Kolumne Trimm dich fit mit Jürgen Hingsen

Na, auch schon in die Trainingsbuxe gesprungen und durch den Wald gehottet? Sport ist ja seit ein paar Wochen das ganz große Ding. Laufsport vor allem. Aber ich verrate Ihnen jetzt mal, wie das in der Regel abläuft:

 Marc Prams

Marc Prams

Foto: SZ/Robby Lorenz

Aus irgendwelchen Gründen fasst man den Entschluss, endlich wieder Sport zu treiben. Sei es, weil’s im Rücken schon verdächtig scheppert, wenn man nur das Gurkenglas beim  Aufdrehen im falschen Winkel hält, weil man nach der dritten Stufe jappst wie Reinhold Messner am Gipfel des Mount Everest, oder weil die Plauze im Laufe der Jahre so groß geworden ist, dass sie schon eine eigene Plauze hat. Beim Blick in den Kleiderschrank wird dann schnell klar, dass die jüngsten Sportklamotten aus einer Zeit stammen, in der Jürgen Hingsen noch als deutsche Antwort auf Tom Selleck galt. Ein neues Outfit muss  her. Schnatze Shorts, schickes Shirt, 150-Euro-Latschen. Alles vom Feinsten. Und in dem Zwirn steigt man dann in die Karre, legt den isotonischen Energy-Drink auf den Beifahrersitz, fährt zum Waldparkplatz und joggt los. Schön flott. Soll ja niemand merken, dass man die letzten Jahrzehnte im Schongang verbracht hat. Denn auch wenn man seinen Körper in dieser Zeit in Sachen Fitness rein gar nichts zugemutet hat, ist da noch immer die Erinnerung an die Schulzeit. Da war die Zwei in Sport eine sichere Bank und jeder Trimm-dich-Pfad wurde ohne den Hauch einer Anstrengung gemeistert. außerdem gab’s bei den Bundesjugendspielen regelmäßig eine Urkunde. Zugegeben, die bekam man schon, wenn man einigermaßen sicher seine Schuhe binden konnte, aber egal: Man war mal sportlich, und der Körper vergisst ja nichts.

In dem Wissen flitzt man also los: 100 Meter, 200 Meter – und merkt, dass einem selbst die geilsten Treter beim Laufen nicht die Arbeit abnehmen. Also wird ein Gang runter geschaltet. Besser gleich zwei. Bei Kilometer eins erinnert dann die nette Stimme der Handy-App daran, dass man seit 14 Minuten unterwegs ist. 14 Minuten voller Schmerzen und Quälerei. Die Mauken brennen, die Lunge pfeift aus dem letzten Loch, die Kniescheiben sind offenbar in Richtung Oberschenkel verrutscht und die Pumpe hämmert mit einer solchen Wucht gegen den Brustkorb, dass man jeden Moment mit dem Durchbruch rechnen muss. Und als ob nicht alles schon schlimm genug wäre, überholt einen ausgerechnet in diesem Moment  die Senioren-Nordic-Walking-Truppe, die sich in heimatlicher Verbundenheit pfiffiger Weise „Eppelborn To Be Wild“ nennt und ruft aufmunternd zu: „Nur nicht aufgeben, junger Mann. Der Weg ist das Ziel.“

Ganz klar: Es ist Zeit für den Rückweg, an dessen Ende die freundliche App-Stimme berichtet, die immerhin zwei Kilometer und 187 Meter in 34 Minuten und 17 Sekunden geschafft zu haben. Und spätestens wenn man nach dem Duschen auf der Couch sitzt und vor lauter Muskelkater nicht dazu in der Lage ist, die Füße auf den Tisch zu wuppen, herrscht Gewissheit: Der Körper vergisst nichts. Weder die 12 000 Fluppen der letzten Jahre noch den täglichen Nachschlag in der Kantine oder die regelmäßigen Weizenbier-Exzesse, verbunden mit einem zünftigen Grillabend. Nur eins hat er offenbar vergessen: die Urkunde bei den Bundesjugendspielen. Aber immerhin: Ein Anfang ist gemacht. Und eines Tages wird dieser Körper wieder gestählt sein und im Saft stehen wie eine Magnum-Flasche Champagner. Dann wird man an den Ü70-Nordic-Walkern vorbei ziehen wie Daley Thompson 1984 an Jürgen Hingsen. Ja, die werden schon sehen, wer hier „born to be wild“ ist. Und zwar ganz ohne Eppel.

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