Interview Katja Sauerbrey Für sie öffnen sich weniger Türen

Kreis Neunkirchen · Die Empfängerzahlen sind in diesem Corona-Jahr stabil, meldet das Jobcenter Neunkirchen. Massives Einbrechen der Nachfrage.

 Auch die Jobcenter stehen während der Corona-Pandemie vor Herausforderungen.

Auch die Jobcenter stehen während der Corona-Pandemie vor Herausforderungen.

Foto: dpa/Jens Kalaene

Auch die Erfolgsgeschichte, Flüchtlinge kommen nach dem Sprachkurs in Arbeit, ist unterbrochen, beobachtet Katja Sauerbrey, Geschäftsführerin Jobcenter Neunkirchen. Viele Beschäftigungsmöglichkeiten für Geringqualifizierte sind weggefallen.

Wie spürt das Jobcenter Neunkirchen denn die Corona-Pandemie?

Sauerbrey: Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob wir durch Corona tatsächlich eine große Zunahme an Arbeitslosigkeit im Bezirk haben. Die Zahl der Arbeitslosen im SGB II ist tatsächlich angestiegen um 11 Prozent im Vergleich zum Vorjahr – aktuell 3420 Personen. Besonders hoch fallen die Zuwächse aus bei den Langzeitarbeitlosen, den Älteren und den Ausländern. Aber wenn man nicht nur auf die Zahl der registrierten Arbeitslosen schaut, sondern man schaut auf die Unterbeschäftigung, also alle Menschen, die Arbeit suchen, auch solche in Maßnahmen und Qualifizierungen, dann haben wir in etwa den Vorjahresstand.

Konkret?

Sauerbrey: Sind es 4938 Menschen, die auf der Suche nach einer Arbeit oder Ausbildung sind und vom Jobcenter betreut werden. Bei der Zahl unserer erwerbsfähigen Leistungsbezieher – aktuell 8622 – haben wir einen ganz kleinen Anstieg von 1,9 Prozent. Das ist eigentlich das Verwunderliche. In der öffentlichen Diskussion ist häufig wahrgenommen worden, dass auch in den Jobcentern jetzt wesentlich mehr Kunden sind. Corona hätte da jetzt ganz viel verändert. Ich kann es für andere Regionen nicht einschätzen, aber für uns gilt das nicht in dem Umfang.

Vielleicht noch nicht?

Sauerbrey: Sie sagen richtig: Es kann sein, dass diese Entwicklung noch auf uns zukommt. Also wenn jetzt jemand durch Corona arbeitslos geworden ist und er hat seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I ausgeschöpft, dann steht ja auch immer SGB II im Raum. Das kann natürlich so sein. Aber die wenigsten Menschen kommen nach Auslaufen von Arbeitslosengeld I in den Bezug. Wir haben die meisten Neuzugänge aus dem Personenkreis, der noch nie gearbeitet hat oder so wenig, dass er keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I hat.

Also auch Geflüchtete...

Sauerbrey: Ja, die Flüchtlingskrise hat bei uns ganz andere Dimensionen gehabt. Damals ist es zu einem starken Anstieg bei den Arbeitslosen und Leistungsempfängern gekommen. Aber Corona haben wir, was jetzt die Fallzahlen angeht, noch nicht gravierend bemerkt.

Aber doch 11 Prozent mehr Langzeitarbeitslose im Vergleich zum Vorjahr?

Sauerbrey: Das hat was damit zu tun, dass wir weniger Teilnehmer in Maßnahmen haben.

Weil die ausfallen...

Sauerbrey: Nein, eher weil es in Corona-Zeiten nicht so einfach gelingt, Menschen davon zu überzeugen, dass sie an Maßnahmen teilnehmen sollen. Viele haben Angst vor Ansteckung. Wir haben auch viele Kunden mit psychischen, mit massiven gesundheitlichen Einschränkungen. Das sind Risikogruppen. Da können wir im Moment auch wenig gegenhalten.

Wo spürt Ihr Haus Corona?

