"Borussia war wie eine Familie"

Neunkirchen. Nur ungefähr 450 Zuschauer fanden durchschnittlich den Weg zu den Spielen der Neunkircher Borussia in der zurückliegenden Oberligasaison. In der Saison 1964/65, die von der Borussia auf dem 10. Tabellenplatz der Bundesliga beendet wurde, sahen sich im Schnitt 27 000 Fans die Heimspiele an

Neunkirchen. Nur ungefähr 450 Zuschauer fanden durchschnittlich den Weg zu den Spielen der Neunkircher Borussia in der zurückliegenden Oberligasaison. In der Saison 1964/65, die von der Borussia auf dem 10. Tabellenplatz der Bundesliga beendet wurde, sahen sich im Schnitt 27 000 Fans die Heimspiele an.Diese glorreiche Vergangenheit erfuhren Schüler des Gymnasiums am Krebsberg im Rahmen des Projekts "Oral History: Bundesligaalltag in Neunkirchen". So berichtete Joachim Weber (66, Vorstandsmitglied seit 34 Jahren), "aus jedem Haus fuhren dann die Kinder mit ihren Vätern zu den Spielen, und das war praktisch eine Pflicht für jedes Heimspiel, nein, keine Pflicht, eher eine Freude für jede Familie." Mit sechs Jahren besuchte er zum ersten Mal ein Spiel und erinnert sich noch genau an den 3:2-Sieg gegen Kaiserslautern, damals amtierender deutscher Meister.

Fast alle der anwesenden Fans besuchten von klein auf die Spiele. Wie es Heylmann Luther (73, ehemaliger Amateurspieler) ausdrückt: "Borussia war wie eine Familie." Luther spielte von klein auf für die Borussia und war in der großen Zeit des Vereins bei jedem Heimspiel und vielen Auswärtsspielen zu Gast. "Heimspiel ein gesellschaftliches Ereignis", auch Ludwig Glück (73, Fan seit 1947), berichtet: "Die Stimmung war wie heute auf dem Stadtfest." Viele Fans schwärmen noch immer von "Worschd un Bier".

Fußballschuhe selbst genagelt

Die gewaltige Resonanz erklärt Weber auch damit, dass "Fußball das Hobby von allen Jugendlichen" war. Man identifizierte sich mit seinem Verein, egal, wie die Mannschaft spielte, meint Helmut Ferrang, der seit 1958 treuer Fan ist. Noch immer gilt für ihn: "Wenn die Borussia mich braucht, bin ich da." Der Wunsch von Heylmann Luther ist, dass die Fans heute so sind wie früher: diszipliniert und friedlich. Oft kannten die Fans Spieler persönlich. Gerhard Alsfasser erzählt, dass sein Vater öfter Spieler nach Hause zum Essen einlud. Mehreren Zeitzeugen zufolge veränderte sich nicht nur die Mentalität der Fans, sondern auch die der Spieler. Bei -18 Grad im Winter, erzählt Ferrang, spielten die Borussen in kurzen Hosen. Bei extrem hohem Schnee wurde die Spielfläche einfach platt gewalzt.

Luther ergänzt: "Früher haben wir unsere Fußballschuhe selber genagelt." Paul Georg (ehemaliger Amateurspieler) meinte, dass der Fußball früher "härter, aber fairer" gewesen sei. Zu den eindrucksvollsten Spielen der Interviewpartner gehört der 3:1-Triumph über den HSV am 12. September 1964. 33 000 Zuschauer überfüllten damals das nur für 30 000 Zuschauer vorgesehene Stadion Ellenfeld. Vor noch größerer Kulisse fanden die Spiele statt, die 1964 zum Aufstieg in die Bundesliga führten: Im Saarbrücker Ludwigspark waren über 40 000 Fans bei den Spielen gegen Bayern München (0:1) und Tasmania Berlin (1:0). Der anschließende Autokorso über die Grülingstraße ist für Alsfasser ein Glanzlicht seiner Jugend. red

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