Ein Paragraphenwerk mit Knalleffekten

Neunkirchen. Ob man nun im Park zeltet, öffentlich jemand aus der Hand liest, ungenehmigt Salut schießt oder in städtischen Brunnen badet - mit genau 48 Verhaltensweisen begeht man in Neunkirchen eine Ordnungswidrigkeit

Neunkirchen. Ob man nun im Park zeltet, öffentlich jemand aus der Hand liest, ungenehmigt Salut schießt oder in städtischen Brunnen badet - mit genau 48 Verhaltensweisen begeht man in Neunkirchen eine Ordnungswidrigkeit. Die Liste der Verfehlungen ist definiert in der brandneuen "Polizeiverordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Kreisstadt Neunkirchen". Sie ist seit vergangener Woche (9. Februar) in Kraft und hat die alte städtische Polizeiverordnung abgelöst, die nach 20 Jahren Gültigkeit ihr Verfallsdatum erreicht hatte.Von 20 auf 27 Paragraphen angewachsen ist die Polizeiverordnung, die vom Oberbürgermeister in seiner Eigenschaft als Ortspolizeibehörde erlassen wird. "Ich wünsche mir, dass jeder Neunkircher das liest", so der augenzwinkernd fromme Wunsch von Bürgermeister Jörg Aumann. Aufgesetzt hat das Paragraphenwerk Holger Janes, Sachgebietsleiter mit 26 Jahren Erfahrung im städtischen Ordnungsamt. Janes ist zur Zeit Vorsitzender der "Arbeitsgemeinschaft der Leiter und Sachbearbeiter der Ortspolizeibehörden des Saarlandes", einer Einrichtung des Saarländischen Städte- und Gemeindetages.

Mit der Neufassung waren die Fortentwicklung der Rechtsprechung und neue Sachverhalte im täglichen Leben zu berücksichtigen. So taucht erstmals eine Genehmigungspflicht für den öffentlichen Gebrauch von Bildwerfern (Beamer, Dia-, Laserprojektoren und Ähnliches) auf. Oder Verbote mussten auf Grund richterlicher Deutung konkreter werde. So kann es jetzt nicht mehr allgemein heißen: "Betteln verboten!", sondern: "Aggressives Betteln verboten!". Auch das Verbot des öffentlichen Alkoholgenusses kann nur greifen, wenn eine der in einer längeren Aufzählung genannten negativen Folgen eintritt (siehe "Auf einen Blick"). "Mit einer allgemeinen Formulierung wäre ein Scheitern im Fall einer Gerichtsverhandlung wahrscheinlich. Die Polizeiverordnung muss vor dem Gesetz Bestand haben", sagen Aumann und Janes im Gespräch mit der unserer Zeitung.

Festgehalten sind erstmals auch die Bedingungen für Knalleffekte. Neunkirchen sei die erste Gemeinde die in einer Polizeiverordnung auf Feuerwerk, Böller- und Salutschießen eingeht: "Wir müssen das auf kommunaler Ebene regeln, weil im Saarland ein Landes-Emissionsgesetz fehlt", so Aumann.

Ebenfalls neu aufgenommen wurde, dass Veranstalter von gewerblichen Altkleidersammlungen eine Ordnungswidrigkeit begehen, wenn sie das Sammelgut nicht zum angekündigten Termin abholen. Andererseits ist derjenige, der Altmaterial herausstellt, auch für dieses verantwortlich, wenn der Abholtermin verstrichen ist. Das gilt beispielsweise, wenn falsch befüllte gelbe Säcke nicht mitgenommen werden.

Weiter gefasst wurde auch das Verbot der Taubenfütterung. Nachdem im vergangenen Jahr die Krähenfütterung im Wagwiesental zum Problem wurde, heißt es nun: "Es ist verboten im Stadtgebiet frei lebende Tiere, insbesondere wild lebende Tauben, zu füttern". Es sei sogar schon vorgekommen, dass Leute an der Bliesböschung Ratten gefüttert hätten, berichtet Janes. Wenn der städtische Ordnungsdienst darüber hinzukomme, stoppe er solch unerwünschtes Durchfüttern. Es sei auch schon vorgekommen, dass uneinsichtigen Mitbürgern die Futtertüte weggenommen wurde.

Neu, aber keineswegs der aktuellen Situation geschuldet - die Verordnung wurde bereits im vergangenen Jahr entworfen -, ist auch Paragraph 26, der das Betreten von Eisflächen verbietet, sofern sie nicht ortspolizeilich freigegeben sind. Aber hier, wie auch bei viele anderen Tatbeständen gilt: Keinem wird gleich der Kopf abgerissen. Janes formuliert das so: "Die Verhältnismäßigkeit ist wichtig. Wir verhängen nicht gleich Sanktionen, sondern unsere Ordnungskräfte versuchen, die Störung zu beseitigen." Wenn also beispielsweise jemand seinen Hund unangeleint durch öffentliche Anlagen laufen lässt, wird nicht gleich beim ersten Mal die Bußgeld-Keule ausgepackt.

Dies zeigt auch die Tatsache, dass im vergangenen Jahr bei der Umsetzung der Neunkircher Polizeiverordnung nicht mehr als 43 Verstöße durch Festsetzung eines Verwarnungs- bzw. Bußgeldes geahndet wurden. Im Sommer 2011, so besagt die Statistik weiter, wurden pro Monat durchschnittlich 65 Platzverweise, insbesondere wegen Störungen auslösendem Alkoholverzehr bzw. aggressivem Betteln ausgesprochen.Foto: SZ/Archiv

"Ich wünsche mir, dass jeder Neunkircher

das liest."

Bürgermeister

Jörg Aumann (augenzwinkernd)

Auf einen Blick

Beispiele aus der Polizeiverordnung:

§ 5: Frisch gestrichene oder gespritze Gegenstände an öffentlichen Straßen und Anlagen müssen durch ein Schild "Frisch gestrichen" gekennzeichnet sein, solange ein Abfärben möglich ist.

§ 8: Auf öffentlichen Straßen und in öffentlichen Anlagen ist es verboten, sich zum Konsum von Alkohol oder anderer berauschender Mittel niederzulassen, wenn als Folge andere Personen oder die Allgemeinheit durch Beschimpfungen, Grölen, Anpöbeln, Werfen, Liegenlassen oder Zerschlagen von Flaschen oder anderer Behältnisse, Notdurft-Verrichtungen, Erbrechen, Eingriffe in den Fußgänger- und/oder Fahrzeugverkehr gefährdet werden.

§ 9 Auf öffentlichen Straßen und in den öffentlichen Anlagen ist das aggressive, d.h. gezielt körpernah bedrängende Betteln, das Wahrsagen, das Handlinienlesen, das Kartenlegen u.ä. Tätigkeiten verboten. Ebenso ist das organisierte, gewerbsmäßige Betteln, das Betteln durch und mit Kindern sowie mit Zirkustieren verboten.

§ 24: Gewerbliche Musikdarbietungen und überlautes, störendes Abspielen von elektronischen Tonträgern sind in öffentlichen Anlagen verboten. Darbietungen durch Straßenmusiker oder -schauspieler ohne entsprechende Erlaubnis sind verboten.

 Auch aggressives Betteln ist verboten. Foto: bub

Auch aggressives Betteln ist verboten. Foto: bub

§ 25: Es ist verboten, öffentliche Brunnenanlagen zu verschmutzen oder deren Funktion durch Zuführen von Stoffen zu beeinträchtigen. Das Waschen, Baden in sowie die Wasserentnahme aus Brunnenanlagen ist verboten.

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