Neues Musikfestival „Man muss berührt werden von Musik“

Neunkirchen · Popmusiker Joris über sein zweites Album. Am 26. April spielt er in Neunkirchen beim 9kircher Pop-Festival.

 So zeigte sich Joris beim SR-Ferien-Open-Air St. Wendel im vergangenen Jahr.

So zeigte sich Joris beim SR-Ferien-Open-Air St. Wendel im vergangenen Jahr.

Foto: B&K/Bonenberger/

Drei Jahre ist es her, dass der 28-jährige Sänger und Liederschreiber Joris Buchholz aus dem niedersächsichen Stuhr sein Debütalbum „Hoffnungslos hoffnungsvoll“ vorlegte. Es folgten hunderte Konzerte, drei gewonnene Echos und vor wenigen Monaten der Nachfolger „Schrei es raus“. Auch davon dürfte er manches zum Besten geben, wenn er als Headliner am 26. April in der Neunkircher Gebläsehalle beim 9kircher Pop-Festival auftritt. Im Interview mit unserer Zeitung verrät er nicht nur, wie sein Album entstand, sondern auch, was er heute noch von seinem Jugendschwarm Emma Watson hält, für die er sein erstes Lied überhaupt geschrieben hat.

Joris, wie ist das: Du machst ein Leben lang Musik, arbeitest dann anderthalb Jahren am ersten Album und dann rauscht so eine Erfolgswelle über Dich hinweg. Was macht das mit einem?

Joris Das macht in erster Linie sehr, sehr viel Positives. Man hat neunzehneinhalb Jahre lang Musik gemacht unter Ausschluss der Öffentlichkeit, wenn man so möchte. Das hat maximal meine Nachbarn interessiert oder ein paar Leute, die in die Kneipen gekommen sind, wo man gespielt hat. Und auf einmal darf man Abend für Abend auf großen Bühnen spielen, mit großen anderen Künstlern wie Radiohead in der Schweiz oder Biffy Clyro – letztes Jahr habe ich sie drei Mal auf Festivals getroffen. Das sind große Idole. Oder die insgesamt vier Clubtouren – da hat man auf einmal die Möglichkeit, dass man Abend für Abend vor viel Publikum die Musik präsentieren kann. Das ist etwas, was nur dadurch möglich war, dass die erste Platte damals so erfolgreich geworden ist.

Eine Rückfrage zu Radiohead: Wenn das die Idole sind und man spielt plötzlich zusammen mit denen, wie läuft das dann ab? Begegnet man denen ehrfurchtsvoll in der Garderobe oder kommt es da zu Gesprächen?

Joris (lacht) Man gibt sich die Hand und stellt sich vor. Man weiß trotzdem, dass sie einen wahrscheinlich sehr schnell wieder vergessen haben. Aber es gibt auch viele andere Künstler, die ich kennengelernt habe und viele Bands, bei denen ich mich sehr freue, sie auf Festivals wieder zu treffen, wie Wanda aus Österreich, mit denen ich in der Schweiz und Deutschland auf Festivals gespielt hab. Oder Bosse, Clueso. Clueso hat mich im Sommer 2015, als alles losging, als Support mitgenommen und ich konnte mit ihm viele Festivals spielen. Das Schöne an Festivals ist, dass viele Bands zusammenkommen, zwar unterschiedliche Musiken machen, aber alle große Begeisterung für Live-Musik haben.

Vom live geht’s wieder zurück ins Studio. Du warst vor der Aufnahme des neuen Albums unterwegs in Italien und auf einer Finca in Spanien. Inwiefern sind solche Auszeiten notwendig, um wieder kreativen Input zu bekommen?

