Pflegedienste „Panik ist der schlechteste Ratgeber“

Neunkirchen/Schiffweiler · Die Corona-Krise stellt Pflegedienste vor immense Herausforderungen. Für die 24-Stunden-Betreuung wird das Pflegepersonal aus dem Ausland knapp.Die Situation für ambulante Pflegedienste aus Neunkirchen ist „noch relativ normal.“

 Die Mitarbeiter der Pflegedienste sind zurzeit ganz besonders gefordert.

Die Mitarbeiter der Pflegedienste sind zurzeit ganz besonders gefordert.

Foto: dpa/Christian Charisius

Die Corona-Pandemie hat einschneidende Konsequenzen für das tägliche Leben. Bewegungsfreiheit beschränkt. Alleinerziehende ob der geschlossenen Schulen und Kitas nervlich am Anschlag. Unternehmer bangen um ihre Existenz. Es sind aber vor allem diejenigen, die im Alltag vorher schon auf fremde Hilfe angewiesen waren, bei denen die Verunsicherung nun rapide wächst. Denn wer kümmert sich in Zeiten von Corona um die Pflegebedürftigen, wenn doch der Kontakt mit anderen Menschen auf ein Minimum reduziert werden muss? Die Tagespflege – also die Versorgung in den Räumlichkeiten eines Pflegedienstes – ist durch einen Beschluss des Gesundheitsministeriums bis mindestens 20. April eingestellt. Und die ambulanten Dienste sowie die 24-Stunden-Betreuung stehen vor immensen Herausforderungen.

Der Sozialverband VdK Saarland warnt vor einem „Versorgungsnotstand“ in der häuslichen Pflege, mit der rund drei Viertel der 50 000 Pflegebedürftigen im Land versorgt werden. „Spätestens zu Ostern werden hunderte osteuropäische Betreuungskräfte in ihre Heimatländer zurückkehren und kaum noch neue nach Deutschland kommen“ prophezeit der VdK- Landesvorsitzende Armin Lang. Davon seien im Saarland rund 5000 Familien betroffen.

Auch Krystian Temi von der Pflegeherzen GbR in Schiffweiler schlägt Alarm. „Der Kollaps in der 24-Stunden-Betreuung ist nur eine Frage von ein paar Wochen“, sagt er. Osteuropäische Pflegekräfte seien verunsichert. Denn der logistische Aufwand, das Personal ins Saarland zu bringen, werde durch eingeschränkte Reiseverbindungen und Chaos an den Grenzen immer höher. Polnische Betreuerinnen und Betreuer, die hier noch auf gepackten Koffern sitzen, wüssten nicht, wann und ob sie nach Deutschland zurückkehren können. In der Heimat werden sie zunächst für zwei Wochen in Zwangsquarantäne gesteckt. Die Versorgung der Betreuten von Pflegeherzen sei daher gefährdet, Lücken müssten bereits jetzt von Angehörigen geschlossen werden, warnt Temi.

Aber auch die ambulante Pflege und Hilfsangebote in der Hauswirtschaft seien durch Corona beeinträchtigt. Zum einen aufgrund der Personalknappheit bei den Diensten. Aber auch weil ältere und kranke Menschen eine Ansteckung fürchteten und trotz ihrer Not auf eine Versorgung verzichteten. „Wir hatten jetzt Fälle, wo Pflegebedürftige unsere Mitarbeiter nicht rein lassen wollten. Dabei arbeiten wir selbstverständlich unter strengen Schutzmaßnahmen“, sagt Rainer Bleif, Leiter eines Pflegedienstes in Rohrbach. Er ergänzt: „Es gibt Patienten, die haben nichts zu essen zu Hause oder kein warmes Wasser und Heizung, die brauchen uns einfach.“ Auch Lang warnt, dass die ambulanten Pflegedienste den Ausfall der Kräfte aus Osteuropa kaum werden kompensieren können. „Die Angehörigen werden einspringen müssen. Das wird eine extreme Belastung“, warnt der VdK-Vorsitzende. Er fordert neben einem Lohnausgleich für pflegende Angehörige auch, dass die Landesregierung „sich auf Bundesebene dafür einsetzen muss, dass neue Betreuungskräfte über geregelte Wege nach Deutschland kommen können“. Der Versorgungsnotstand treffe auch schwerkranke Menschen, die jetzt zuhause versorgt werden müssen, weil in Reha-Einrichtungen, Heimen oder Akutkliniken Aufnahmestopps herrschen. „Für Menschen, die gar keine Angehörigen haben oder deren Familie nicht in der Nähe wohnt, sind die Folgen katastrophal“, sagt Lang.

