Neunkirchen: Wo Opfer Hilfe finden Digitale Gewalt verletzender als Schläge

Neunkirchen · Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Hohe Dunkelziffer auch im Kreis Neunkirchen.

 Zur  Gewalt durch den Partner oder Ex-Partner gehören auch Stalking, Bedrohung und Nötigung übers Handy.

Zur  Gewalt durch den Partner oder Ex-Partner gehören auch Stalking, Bedrohung und Nötigung übers Handy.

Foto: dpa/Silvia Marks

Jedes Jahr am 25. November rückt ein Thema in den Vordergrund, das auch im 21. Jahrhundert leider nichts an Aktualität verloren hat: Gewalt an Mädchen und Frauen. Der Hintergrund des Gedenktages ist die traurige Geschichte der drei Schwestern Mirabal. Die drei Frauen hatten sich in der Dominikanischen Republik gegen die Diktatur unter Rafael Trujillo zur Wehr gesetzt. Nach monatelanger Folter wurden sie am 25. November 1960 getötet.

Heike Neurohr-Kleer und Annette Pirrong, Frauenbeauftragte des Landkreises und der Kreisstadt Neunkirchen, haben in den vergangenen Jahren mit einigen Aktionen Flagge gezeigt und auf das Problem aufmerksam gemacht. Auch in diesem Jahr hätten ein Frauenfrühstück, eine Kleidertauschbörse und ein Fachvortrag stattfinden sollen. Außerdem sollte am 25. November ein Infostand auf dem Lübbener Platz aufgebaut werden. Wegen der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie fallen die Angebote zwar aus, den Finger in die Wunde wollen die Frauen jedoch trotzdem legen.

Warum das Thema nicht unter den Tisch fallen sollte, unterfüttert Kriminalhauptkommissarin Anja Leinenbach mit Fakten. Zunächst erklärt sie, was unter häuslicher Gewalt zu verstehen ist. Die Opfer sind nicht nur, aber in der Mehrheit (77,5 Prozent) weiblich. Die Polizei schreitet ein bei Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Diebstahl, Nachstellung (Stalking), Nötigung, Bedrohung, Erpressung, Freiheitsberaubung, Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen, Körperverletzung bis hin zu Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und schlimmstenfalls bei Tötung. Im Saarland wurden im Jahr 2019 im Bereich der „Häuslichen Gewalt“ insgesamt 2 790 Straftaten registriert. Dies bedeutete einen Anstieg von 182 Fällen (plus sieben Prozent zum Vorjahr. Die Polizei ermittelte insgesamt 2 249 Tatverdächtige und stellte 2 915 Opfer fest. Die Fallzahlen im Saarland sowie im Landkreis Neunkirchen sind 2019 (siehe Infografik) zwar leicht angestiegen, jedoch bewegen sich diese wie in den letzten Jahren auf einem durchschnittlichem Niveau. Steigende Häufigkeitszahlen waren hier vor allem in der Stadt Neunkirchen von 393 auf 437 zu verzeichnen. „Dies lässt sich durchaus mit der Bevölkerungsdichte sowie deren Struktur begründen“, erklärt die Leiterin des Kriminaldienstes der PI Neunkirchen. Tatverdächtige waren 75,5 Prozent deutsche und 24,5 Prozent nichtdeutsche. Das Alter der Opfer liegt meist zwischen 21 und unter 50, wobei die höchste Opferzahl bei den 30- bis 40-Jährigen registriert wurde.

„Die Polizei hat in diesen Fällen einen klaren Handlungsauftrag“, betont Leinenbach. Die Polizeibeamten und Beamtinnen klären nicht nur die akute Gefahrensituation und bieten dem Opfer Schutz und Sicherheit. Sie schaffen auch eine Grundlage für ein Strafverfahren. Die Neunkircher Polizei arbeite hier mit dem örtlichen Frauenhaus, dem Frauennotruf, speziellen Beratungsstellen für ausländische Frauen sowie der Beratungs- und Interventionsstelle für Opfer häuslicher Gewalt im Saarland zusammen. Wenn das Opfer einverstanden ist, werden die Opferdaten an die Saarbrücker Beratungsstelle weitergeleitet. Deren Leiterin Christine Theisen weiß nur zu gut, dass es für viele Frauen ein schwerer Schritt ist, häusliche Gewalt zu melden. Deshalb dürfte die Dunkelziffer durchaus um einiges höher liegen. Viele Opfer scheuen sich davor, aus Angst, Scham und finanziellen Abhängigkeiten, Anzeige zu erstatten. Theisen berichtet, dass etwas mehr als die Hälfte der von der Polizei mit deren Einverständnis gemeldeten Frauen dann auch tatsächlich die Hilfe der Interventionsstelle in Anspruch genommen haben. Ihr Appell: Allen Mut zusammennehmen, und sich an eine Beratungsstelle wenden, zur Not anonym. Es gebe immer Möglichkeiten, die einem an die Seite gestellt werden können – man müsse sie nur nutzen.

Etwa 80 Prozent der Fälle finden zwischen Ehepartnern, Lebensgefährten/-gefährtin und in ehemaligen Partnerschaften statt.  Nach Informationen der polizeilichen Zentralstelle für Häusliche Gewalt beim Landespolizeipräsidium bewegen sich die aktuellen Fallzahlen für das Jahr 2020 derzeitig auf einem gleichen Niveau zum Vorjahr 2019. Im Frühjahr 2020 während des ersten „Lockdowns“ und auch derzeitig bei dem „Lockdown Light“ seien diese Zahlen saarlandweit entgegen vieler Prognosen bislang nicht angestiegen, teilt Kriminalhauptkommissarin Leinenbach mit. Sie hat festgestellt, dass aufgrund der neuen Medientechnik noch stärker das Thema Digitale Gewalt in den Fokus rückt. „Durch diese Art der Gewaltanwendung – über digitale Medien initiiert – ist der psychische Druck, den die Opfer emotional erleben, teilweise gravierender und länger anhaltend als bei den körperlichen Schmerzen, die zum Beispiel durch Schläge verursacht werden.“

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