Joris Für mich war es sehr wichtig, weil ich zweieinhalb Jahre vorher gespielt habe und Abend für Abend unterwegs war, nicht nur auf Konzerten, auch in Fernsehsendungen, Interviews, Radiosendungen. Das ist ein verrücktes Leben, was ich vorher so nicht hatte, dass ich jeden Tag woanders war. Insofern hat es mir total gut getan, so ein bisschen raus zu kommen. Auch an Orte zu kommen, wo ich wusste, dass ich nicht erkannt werde. Dass ich mich frei bewegen kann und Zeit habe, die Dinge Revue passieren zu lassen. An den Skizzen zu arbeiten, die ich mir vorher aufgeschrieben hatte und für die ich die Musik auch schon geschrieben hatte, und Ruhe zu finden. Beim zweiten Album war von vorneherein für mich wichtig, dass ich damit eine Weiterentwicklung mache und nicht das gleiche Album nochmal mache nur mit anderen Songs. Ich wollte, dass es das Energetische von den großen Bühnen auf den Festivals genauso in sich trägt wie die Nachdenklichkeit, die für mich zum Leben dazugehört.

Inwiefern gelingt es, wenn man den Termin von der Plattenfirma genannt bekommt, auf Knopfdruck diese Ideen zu haben und in Lieder zu gießen die das erfüllen, was du aufgezählt hast?

Joris (lacht) Da kommt es immer darauf an, was man unter Gelingen versteht. Ich bin sehr streng mit der Platte und sehr glücklich mit den Songs die darauf sind, mit allen 13. Ich werde auch oft gefragt, was ist dein Lieblingslied von der Platte. Das kann man so nicht beantworten, alle 13 Songs und Geschichten wollten so von mir erzählt werden und es ist ein großes Glück, dass mir meine Plattenfirma gar keinen Druck gemacht hat und ich erst nach dreieinhalb Jahren das zweite Album herausgebracht habe. Das ist schon eine lange Zeit.

Inwiefern fasst das Lied „Kommt schon gut“ deine Verfassung vor der Produktion des Albums zusammen?

Joris Sehr gut. Im Grunde ist die Zeile „Es kommt schon gut“ wesentlich tiefer gemeint als diese Phrase im ersten Augenblick klingen mag. Man geht immer wieder neue Wege und hat dabei klare Vorstellungen, wo man am Ende herauskommt. Geht man diese Wege und man kommt ganz woanders raus, dann heißt das nicht, dass man nicht den richtigen Weg gegangen ist oder nicht am richtigen Punkt herausgekommen ist. Als ich angefangen hab mit der Platte, wusste ich genau, wie sie klingen muss und wo es hingehen sollte. Und sie ist trotzdem ganz anders geworden. Das Schöne ist aber, dass am Ende die Dinge gut kommen und am Ende, solange man einen Weg geht, den man gehen möchte, und den man mit Herzblut geht, dass das der Weg ist, der am Ende auch das Ziel definiert.

Das Album heißt „Schrei es raus“ – auf dem Cover ist der Mund aber bedeckt. Ein stiller Schrei also?

Joris Nein. Ich glaube nur, dass es gerade in der heutigen Zeit wichtig ist, dass nicht die, die am lautesten schreien, die wichtigste Meinung vertreten. „Schrei es raus“ ist darauf bezogen, dass man die Haltung hat, die musikalische Haltung in erster Linie, und dass dieses Album ein energetisches Wesen in sich trägt. Aber das trotzdem übersetzt, indem man den Mund, den man typischerweise zum Schreien benutzt, verdeckt, und dafür die Augen komplett eingefärbt sind. Man kann mit den Augen auf ganz vielen Ebenen kommunizieren.

Viele deiner Lieder sind melancholisch, auch auf der ersten Platte. Sie kreisen um Trennungsschmerz oder Verliebtsein und gehen zu Herzen: Wie bekommt man in solche Lieder die Emotion rein, die die Stücke auf eine höhere Stufe heben, sie letztlich zu mehr macht als Musik, die man nebenbei hört?