Bei zwei ambulanten Neunkircher Pflegediensten ist die Situation derzeit aber zumindest noch nicht kritisch. „Bei uns läuft alles noch relativ normal“, berichtet Birgit Reppekus, Geschäftsführerin der Humanitas GmbH, die für die Versorgung von rund 120 Menschen verantwortlich ist. Zwar habe die Hilfe in der Hauswirtschaft eingeschränkt werden müssen. In der Pflege gebe es aber keine Engpässe. Zumindest in personeller Hinsicht nicht. Denn die Utensilien, mit denen die strikten Hygienemaßnahmen eingehalten werden, gehen allmählich zur Neige. Schutzbrillen, Masken, Kittel oder Handschuhe etwa. „Wir hätten in dieser Woche eine Lieferung bekommen sollen, die ist aber bis jetzt nicht eingetroffen“, sagt Reppekus. Positiv sei, dass noch niemand der Betreuten, die Humanitas versorgt, mit dem Corona-Virus infiziert sei. Personalausfall, weil Mitarbeiter sich beispielsweise aufgrund der Schul- und Kitaschließungen zu Hause um ihre Kinder kümmern müssen, gebe es nicht. „Das ist alles geregelt, oft kümmert sich der Ehepartner, der auf Kurzarbeit umgestellt worden ist.“ Vom Sozialverband VdK, der im steten Austausch mit dem Gesundheitsministerium stehe, fühle sich die Humanitas GmbH „umfassend über die Abläufe informiert“, die im Fall des Kontaktes mit einem Infizierten greifen. Dennoch gebe es Ängste und Sorgen. „Unsere Mitarbeiter sind gut ausgebildet und für alle Fälle gerüstet – aber großen Stress haben sie trotzdem“, weiß Reppekus.

Auch Markus Lieblang, Geschäftsführer der Pflegeambulanz Lieblang, zeichnete vor einer Woche noch kein allzu düsteres Bild. Unter den 380 Betreuten habe es noch keinen Corona-Fall gegeben. Personelle Engpässe gebe es derzeit ebenfalls nicht und auch die Bestände von Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln seien gut gefüllt. „Organisatorisch ist alles noch zu händeln. Und die Menschen, die wir pflegen, halten sich weitestgehend zu Hause auf. Die Gefahr, dass sie sich angesteckt haben, ist nicht so hoch wie bei Leuten, die viel unterwegs sind“, sagt Lieblang. Dennoch würden seine Mitarbeiter im Hinblick auf Corona ständig informiert und sensibilisiert. „Sie sollen die Pflegebedürftigen jeden Tag fragen, wie es ihnen geht. Aber auch in sich hineinhören, wie es ihnen selbst geht.“ Auch bei seinen Mitarbeitern steige der Stressfaktor – vor einer vollkommen neuen Situation stünden sie aber nicht. „Infektionsgefahr besteht auch bei anderen Krankheiten. Durch Hepatitis zum Beispiel. Das ist immer eine Herausforderung. Aber für solche Situationen sind unsere Mitarbeiter in der Pflege ausgebildet worden.“ Die Betreuung eines Pflegebedürftigen würde selbstverständlich auch dann fortgesetzt, wenn eine Corona-Erkrankung vorliegt. „Der Unterschied ist neben der Schutzausrüstung, dass dann nur noch eine Pflegerin oder ein Pfleger für den Erkrankten verantwortlich ist. Dann wird nicht mehr rotiert“, erklärt Lieblang.

Trotz der großen Herausforderungen für die Pflege appelliert Reppekus daran „dass Panik jetzt der schlechteste Ratgeber ist. Das bringt niemandem etwas. Uns nicht – und den Pflegebedürftigen erst recht nicht.“ Und Lieblang sagt: „Wir nehmen die Situation sehr ernst. Aber wir werden – und wir können – den Kopf nicht in den Sand stecken. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch die Corona-Krise meistern.“

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