Psychospielchen im Straßenverkehr Wenn ein kleiner böser Kerl mitfährt

Psychospielchen im Straßenverkehr: Ha, dich lass ich nicht rein!

Kolumne Ach so?! Claudia Emmerich
Foto: SZ/Robby Lorenz

Hochspannung an der Kreuzung. Drei Straßen kommen hier zusammen. Drei Autos stehen sich fast Stoßstange an Stoßstange gegenüber. Die Fahrer umklammern das Lenkrad. Der Gang ist eingelegt. Der linke Fuß kuppelt. Der rechte tippt am Gaspedal. Der Kopf zu den Füßen beobachtet, wägt ab, zögert noch mit einer Entscheidung. Drei Straßen laufen zusammen. Die Regel heißt rechts vor links. Was, wenn jeder einen rechten Nachbarn hat? Die Sekunden ziehen sich. Ein bisschen wie beim Western „12 Uhr mittags“. Aber eben kein Duell, sondern ein Triell. Wer hat die besten Nerven? Denn einer wird sich bewegen. Und wer sich zuerst bewegt, der gewinnt in diesem Fall. Die Vorfahrt. Er darf einen leicht triumphierenden Blick riskieren hinter die Windschutzscheiben der beiden Fahrzeuge gegenüber und sich für einen kleinen Moment nach innen großartig heroisch fühlen.

Ja, Straßenverkehr ist eine Spielwiese für psychologische Studien. Weiteres Beispiel: Eine zweispurige Fahrbahn verengt sich wegen Bauarbeiten auf einspurig. Das wird auch weit voraus angekündigt. Die Regel lautet: Beide Spuren bis zum Endpunkt nutzen, dann im Reißverschlussverfahren sortieren auf die eine freie Fahrbahn. Doch es schlummert in manchem Autofahrer so ein kleiner böser Kerl. Der mag es nicht leiden, wenn sein Fahrer sich früh auf die später allein noch freie Bahn geschafft hat, aber andere Wagenlenker nun ungebremst weiter- und an ihm vorbeifahren. Da wächst Neid ob solcher Vorteilsgewinnung. Und der Impuls, die Lücke zum Vordermann immer zuzufahren: Ha, dich lass ich nicht rein!

Um „Cleverness“ zum eigenen Vorteil geht es in unserem dritten Beispiel. Frechheit siegt. Brav sein schaut hinterher. Da hält sich einer vorschriftsmäßig auf der Autobahnspur, nimmt stockenden Verkehr genervt, aber noch gefasst an. Doch was tut sich beim Hintermann? Der schert rechts aus. Will wohl die Ausfahrt nehmen. Aber verdammt, der täuscht lediglich an. Fährt geradeaus weiter, lässt die Ausfahrt rechts liegen, gibt Gas, um nach raumgewinnenden hunderten von Metern auf der Beschleunigungspur wieder aufzutauchen und sich Blinker setzend erneut auf die Autobahn einzuschleusen. Da wollen Flüche über die Lippen.

Ach ja, wo bitte bricht die Fassade zivilisatorischen Benimms und gelassenen Gönnenkönnens so leicht auf wie im Straßenverkehr?

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