Armut: Einzelschicksale statt Prozent-Anteile

Neunkirchen · Welche Altersgruppe, welches Geschlecht, welche Berufsgruppen sind besonders von Armut bedroht? Antworten darauf gibt der saarländische Armuts- und Reichtumsbericht, der auch in Neunkirchen vorgestellt wurde.

Da gehört schon ein Stück Courage dazu: Das Gespräch mit Bürgern über Armut und Reichtum ausgerechnet Wand an Wand mit der Neunkircher Tafel zu suchen. Eingeladen hatte das Sozialministerium, Aufhänger war der erste saarländische Armuts- und Reichtumsbericht, den Mitverfasser Jürgen Faik zunächst in groben Zügen vorstellte.

So ist die Armutsrisikoquote im Saarland niedriger als etwa im benachbarten Rheinland-Pfalz oder in Nordrhein-Westfalen, zudem liegt eine etwas moderatere Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen vor im Vergleich zu Westdeutschland. Kritisch sei allerdings das steigende Risiko für Altersarmut. "Dies hängt mit der geringer werdenden Bedeutung der Knappschaftsrenten im Saarland und der vergleichsweise geringeren Berufstätigkeit der Frauen zusammen", erklärte Staatssekretär Stephan Kolling. Dafür sei das Armutsrisiko bei den unter 18-Jährigen weitaus geringer als in anderen Bundesländern, auch bei Alleinerziehenden.

Was bei den Zuhörern kaum für Jubel sorgte: "Sie sprechen hier von Prozenten, aber es geht um einzelne Menschen", ärgerte sich Pfarrerin Brit Goedeking. "Es ist eigentlich ein Skandal, dass es Tafeln und Sozialkaufhäuser gibt", betonte Wolfgang Biehl, Geschäftsführer des Diakonischen Werkes an der Saar. "Wir sind Ausputzer für das, was staatlich nicht läuft." Er sieht nicht, dass sich etwas zum Besseren wendet, gerade im Hinblick auf Rentner. Für Kolling sind Tafeln "kein Schandfleck", sondern "ein Indikator für eine gut funktionierende soziale Gemeinschaft", was im Saal für hämische Lacher sorgte. Natürlich müsse man sich Gedanken machen, wie man die gesetzliche Rentenversicherung stärke, lenkte der Staatssekretär ein. Ob ein Anheben der Beiträge "am Ende des Tages konsensfähig ist", wage er aber zu bezweifeln.

Das Thema Verteilungsgerechtigkeit brachte Caritasdirektor Michael Schütz auf den Tisch. "Wir akzeptieren, dass manche gar keine Steuern zahlen." Ein progressives System zur Umverteilung wäre "der gerechtere Weg", stimmte Faik zu. Etwas mehr Verhältnismäßigkeit mahnte eine Zuhörerin an. "Schauen sie mal nach Italien. Die meisten südlicheren Länder hätten gerne unsere Probleme. " Oder man schaut nach Schweden, wie es Kolling zuvor getan hatte: "Dort entscheidet der Landrat, ob man eine Hüft-OP bekommt", in der Apotheke sind 120 Euro Zuzahlung pro Quartal fällig, beim Facharzt pro Behandlung 50 Prozent.

Diakon Oswald Jenny lenkte den Blick zurück in die eigene Kirchengemeinde: "85 Prozent der Kinderbetreuungskosten in unseren Einrichtungen werden vom Landkreis bezahlt." Für ihn lautet eine ganz zentrale Frage: "Wie können wir Menschen motivieren, ihr Milieu zu verlassen?" Auf das "große sozialpolitisch ausgewogene Konzept" lohne es kaum zu warten. "Das werden wir nicht hinkriegen", befürchtet Kolling. Aber man nehme viele Anregungen mit ins Ministerium.

Der Armuts- und Reichtumsbericht, der 2012 beim Institut INIFES in Auftrag gegeben wurde, basiert auf den Ergebnissen früherer Bürgerforen und auf aktuellen Daten. Schwerpunkte der Untersuchung waren die Lebenslage Älterer sowie die von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Saarland.

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