Sauerbrey: An den Empfänger-Zahlen sieht man nicht unbedingt, dass Corona für uns im Jobcenter das Riesenproblem ist. Was man aber schon sieht: Wir haben ein massives Einbrechen der Nachfrage am Arbeitsmarkt. Die Zahl der offenen Stellen ist deutlich zurückgegangen. Über 14 Prozent Rückgang im Vergleich zum Jahresbeginn. In den letzten drei Monaten hat sich die Situation allerding wieder verbessert. Wir merken die nachlassende Einstellungsbereitschaft auch bei der Frage: Wie vielen Menschen können wir helfen, dass sie in Arbeit und Ausbildung kommen? Da haben wir im Jahresvergleich einen Rückgang von fast 19 Prozent. Auch wenn es seit September besser wurde.

Arbeit und Ausbildung sind gleich betroffen?

Sauerbrey: Zum Glück ist der Bereich Ausbildung nicht so stark betroffen. Hier gibt es auch einen Rückgang, aber nur um 5 Prozent. Wir sind sehr froh, dass der Ausbildungsmarkt nicht weiter eingebrochen ist. Das wäre schon schlimm, wenn wir eine Generation Corona hätten.

Und Arbeit?

Sauerbrey: Arbeit trifft es stärker. Welche Branchen waren stark betroffen von den Einschränkungen? Das ist Gastronomie, das ist der Handel zum Teil. Das sind die Bereiche, in denen Geringqualifizierte, auch Flüchtlinge besonders stark eingemündet sind. Das passt auch dazu, dass wir bei der Arbeitslosigkeit von Ausländern deutliche Zuwächse haben. Diese Erfolgsgeschichte, Flüchtlinge kommen nach dem Sprachkurs in Arbeit, die ist schon unterbrochen, weil viele Beschäftigungsmöglichkeiten für Geringqualifizierte weggebrochen sind.

Wie richtet sich das Jobcenter perspektivisch auf 2021 ein?

Sauerbrey: Wir werden eher in Einzelcoachings gehen und weniger Gruppenmaßnahmen durchführen. Wir merken, dass wir Kunden nicht gut erreichen können in Zeiten von Corona. Manche haben Angst vor Ansteckung, aber auch wegen fehlender Kinderbetreuung können Maßnahmen oft nicht besucht werden. Schulen und Kitas waren zeitweise geschlossen. Die Probleme hatten ja nicht nur die Erwerbslosen, sondern viele Arbeitnehmer.

Wie wollen Sie mehr Ja sagen zu den angebotenen Qualifizierungen erreichen?

Sauerbrey: Wir müssen noch viel mehr Vorteilsüberzeugung machen: Was bringt es mir denn, wenn ich an der Maßnahme teilnehme? Was hab ich davon? Bingt mich das weiter? In der Zukunft wird uns begleiten, dass es noch mehr darauf ankommt, Angebote zu machen, die von den Kunden auch wirklich als sinnhaft, akzeptabel, hilfreich, förderlich empfunden werden. Und deshalb auch unser Umschwenken auf mehr individuelles Coaching. Das ist für viele einfacher zu stemmen.

Sie sagten, Arbeits- und Ausbildungsmarkt sehen seit September wieder besser aus. Aber ist es unwahrscheinlich, dass es wieder schlechter wird?

Sauerbrey: Ich will es nicht hoffen. Es gibt im Moment viele Unterstützungshilfen für Unternehmen.

Wird vielleicht dann 2021 durchschlagen...

Sauerbrey: Das wird dann zunächst erstmal bedeuten, dass die Arbeitsagentur mehr Zugänge hat. In der Regel sind das Menschen aus Beschäftigung und die haben in der Regel dann auch einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I. Bei uns wird sich das erst mit einer zeitlichen Verzögerung zeigen. Aber das haben wir bislang immer so erlebt: Konjunkturelles, wirtschaftliche Probleme wie die Bankenkrise sind zunächst bei der Agentur aufgeschlagen, dann bei uns.

Anders als bei der Flüchtlingskrise...

Sauerbrey: Ja, weil diese Menschen keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I hatten und damit direkt im System SGB II waren.

Noch ein Blick auf die Solo-Selbstständigen...

Sauerbrey: Da war schon die Vorstellung, viele Solo-Selbstständige rutschen in Hartz IV ab. Aber wir hatten seit März nur 36 Neuanträge von Solo-Selbstständigen bei insgesamt 907 Neuanträgen.

2020 in einem Satz zusammengefasst?

 Katja Sauerbrey.

Katja Sauerbrey.

Foto: Diakonie Saar/Klein

Sauerbrey: Im Vergleich zu dem, was befürchtet worden ist, sind wir, denke ich, noch ganz glimpflich davongekommen.

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