Experten-Gespräch Aufwach-Argumente gegen Impfmüdigkeit

Neunkirchen · Impfen dient dem Eigenschutz, aber auch dem Schutz anderer. Das betont ein Experte im Gespräch mit unserer Zeitung.

 Experten raten zu einem verantwortungsbewussten Impfen. SymbolFoto: GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG/dpa

Experten raten zu einem verantwortungsbewussten Impfen. SymbolFoto: GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG/dpa

Foto: GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG/dpa

Warum Impfungen wichtig sind, erklärt der in Neunkirchen praktizierende Kinderarzt Dr. Benedikt Brixius.

Herr Brixius, Frühlings- und Sommerzeit ist auch die Zeit der Zecken. Nur dumm, dass man sich gegen Zeckenbisse nicht impfen lassen kann, oder doch?

Dr. Benedikt Brixius: Grundsätzlich gibt es leider keine Impfung gegen die Zecken selbst. Zecken gehören zu der Gattung der Milben, können sich mit ihren Greifarmen in der Haut festhaken und mittels eines Rüssels Blut saugen. Dabei sind Übertragungen von Krankheiten möglich. In Deutschland sind die relevantesten Krankheiten die Borreliose und die FSME (Früh-Sommer-Meningo-Enzephalitis). Nur gegen die FSME kann man impfen. Bei Ausbruch einer Borreliose kann mit Antibiotikum behandelt werden, das aber bei der FSME (Virusinfektion) keine Wirkung hat. Zur Grundimmunisierung gegen die FSME bedarf es dreier Impfungen, die im Schnell- oder Normalschema durchgeführt werden. Auffrischimpfungen sind notwendig.

Welche Gefahren gehen von einem Zeckenbiss, beziehungsweise von FSME aus?

Brixius: Zeckenbisse selber können wie andere Insektenstiche Lokalreaktionen auslösen, stellen also in der Regel kein Problem dar. Bei einer FSME kommt es drei bis 14 Tage nach einem Stich der Zecke zu Kopf- und Gliederschmerzen. Nach einem beschwerdefreien Intervall von einem Tag bis 20 Tage kommt es bei zirka 20 Prozent erneut zu Fieber, dann mit Bewusstseinsstörungen, Hirn- und Hirnhautentzündungen sowie Lähmungen von Armen und Beinen, aber auch Schluckstörungen sind möglich. Aber deshalb die Natur zu meiden, ist auch nicht der richtige Ansatz.

Wer sollte sich denn gegen FSME impfen lassen? Gibt es etwa Einschränkungen beim Alter?

Brixius: Im Saarland ist eine FSME sehr selten. Andere Regionen in Deutschland, insbesondere in Baden-Württemberg und Bayern, sind deutlich gefährdeter. Grundsätzlich ist die FSME-Impfung ab einem Jahr zugelassen, schwere Verläufe der Erkrankung unter drei Jahren sind sehr selten. Menschen, die leicht einen Zeckenbiss bekommen oder in eine Risikoregion reisen, sollten geimpft werden. Trotzdem in die Natur: Hautareale, die Eintrittsstellen für Zecken darstellen (Kragen, Hosenbein) mit Repellents einreiben, um den Biss zu vermeiden. Abends die Haut auf Zeckenbisse untersuchen und gegebenenfalls Zecke entfernen und Bissstelle desinfizieren.

Wenn es um das Thema Impfen geht, gerade bei Kindern, treten immer auch Impfgegner auf den Plan. Ein Berliner Kinderarzt hat kürzlich mit einem Plakat in seiner Praxis auf sehr spezielle Art auf die Wichtigkeit von Impfungen hingewiesen. Darauf stand: "Sie müssen nicht alle Ihre Kinder impfen lassen - nur die, die Sie behalten wollen." Was steckt dahinter?

Brixius: Natürlich ist der Plakatspruch sehr provokativ. Vermutlich soll er wachrütteln. Wir diskutieren mit den Eltern vermehrt über Nebenwirkungen der Impfungen, was auch verständlich ist bei der Fülle der angebotenen Informationen, doch tritt dabei deutlich in den Hintergrund, wie gefährlich die Erkrankungen eigentlich selbst sind, gegen die wir impfen, wie viele Kinder früher an diesen Erkrankungen verstarben. Ich habe bis auf Diphtherie und Tetanus alles noch live gesehen und hoffe, diese Erkrankungen nicht mehr behandeln zu müssen. Grundsätzlich bestehen aber auch bei Erwachsenen immer wieder Impflücken, die uns gerade bei Masern große Sorgen machen. Die Impferfolge der Vergangenheit haben viele Krankheiten vergessen lassen und auch die Angst vor diesen genommen. Das verursacht Impfmüdigkeit. Problematisch ist auch, dass ungeimpfte Kinder Gemeinschaftseinrichtungen besuchen dürfen und im Erkrankungsfall immungeschwächte Kinder anstecken können, die dann schwere Verläufe erleiden müssen.

Wogegen sollte man sich unbedingt impfen lassen?

Brixius: Es sollte bei Babys und Kleinkindern gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Kinderlähmung, Haemophilus Influenza Typ B, Hepatitis B, Pneumokokken, Masern, Mumps, Röteln, Windpocken und Rotaviren geimpft werden. Gegen einen Teil dieser Erkrankungen sind Auffrischimpfungen nötig. Ab neun Jahren wird empfohlen, Mädchen gegen HP-Viren (Verursacher des Gebärmutterhalskrebs) zu impfen.

Und die Krankenkassen zahlen all diese Impfungen?

Brixius: Die Kosten dieser Impfungen werden übernommen.

Gibt es auch weniger sinnvolle Impfungen?

Brixius: Impfungen sind dann nicht sinnvoll, wenn die Therapie der zu impfenden Krankheit weniger Nebenwirkung hat als die Impfung selbst, wie zum Beispiel bei der Tuberkuloseimpfung (BCG-Impfung). Dies bezieht sich zumindest auf Westeuropa und wird daher seit Jahren nicht mehr in Deutschland geimpft. Auch die Impfung gegen Hepatitis A macht für Menschen, die keinen Kontakt mit erkrankten Personen haben, keinen Sinn, weil das Klima für diesen Erreger in Westeuropa zu kühl ist. Noch. Andere Reiseimpfungen sind für Deutschland ebenso unnötig: Gelbfieber, Cholera und so weiter. Auch hilft eine FSME-Impfung nicht gegen einen gefährlichen Erreger, der in der Türkei von Zecken übertragen wird und nichts mit der FSME zu tun hat.

Erwachsene nehmen es mit dem Impfen häufig ja nicht mehr so genau, wie man beobachtet. Fahrlässig, oder?

Brixius: Versäumen Erwachsene Auffrischimpfungen, so gefährden sie sich nicht nur selbst - viele dieser Erkrankungen sind im Übrigen mit zunehmendem Alter besonders gefährlich: Ein Vater, der gerade an Keuchhusten erkrankt ist und als Symptom nur einen hartnäckigen Schnupfen hat, kann sein neugeborenes Kind anstecken, welches durch Atempausen in eine lebensbedrohliche Situation kommen kann. Ein furchtbares Szenario, was leider immer wieder vorkommt. Daher sollten Erwachsene nicht nur aus Eigenschutz geimpft sein.

 Kinderarzt Dr. Benedikt Brixius. Foto: Brixius

Kinderarzt Dr. Benedikt Brixius. Foto: Brixius

Foto: Brixius

Die Fragen stellte Marc Prams.

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