Hoffnung nicht aufgibt. Dabei betrachtet er sein Handy. Irgendwann wird es klingeln, das weiß er. Für diesen Moment hat er schon alles vorbereitet, er braucht nur einen Griff, um sein Köfferchen hervorzuholen, das schon gepackt ist für den Aufenthalt im Uniklinikum. Und dann beginnt wieder ein neues Leben. Für Gerd Erdmann, der sich schon so oft neu erfunden hat.

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