Neunkircher Zoo Eine Ärztin für 500 tierische Patienten

Neunkirchen · SZ-Volontärin Stephanie Schwarz begleitete die Neunkircher Zootierärztin einen Tag und schaute ihr über die Schulter.

Eine Ärztin für 500 tierische Patienten
Foto: Stephanie Schwarz

Die Zootierärztin Henrike Alma Gregersen sucht den Boden des Sittich-Geheges nach ihrem kleinen, gefiederten Patienten ab. Er ist leicht zu finden, denn er kann oder will anscheinend nicht fliegen. Der verletzte Nymphensittich sitzt in einer Ecke und macht einen etwas angeschlagenen Eindruck. Oberhalb des Schnabels hat er eine Verletzung, die sich die Zootierärztin täglich ansieht: "Ich nehme an, dass er eine Gehirnerschütterung hat. Ihm ist wahrscheinlich schwindelig oder übel und deshalb fliegt er nicht." Woher der Nymphensittich die Kopfverletzung hat, ist nicht bekannt. "Er könnte gegen ein Gitter oder eine Wand geflogen sein", sagt Gregersen.

Sie arbeitet seit mehr als drei Jahren als Tierärztin im Neunkircher Zoo und betreut fast 500 Tiere und etwa 100 verschiedene Tierarten. Dazu gehören unter anderem Schafe, Rothunde, eine Streifenhyäne, Lamas und Kängurus. Auch bei den Affen geht sie auf ihrem Rundgang regelmäßig vorbei. Im Schopfmakakengehege herrscht hektisches Treiben. Es gibt Frühstück. Futterneid scheint bei den schwarzen Schopfmakaken eine große Rolle zu spielen. Jede Hand und jeder Fuß hält mindestens ein Obststück. Sobald eine Hand leer ist, sucht der Affe schon nach dem nächsten Leckerbissen.

Bei den ebenfalls vom Aussterben bedrohten Orang-Utans geht es ruhiger zu. Die jüngste Orang-Utan-Mutter Rezeki sitzt gelassen auf dem Boden und spielt in einer kleinen Wasserpfütze. Die älteste Affendame Noah liegt entspannt in einer Hängematte und döst. Plötzlich zückt die Zootierärztin ihr Handy und macht rasch ein Video. Sie kann ihren Augen kaum trauen. Das elf Monate alte Orang-Utan-Baby Nanti klettert unter dem wachen Blick ihrer Tante Struppi ganz alleine an einem Gitter im Gehege. Das kleine Wesen zieht sich noch etwas wackelig, aber mit sicherer Hand nach oben. "Eigentlich klettern Orang-Utan-Jungtiere erst mit zwei oder drei Jahren so selbstständig. In dem Alter ist das sehr selten", sagt Gregersen. Solche Ereignisse gehören zu den schönen Augenblicken im Leben einer Zootierärztin. "Das schönste Gefühl ist, wenn ich einem kranken Tier helfen kann", sagt sie. Jedoch kommt es auch im Zoo zu traurigen Momenten, in denen selbst eine erfahrene Ärztin die Tiere nicht retten kann. "Wenn ich ein Tier einschläfern muss, geht mir das jedes Mal nah. Zum Beispiel der Tod von zwei erkrankten Trampeltieren im vergangenen Oktober und Dezember. Sie waren unglaublich nette Tiere. Das gesamte Personal mochte sie", sagt Gregersen. Nächster Halt ist das Sorgenschaf Lena. Das schwarze Ouessantschaf leidet unter einer Augenentzündung. Für die Zootierärztin eine Routineuntersuchung, wäre da nicht der streitlustige Schafbock Simba, der es gar nicht gerne sieht, wenn jemand seiner Herde zu nahe kommt. Eine Sekunde nicht aufgepasst, und schon rammt der Bock der Tierärztin seine Hörner in die Waden, während sie das Auge von Lena untersucht. Das lässt sich Gregersen natürlich nicht gefallen und sperrt den kampflustigen Bock kurzerhand in seinen Stall. Die Untersuchung ist vorbei, Simba darf wieder aus dem Stall. Zuerst kontrolliert er, ob seinen Schafen nichts passiert ist. Dabei behält er die Tierärztin ganz genau im Auge: "Simba mag es nicht, wenn man seinen Schafen zu nahe kommt. Da kann er schon mal etwas sauer werden", sagt Gregersen. Ein weiteres Sorgenkind der Zootierärztin ist eine Rothündin, der es vor wenigen Wochen plötzlich sehr schlecht ging. An einigen Stellen verlor sie Fell, und sie war sehr schwach. Sie lebt derzeit in einem abgetrennten Bereich und wird wegen schlechter Blutwerte mit Medikamenten und Infusionen aufgepäppelt. Die Rothündin sei zwar noch etwas wackelig auf den Beinen, aber auf dem Weg der Besserung. Die Tierärztin öffnet eine kleine Tür im Zaun, um näher an den abgetrennten Außenbereich der Hündin heran zu kommen. Seit kurzem haben die Pfleger einen männlichen Rothund zu ihr gelassen, damit er der Patientin Gesellschaft leisten kann. Gregersen raschelt mit ihrem Schlüsselbund. Die Rothunde reagieren und laufen aufgeregt am Zaun auf und ab. Die Zootierärztin sieht besorgt auf die kleine Hütte, in der ihre Patientin liegt. Noch einmal raschelt sie mit den Schlüsseln. Keine Regung. Falls niemand die kranke Rothündin heute gesehen hat, muss die Tierärztin mit zwei Pflegern in das Gehege, um nach dem Tier zu sehen. Es besteht der Verdacht, dass es ihr wieder schlechter geht. Im schlimmsten Fall könnte sie über Nacht gestorben sein.

 Zootierärztin Gregersen untersucht das Auge des Schafs Lena. Schafsbock Simba gefällt das gar nicht. Er wurde in die Hütte dahinter eingesperrt.

Zootierärztin Gregersen untersucht das Auge des Schafs Lena. Schafsbock Simba gefällt das gar nicht. Er wurde in die Hütte dahinter eingesperrt.

Foto: Stephanie Schwarz

Es herrscht Anspannung, als die Tierärztin versucht, einen Pfleger ans Telefon zu bekommen. Dann endlich Entwarnung: Ein Mitarbeiter hat die kranke Rothündin am Morgen bei der Fütterung gesehen. Für die Zootierärztin besteht also kein Grund, das Tier zu stören. Die Zahl der weltweit frei lebenden Rothunde wird derzeit auf weniger als 2500 Tiere geschätzt, und der Bestand geht jährlich weiter zurück. Aus diesem Grund zählen sie seit 2004 zu den stark gefährdeten Tierarten. Nach ihrem Rundgang geht es zurück ins Büro. An einer Wand hängen alte Schlangenhäute und auf dem Schreibtisch steht ein kleines Gewächshaus. "Jeder Tag ist anders. Mein Beruf macht Spaß, ist abwechslungsreich und sinnstiftend", sagt Gregersen. Bereits auf der Treppe zum Büro ist lautes Bellen zu hören. Schwanzwedelnd empfängt die Tierärztin eine kleine Mischlingshündin aus Rumänien. Sie springt sofort auf den Schoß ihres Frauchens und möchte gekrault werden. Kein Wunder, denn sie muss ihre Besitzerin täglich mit fast 500 Tieren teilen.

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