Alex-Deutsch-Schule Wellesweiler Stasi, Spione und Social Media

Wellesweiler · Norman Liebold ist Autor und Künstler. Bei einem seiner Workshops an der Bosener Mühle lernte er Jan Grüntjes kennen, der auch Lehrer an der Alex-Deutsch-Schule in Wellesweiler ist. So kam die Idee zu einem gemeinsamen Literaturprojekt zustande.

Zwischen Lesung und Theater: Norman Liebold beim Vortrag seiner Novelle „Patentsache“.

Zwischen Lesung und Theater: Norman Liebold beim Vortrag seiner Novelle „Patentsache“.

Foto: Jan Grüntjes

Autor Norman Liebold war auf Einladung der Alex-Deutsch-Schule in Wellesweiler zu Gast, um für die Klassenstufe 8 seine sozialkritische Novelle „Patentsache“ vorzutragen und mit den Schülern und Schülerinnen über Text und Inhalt zu diskutieren. Die Veranstaltung fand im Rahmen der Methodenwoche statt und wurde von Lehrer Jan Grüntjes initiiert und organisiert, heißt es in einer Pressemitteilung.

Gemeinsam hatten Grüntjes und Liebold die geeigneten Erzählungen aus dem breit aufgestellten Ouevre des Autors gesichtet und sich für „Patentsache“ entschieden – auch im Sinne eines Experimentes, denn es handelt sich um einen durchaus fordernden Text, der innerdeutsche Teilung, Wiedervereinigung, die Propaganda-Sprache des DDR-Regimes, Überwachung durch die Stasi ebenso thematisiert wie soziale Medien und ihre Gefahren, Digitalisierung und den durch die modernen Medien gläsern gewordenen Mensch.

Nicht zuletzt würde dies auch sprachlich eine Herausforderung werden, so wenn der ehemalige Staatssicherheitsagent in den Jargon leninistisch-marxistischer Polemik verfällt oder die Geschichte der EDV mit den entsprechenden Fachbegriffen zusammenfasst.

Zu Beginn stellte Grüntjes den Autor vor. Er stammt ursprünglich aus der ehemaligen DDR, wo seine Eltern Opfer der Staatssicherheit geworden waren, als er in demselben Altergewesen war wie die Schüler und Schülerinnen jetzt sind.

Das Interesse war geweckt und in offener Diskussion machte er die Zeit vor der Wende erlebbar, auch mit persönlichen Erlebnissen eines Kindes, dessen Eltern unter Verhören, Ausgrenzung und Bedrohungen zu leiden hatten. Nur wenigen der Schüler war bewusst, dass Deutschland geteilt gewesen war und sich die beiden politischen Systeme als Feinde gegenüber gestanden hatten. Erstaunen folgte Interesse und Entsetzen, vielleicht auch vor dem Hintergrund, dass ein dem Westen gegenüberstehendes Russland jetzt gerade wieder schrecklich aktuell geworden ist.

Mit einer Improvisation auf der Klarinette schuf Liebold den Übergang zum Beginn der eigentlichen Lesung. Die Geschichte steigt damit ein, dass ein sehr kurioser älterer Herr einen Anwalt für Urheberrechtsverletzungen aufsucht. Es stellt sich nach und nach heraus, dass es sich um einen untergetauchten Funktionär der Staatssicherheit handelt, der 1984 den perfekten Plan zur totalen Überwachung entwickelt hatte. Während er seinen Plan im Duktus sozialistischer Phrasen mit zunehmender Erregung darstellt – Liebold wanderte hier brüllend durch die Reihen der Schüler – zeigen sich die Parallelen zu den heutigen Erscheinungen von social media wie Facebook, TicToc, Tinder und Snapchat.

Der Plan des Stasi-Funktionärs scheitert, da er die homosexuelle Beziehung eines Ministers aufdeckt. Glücklicherweise hat er sich zuvor seine Erfindungen patentieren lassen. Nun fordert er vom Anwalt, dass dieser die Lizenzrechte an Internet, Online-Shops, Facebook und social media für ihn einklagt. „Das ist Sprengstoff!“ schreit Liebold begeistert in der Rolle des Anwalts. „Wir werden sowas von stinkreich!“

Das ist der Punkt, an dem die Geschichte kippt: Der BND und ein offensichtlich amerikanischer Geheimdienstler stehen plötzlich im Büro und lassen alle Beweise verschwinden.

Der Anwalt stolpert seitdem verunsichert durch eine ihm fremd gewordene Welt, in der der Stasi-Plan von CIA und NSA nach der Wende Stück für Stück umgesetzt worden ist: Jetzt sieht er überall die Kameras, sein Smartphone wird ihm zur Super-Wanze.

Gut 60 Minuten lauschten die Schüler dem Literaturvortrag. „Boah, habe ich mich erschreckt”, lacht einer mit Grinsen, und es ist nicht ganz sicher, ob er die Momente meint, wo Liebold aus seinem Lesestuhl hochspringt und erregt als um seine Erfindung betrogener Stasimann gegen den Imperialismus wettert – oder weil er sich vielleicht dessen bewusst geworden ist, wieviel er von sich preisgibt auf TicToc und Instagram.

Der Lesung folgte eine lebhafte Diskussion, die über Influencer, Youtuber und über persönliche Erfahrungen mit social media bis hin zu Fragen an den Autor ging, ob er auf Youtube, Instagram und Facebook vertreten sei und man seine Bücher auch auf Audible anhören könne. Liebold bejahte dies mit einem Schmunzeln: „Wenn Ihr Lust daran habt, da gibt es noch andere Geschichten zum Anhören, und in der Schulbibliothek lasse ich ein paar Bücher – die kann man auch lesen. Morgen gibt es bestimmt ein paar Bilder von heute auf Instagram, aber wenn Ihr auf Facebook geht, werdet Ihr nicht herausfinden, wie alt ich bin, ob ich eine Frau und Kinder habe und welcher Religion ich angehöre…”

Nach anhaltendem Applaus bedankte sich Liebold bei seinen Zuhörern und bei Jan Grüntjes für die Organisation. „Das hat alles geklappt wie am Schnürchen“, sagt er. „Und der Kaffee bei Euch ist eine Erwähnung wert!“

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