Joris Indem man authentisch das erzählt, was man erzählen möchte und nicht darüber nachdenkt, was angesagt ist und was gerade das ist, was einen auf die nächste Erfolgsebene hebt, sondern darüber schreibt, worüber man schreiben möchte. Bei dem Album jetzt gibt es sehr viele philosophische Elemente, die sich mit dem Leben an sich beschäftigen wie der Song „Du“ oder „Das sind wir“, das ist für mich ein großes Thema und das war mir sehr wichtig, das auf dem Album mit drauf zu haben. Auf der anderen Seite bin ich ein sehr emotionaler Mensch – auch dieses Element ist auf der Platte in vielen Liedern drin.

Das Stück Rom hast du schon in Saarbrücken 2015 gespielt. Was willst du damit ausdrücken?

Joris Es geht um das Sprichwort, dass alle Wege nach Rom führen. Nach der Schule war es für mich so, dass ich auf einmal unfassbar viele Wege vor mir hatte, die möglich gewesen wären. Ich hätte in Innsbruck gern Medizin studiert, war sogar eingeschrieben für Rechtswissenschaften in Hamburg, aber Musik zu machen war letztendlich der stärkste Wunsch in mir. Viele Generationen vor mir haben dafür gekämpft, dass wir ein so freies Land sind, indem man so viele Möglichkeiten hat und so viele Wege gehen kann. Aber auch so, stelle ich in meiner Generation fest, und lustigerweise war es in der Elterngeneration wohl auch schon so, dass diese viele Möglichkeiten, unendliche Freiheiten, auch zu einem Druck führen können in Kombination mit den gesellschaftlichen Ansichten, dass man seinen Weg für sich finden muss. Deswegen ist Rom ein Song, dass man nicht aufgibt, seinen eigenen Weg zu suchen und den auch zu gehen.Das Lied war schon fertig, bevor die Platte entstand. Es ist ein bisschen experimentell, es dauert auch sehr lange.

Warum ist es ein bisschen der Ausreißer, was dieses Experimentelle angeht?

Joris Es gibt viele Nummern auf dem Album, die nicht diesen trendigen Pop-Standard erfüllen. Ich glaube, es ist einfach der Look eines Albums, dass man sich auch künstlerisch austoben kann und ich das unbedingt wollte. Rom ist das Opus, wenn man so möchte, das sich über 7.03 Minuten zieht und in dem diese klassische Struktur von Songs mit Strophe – Refrain – Strophe – Refrain aufgebrochen ist. Ich finde dass es deswegen, weil das sehr bunt, sehr musikalisch geworden ist, unbedingt notwendig war.

Du hast an der Popakademie Baden-Württemberg studiert. Inwiefern hat deine Musik davon profitiert?

Joris Die Zeit in Mannheim hat mir extrem viel gebracht, weil es in Mannheim eine sehr aufgeweckte Musikszene gibt. Es gibt die Musikhochschule, wo viele Jazzer studieren, die Stadt unterstützt auch sehr viel Musik und es gibt die Popakademie. Das alles findet auf engstem Raum statt, sodass sehr viel Austausch entsteht, man mit vielen verschiedenen Arten der Kunst konfrontiert wird. Das ist für Künstler extrem schön. Das war übrigens schon immer so, wenn man in der Kunstgeschichte zurückschaut, dass es immer Ballungszentren gab, wo viele Leute zusammenkamen. Da hat man sich gegenseitig immer beflügelt. Für mich, der aus einer kleinen Stadt in Ostwestfalen kommt, ist das eine ganz tolle Erfahrung, so viele Arten von „Verrückten“ zu treffen, die Tag und Nacht an Kunst arbeiten und sich damit auseinandersetzen. Das hat mir sehr viel geholfen, unter anderem habe ich auch meine Liveband in Mannheim kennengelernt, viele Musikerkollegen und Freunde kennengelernt, die nicht auf der Popakademie waren, sondern Jazz studiert haben und das ist ein toller Austausch.

Wie sieht dein Erfolgsrezept für gute Lieder aus?

Joris Egal welche Musikart man macht, man muss berührt werden von Musik. Es muss irgendwas drin sein, was einen zuhören lässt oder mittanzen lässt, und einen bewegt.

