Neunkircher Forum für Freiheit, Demokratie und Antifaschismus Ein Beitrag zur Erinnerungskultur in Neunkirchen

Neunkirchen · Stadterkundungs-Tour führte zu dreizehn Stationen, die von der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und des Widerstandes zeugen.

 Teilnehmer der antifaschistisch-historischen Stadterkundung Neunkirchen

Teilnehmer der antifaschistisch-historischen Stadterkundung Neunkirchen

Foto: Gerhard Scha

In Kooperation mit der Volkshochschule hatte das Neunkircher Forum für Freiheit, Demokratie und Antifaschismus – nach coronabedingter Pause – wieder zu einer antifaschistisch-historischen Stadterkundung geladen. Als Beitrag zur aktiven Erinnerungskultur in Neunkirchent wurde über Ursachen, Wesen und katastrophale Folgen der NS-Diktatur ebenso informiert wie über die vielfältigen Formen des Widerstandes.

Die Gruppe suchte dreizehn Stationen auf, die von der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und des antifaschistischen Widerstandes Zeugnis ablegen, wie es in einer Pressemitteilung des Forums für Freiheit, Demokratie und Antifaschismus weiter heißt

Gestartet vor dem Bürgerbüro, wurde am Synagogenplatz über die Zerstörung des jüdischen Gotteshauses am 10. November berichtet und daran erinnert, dass viele der vor 1935 in Neunkirchen lebenden Jüdinnen und Juden verhaftet, gefoltert, ausgeraubt, deportiert, in Konzentrationslager verschleppt und auf grauenvolle Weise ermordet worden seien.

Der Weg führte unter anderem an zahlreichen Stolpersteinen vorbei – dem Kunstprojekt von Gunter Demnig. Mit den Steinen wird der Opfer der NS-Zeit gedacht. Sie erinnern an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Sinti und Roma, der politisch Verfolgten, der Euthanasieopfer, der Homosexuellen.

Geschichtsträchtig auch die Schloss- und die Spieser Straße. Gegenüber dem jetzigen Standort der Glocken der ehemaligen Paulus-Kirche – die dem Zugriff der Nazi-Behörden entgingen und nicht auf einem der Glockenfriedhöfe für „kriegsverwertbares Material“ landeten, wie geschätzte 80 000 Kirchenglocken aus Deutschland und den besetzten Gebieten – befand sich das bei einem Bombenangriff zerstörte Jägermeisterhaus. Während der NS-Zeit waren dort die Dienststelle der Gestapo und die NSDAP-Kreisleitung untergebracht, die Schaltzentrale für Verfolgung und Terror gegen die Widersacher des Naziregimes.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfuhren, dass auf dem Betriebsgelände der ehemaligen Ziegelei Köppel ein eigenes Lager für Zwangsarbeiter eingerichtet worden sei und dass allein im Umfeld von Neunkirchen ein Netz von 23 Barackenlagern existiert habe, in denen der nationalsozialistische Staat unter KZ-ähnlichen Bedingungen Menschen einpferchte. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden mehr und mehr Männer eingezogen, die Rüstungsindustrie lief auf Hochtouren, in den Industrie- und Bergbaubetrieben entstand ein zunehmender Mangel an Arbeitskräften. Aus den besetzten Gebieten wurden Männer und Frauen deportiert und im Neunkircher Eisenwerk, den Gruben König, Reden, Kohlwald, Heinitz und Dechen, der Menesa (heute Eberspächer) und einer Reihe anderer Unternehmen Neunkirchens zur Sklavenarbeit gezwungen. Ab 1942 kamen in Folge des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion zahlreiche russische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter nach Neunkirchen. Viele der Verschleppten verloren unter den unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen ihr Leben. Schlichte Grabsteine auf Neunkircher Friedhöfen erinnern an ihr Schicksal. Die im städtischen Raum platzierten Mahn- und Gedenkzeichen des kürzlich verstorbenen Neunkircher Künstlers Seiji Kimoto gemahnen eindrucksvoll an das Leid dieser Menschen.

Im Mittelpunkt des weiteren Verlaufs der Exkursion standen die Lebensgeschichten bekannter Neunkircher Antifaschisten, wie es weiter heißt.

Berichtet wurde zum Beispiel über den Augenarzt Dr. Karl Schneider. Aktiv im Abstimmungskampf für eine Status-quo-Regelung, vertrat er nach der Eingliederung des Saargebietes in das Deutsche Reich 1935 weiterhin seine kritische Haltung gegenüber dem Hitlerstaat. Am 15. April 1940 wurde er verhaftet, in „Schutzhaft“ genommen, ins KZ Sachsenhausen und dann nach Dachau verschleppt. Dort starb er am 5. November 1940 unter „ungeklärten Umständen“. Ein Gedenkstein auf dem Scheiber Friedhof ist Dr. Karl Schneider gewidmet.

Ausführliche Informationen gab es unter anderem über den Künstler Franz Schnei.

In Neunkirchen vor allem durch die von ihm für das ehemalige Stadtbad geschaffenen Mosaiken bekannt, war das Leben und Schaffen von Franz Schnei geprägt durch sein Engagement gegen Faschismus und Krieg.

Ihren Abschluss fand die Stadtführung vor dem 1994 errichteten Denkmal für Eduard Senz. Als „Dienstmann Nr. 2“ war er stadtbekannt. Viele Anekdoten ranken sich um seine Persönlichkeit, wie es weiter heißt. Nach Erkrankung und Unterbringung in der Heil- und Pflegeanstalt Merzig wurde er Opfer der unsäglichen Krankenmorde im Rahmen der „Aktion T4“. Die systematische Ermordung von Menschen mit geistigen, körperlichen und seelischen Behinderungen sei eine der perfidesten Schandtaten des NS-Regimes gewesen.

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