Karate Ein Verein lebt Inklusion

Das Hayashi Karatecenter Schiffweiler ist der erfolgreichste Karate-Verein Deutschlands. Antrieb und Motivation gründen jedoch auf einem ganz anderen Motiv.

 Markus Weiss im Rollstuhl trainiert mit Dirk Schneider.

Markus Weiss im Rollstuhl trainiert mit Dirk Schneider.

Foto: Dohm

Die Geschichte des Hayashi-Karatecenters Schiffweiler beginnt am 17. August 2010. Unter Leitung des heutigen Vorsitzenden, Dirk Dohm, fand damals im TC Wasserturm Neunkirchen das erste Training statt. Rund fünf Monate später, am 25. Januar 2011, war der Verein als solcher gegründet und anerkannt. Aus einer Handvoll Interessierter, die beim ersten Training anwesend waren, sind inzwischen über 300 Mitglieder geworden. Der Karateverein selbst ist einer der erfolgreichsten in der gesamten Bundesrepublik.

Zum sechsten Mal infolge zeichnete das Kampfkunst Kollegium, eine ISO-zertifizierte Einrichtung im Geltungsbereich „Entwicklung und Durchführung von Lerndienstleistungen im Bereich Kampfkunst“, das Hayashi-Karatecenter Schiffweiler 2018 als „Kampfkunstschule des Jahres“ aus. Die World Kickboxing and Karate Union (WKU) zeichnete es 2018 zum dritten Mal für „seine Arbeit und seinen Beitrag“ aus (zwei Bronze- und eine Silber-Auszeichnung). Regelmäßig stellt der Verein Landes- und Bundesmeister. Von den jüngsten Weltmeisterschaften der WKU, die Ende Oktober in Griechenlands Hauptstadt Athen stattfanden, kehrte der Klub mit vier Bronze- und zwei Silbermedaillen zurück. Vergangenes Jahr schnappten sich Dohm, seine Frau Ivonne und Lukas Paul den WM-Titel. „Wir bieten hier im Herzen des Saarlandes Karate auf Weltklasse-Niveau“, meint der Vorsitzende. Nur finanziell sei die Unterstützung trotz vorzeigbarer Erfolge sehr bescheiden. „Ich habe 421 Unternehmen abgeklappert um 7000 Euro zu kriegen, um die Athleten zu unterstützen und überhaupt dort rüber zu kriegen“, berichtet er mit Blick auf die WM 2016 im US-amerikanischen Orlando. Grundsätzlich müssten sämtliche Kosten in Eigenregie getragen werden. Große Summen oder gar den Lebensunterhalt verdienen, ließe sich mit dem Sport nicht. Vielmehr sei es eine Überzeugung, die die Gemeinschaft antreibt – eine Überzeugung, die ihn und seine Frau angetrieben hat, als sie das Projekt vor rund acht Jahren anstießen. „Als ich vor über 30 Jahren angefangen habe mit Karate, gab es einen jungen Mann mit Behinderung, der mit mir zusammen trainiert hat. Er wurde geduldet, durfte aber nie die Gürtel-Prüfung machen“, blickt Dohm zurück. „Da habe ich mir damals gesagt: Wenn ich irgendwann eine Veränderung herbeiführen kann, dann werde ich das auch tun.“

In diesem Satz steckt, worauf es den Beteiligten wirklich ankommt. Es seien nicht die Medaillen, die Auszeichnungen, der Ruhm, der Erfolg. Sondern ein ganz bestimmtes Thema: Inklusion. Der Duden definiert sie als „das Miteinbezogensein; gleichberechtigte Teilhabe an etwas“ oder als „gemeinsame Erziehung behinderter und nicht behinderter Kinder in Kindergärten und [Regel]schulen“. Oder, wie Dirk Dohm es für seinen Verein auf den Punkt bringt: „Das Wichtigste ist, dass das Menschliche im Vordergrund bleibt. Dass wir hier eine Plattform bieten für Menschen mit und ohne Handicap, für alle gemeinsam. Dass wir Leistungssportler haben und Behinderte, die alle gemeinsam trainieren“, schildert Dohm. „Echte Inklusion gibt es dort, wo du es erst auf den zweiten Blick erkennst. Bei uns ist jeder gleich.“

Ein genauerer Blick auf die Mitgliederzahl zeigt, welchen Anklang diese Idee findet: Rund ein Drittel der Mitglieder leidet an einer körperlichen, geistigen oder seelischen Einschränkung. „Das Schönste ist im Kindertraining: Die Kinder zanken sich bei Gruppenaktivitäten und Spielen regelrecht darum, die auszuwählen, die ein Handicap haben. Das zeigt auch ein gemeinsames Miteinander unter den Kids“, schwärmt Frau Ivonne. Übungen im Training wie auch Dan-Prüfungen werden gemeinsam absolviert. Unterschiede zwischen den Sportlern werden keine gemacht. „Die Menschen gehören in die Mitte. Nicht an den Rand. Jeder kann mit jedem trainieren, mit oder ohne Einschränkung“, erklärt sie weiter. Und das funktioniert nicht nur problemlos, sondern gibt den Beteiligten viel zurück. „Es macht sehr viel Spaß. Und es hilft in allen Lebensbereichen“, sagt Lars Bleymehl. „Es entwickelt Menschenkenntnis, hilft allgemein im Umgang mit Menschen enorm. Man lernt, wie man mit Menschen reden kann“, erörtert der 16 Jahre alte Schüler, der in Athen WM-Bronze gewann.

Was Dirk und Ivonne Dohm vor einigen Jahren noch nicht ahnten: In nur wenigen Jahren sollte das Thema Inklusion in Kampfkunst und –Kampfsport von einem kleinen Verein auf nationale und internationale Größe heranwachsen: in Deutschland in Form des Bundesfachverbands Ikkaido Deutschland e.V. (BID), darüber hinaus im Weltverband Ikkaido, der in über 140 Nationen weltweit vertreten ist, Tendenz: steigend. Die Besonderheit an diesem Weltverband: Er vereint sämtliche Kampfkünste und Kampfsportarten.

Der Begriff „Ikkaido“ ist ein Kunstwort. „Das entstand damals in einem Hotel in Neunkirchen bei sechs Kannen Kaffee“, blickt das Ehepaar lachend zurück. Es setzt sich zusammen aus dem „I“ für Inklusion, „kkai“ was im Chinesischen so viel wie „offen“ bedeutet und dem japanischen Begriff „do“, „der Weg“: Ikkaido, der offene Inklusions-Weg. Für 2019 sei beispielsweise ein Inklusions-Festival geplant. „Die echte Inklusion ist die Zukunft. Es führt kein Weg daran vorbei. Die Ausgrenzung muss aufhören“, sagt Dirk Dohm, Vize-Präsident des Weltverbandes: „Mein Ziel ist es, dass jemand, wenn er in zehn Jahren die Absicht hat, Kampfsport zu erlernen, in jede Kampfsportschule gehen kann und dort akzeptiert wird.“

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