Was ist Musik, die du hörst, die dich bewegt, von anderen Künstlern?

Joris Alles eigentlich. Ich gebe zu, es gibt nicht allzu viel Metal-Musik, aber selbst da kann ich was finden. Dadurch, dass ich in den letzten Jahren fast jedes Wochenende im Sommer auf Festivals unterwegs bin und auch selber spielen darf, hör ich mir unglaublich gerne andere Bands an und stehe gerne danach oder davor noch mit im Publikum und genieße einfach gute Live-Musik.

Was ist das beste Festival, die beste Show, wo du im Publikum gestanden hast?

Joris Da kann ich gar nicht wirklich was rausheben. Dieses Jahr etwa das Deichbrand-Festival oder das Gurten-Festival in Bern. Dazu Southside, Hurricane, Highfield, das Chiemsee-Summerfestival, das war superschön mit der ganzen Kulisse. Natürlich auch die kleinen Festivals, die oft sehr liebevoll gestaltet sind wie zu Beispiel das ZMF-Festival in Freiburg, wo ich 2016 mit Boy zusammen gespielt hab.

Du hast früher nur auf Englisch getextet. Warum jetzt deutsch und gibt’s künftig vielleicht mal wieder ein englischsprachiges Joris-Album?

Joris Ich weiß nicht, ob ich das unter dem Namen Joris veröffentlichen würde. Aber ich habe früher immer englische Musik gehört und konnte nicht allzu viel mit der deutschen Musik anfangen, sie hat mich nicht so richtig berührt. Und ich fand sie auch metrisch nicht so interessant. Und da war es so, dass ich mit 23 einen Einschnitt hatte, studiert hab, mich sehr viel damit beschäftigt habe, ob es gerade das Richtige ist, was ich mache. Und auf einmal habe ich zwei Familienmitglieder verloren und gemerkt, dass alle diese großen Zweifel und Sorgen, die mir wichtig erschienen, eigentlich gar nicht berechtigt waren. Dass ich viele schöne Dinge um mich herum habe: tolle Mitbewohner, eine tolle WG, ich durfte Musik studieren, viele schöne Dinge, die ich nicht richtig zugelassen hab, nicht gesehen hab. Und auf einmal war diese deutsche Zeile da mit einem Schild „Mach die Augen auf“, und dann hab ich einen deutschen Song geschrieben, „Im Schneckenhaus“, den ersten Song, den man von mir hören konnte. Und da habe ich auf einmal eine sehr große Kraft darin gefunden, dass die Leute jedes Wort verstehen konnten.

Deine Texte sind voller Bilder. Gibt es Schriftsteller, die dich inspiriert haben?

Joris Ich glaube, es gab auch eine lange Debatte um Bob Dylans Nobelpreis. Musik muss für mich immer in Kombination wahrgenommen werden, wo Musik mit Text unterlegt ist. Dass ein Text alleine losgelöst im Vergleich zu Schriftstellern für mich nicht die komplette Wirkung entfalten kann, sondern Musik ist Ton und Text zusammen und die beiden sprechen dadurch eine neue Bildsprache.

Abschlussfrage: Ich hab gelesen, du hast dein erstes Lied für Emma Watson geschrieben. Wie war das und würdest du heute nochmal ein Lied an sie schreiben und was würdest du anders machen?

Joris (lacht) Damals war ich unsterblich verliebt in sie. Sie war die Schauspielerin von Hermine Granger in Harry Potter und sie war etwa gleichalt. Und ich fand sie damals ganz bezaubernd. Ich muss zugeben, dass mein Herz heute nicht mehr allzu doll für sie brennt, aber ich gebe auch gerne zu, dass sie eine unfassbar tolle Schauspielerin ist und auch eine Person ist, die ihr Herz am rechten Fleck hat. Sie hat ja auch vor den UN eine tolle Rede für Frauenrechte gehalten, sie setzt sich für viele Dinge ein und von daher hab ich großen Respekt vor ihr nach wie vor.

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