Zur Erinnerung Die Erinnerung immer bewahren

Illingen/Hüttigweiler · Wolfgang Weber hat sich mit der Geschichte seines Vereins beschäftigt, hat Unterlagen aus dem Dritten Reich entdeckt.

 Die Lateingasse in Illingen im Jahr 1935.

Die Lateingasse in Illingen im Jahr 1935.

Foto: Wolfgang Weber

Am 9. November 1938 gab es in Illingen massive Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung. Neben der Verwüstung der Synagoge und der Zertrümmerung von Geschäftshäusern wurden auch die Geschäftsinhaber aus Häusern gezerrt und abtransportiert. Die Pogrome markieren den Übergang von der Diskriminierung der deutschen Juden seit 1933 zur systematischen Verfolgung, die knapp drei Jahre später in den Holocaust mündete.

Die Nationalsozialisten zogen unabhängig von dieser Reichspogromnacht schon seit 1933 alle Register, um beispielsweise die Turner für ihre Zwecke zu gewinnen. Die Vereinsvorsitzenden hießen ab 1933 „Vereinsführer“, der Turnergruß „Gut Heil“ wurde ersetzt durch „Heil Hitler.“ Ohne Not trennten sich die Vereine von ihren jüdischen und sozialistischen Mitgliedern. „Die noch vorhandenen Sitzungsprotokolle der Turnvereine sind ein Spiegel der Nazifizierung. Die kritiklose Akzeptanz des Geschehens ist aus heutiger Sicht nicht zu verstehen. Stellenweise hatten die Protokolle geradezu den Charakter von Nazipropaganda“, so Wolfgang Weber im Gespräch mit der SZ. Weber beschäftigte sich intensiv mit der Geschichte der Turnvereine Illingen und Hüttigweiler. Er recherchierte und entdeckte in einem Jahresbericht des „Vereinsführer“ des TV Illingen vom 27. Januar 1935 die Bemerkung: „dass einige Mitglieder, die mit der neuen Richtung nicht einverstanden waren, den Verein verließen“, was aber als nicht schlimm abgetan wurde, „denn dieser Verlust wurde durch zahlreiche Neueintritte ausgeglichen“. Kein Wunder, dass die Protokolle der Vereine (nicht nur die der Turnvereine) nach dem Krieg im Rahmen der Entnazifizierung allerorts verschwanden, niemand wollte Ärger mit den Siegermächten.

Die Protokolle des TV Illingen/TV Gennweiler überlebten, auch die des TV Hüttigweiler. Letztere sind eine große Ausnahme, denn dort findet sich Kritik am rigorosen Vorgehen der neuen Machthaber. In der lesenswerten Chronik des TV Hüttigweiler steht folgendes Zitat aus der Rede eines Vereinsvorsitzenden anlässlich eines Familienabends im Herbst 1935: „Den Namen Turnverein hat man uns genommen, jetzt heißen wir leider Verein für Leibesübungen, aber im Herzen sind und bleiben wir Turner“. Weber lobt im SZ-Gespräch den Mut desjenigen, der diese Worte öffentlich äußerte.

Recherchen des ehemaligen Hüttigweiler Ortsvorstehers Walter Schreiner haben ergeben, dass der besagte Vereinsvorsitzende mit hoher Wahrscheinlichkeit Nikolaus Zimmer war. Fest steht, dass der Vorstand des TV Hüttigweiler geschlossen zurücktrat. Weber, ein Oberstudienrat im Ruhestand, der am Illtalgymnasium unterrichtete, legt Wert darauf, dass sich die Menschen immer an die verhängnisvolle Entwicklung der Dreißigerjahre erinnern. „Es ist bedrückend, dass der Rassismus wieder seine Fratze zeigt“, sagt der Pädagoge, dem es wichtig ist, dass sich die Jugend mit der Vergangenheit beschäftigt und auseinandersetzt und dadurch solche Ausschreitungen wie in der Vergangenheit in der heutigen Zeit verhindert.

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