Dickmacher-Werbung Dorn im Auge „Hauptsach gudd gess“ kann auch Fluch sein

Kreis Neunkirchen · Im Landkreis Neunkirchen steigt die Anzahl übergewichtiger Kinder. Das Kreisgesund-heitsamt Neunkirchen unterstützt die Familien.

 Bewegungs und Ernährungstraining "Fit Kid" Die sechsjährige Natalie (30 Kilogramm) schneidet am Donnerstag (19.05.2005) in Köln beim Bewegungs und Ernährungstraining "Fit Kid" der Evangelischen Familienbildungsstätte Tomaten. Sieben übergewichtige Kinder geben Gas beim «Rauf-und-Runter-Spiel» oder bei den «Fantasieübungen», die vor allem eines zum Ziel haben: Weg mit dem Speck. Beim Programm «FitKid» der Evangelischen Familienbildungsstätte fallen aber auch die Themen Ernährung und gesunde Einstellung zum Körper schwer ins Gewicht. Foto: Oliver Berg dpa/lnw (zu dpa-Korr: "Training für dicke Kinder - Kochen und Schwitzen bei «Fit Kid»" vom 22.06.2005) +++(c) dpa - Bildfunk+++

Bewegungs und Ernährungstraining "Fit Kid" Die sechsjährige Natalie (30 Kilogramm) schneidet am Donnerstag (19.05.2005) in Köln beim Bewegungs und Ernährungstraining "Fit Kid" der Evangelischen Familienbildungsstätte Tomaten. Sieben übergewichtige Kinder geben Gas beim «Rauf-und-Runter-Spiel» oder bei den «Fantasieübungen», die vor allem eines zum Ziel haben: Weg mit dem Speck. Beim Programm «FitKid» der Evangelischen Familienbildungsstätte fallen aber auch die Themen Ernährung und gesunde Einstellung zum Körper schwer ins Gewicht. Foto: Oliver Berg dpa/lnw (zu dpa-Korr: "Training für dicke Kinder - Kochen und Schwitzen bei «Fit Kid»" vom 22.06.2005) +++(c) dpa - Bildfunk+++

Foto: dpa/dpaweb/A3250 Oliver Berg

Der Joghurt mit der Extraportion Kalzium, Frühstücksflocken mit Zusatzvitaminen und der Milch gefüllte Pausen­snack – sind das gesunde Lebensmittel für Kinder und Jugendliche? Die Werbung verspricht dies in bunten TV-Spots, denn die Lebensmittelindustrie will ihre Produkte verkaufen. „Vor allem kleine Kinder sind der Werbung schutzlos ausgeliefert“, sagt Jutta Schäfer, die beim Kreisgesundheitsamt die Beratungs- und Vernetzungsstelle für übergewichtige Kinder, Jugendliche und deren Eltern leitet. Die Lebensmittelindustrie trägt nach Ansicht der Verbraucherorganisation Foodwatch eine Mitschuld für Übergewicht und Fehlernährung bei Kindern, da sie fast ausschließlich unausgewogene Produkte vermarkte, die meist zu fettig oder süß sind. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat dieser Tage erneut Alarm geschlagen: Die Fettleibigkeit bei Kindern und Jugendlichen habe in Deutschland Besorgnis erregende Ausmaße angenommen. Das Problem müsse rigoroser bekämpft werden. Vor allem die Werbung für Süßwaren oder Junk-Food müsse stärker eingeschränkt werden.

Die Meinung von WHO-Ernährungswissenschaftlern, dass bei Werbung eine freiwillige Selbstkontrolle durch die Hersteller nicht reiche, teilt auch Ruth Wolff vom Kinder- und Jugendärztlichen Dienst des Landkreises. Die Ärztin weiß, wovon sie spricht, denn vor der Einschulung werden im Kindergarten stets alle Jungen und Mädchen im Landkreis Neunkirchen gemessen und gewogen. Wolff nennt aktuelle Zahlen: Für den Einschulungsjahrgang 2017/2018 wurden insgesamt 1116 Kinder (Jahrgang 2011/2012) untersucht.Dabei zeigte sich, dass 61 Kinder übergewichtig und 63 Kinder fettleibig waren. Diese Zahlen bezeichnet Wolff als „eigentlich ordentlich“, die Abweichung vom Normalgewicht sei im moderaten Rahmen. Mit dem Beginn der Grundschulzeit gehe jedoch sowohl die Zahl der Kinder mit Übergewicht hoch als auch das Übergewicht bei den einzelnen Kindern. Hauptursache dafür sei eine Mischung aus mangelnder Bewegung beziehungsweise der Verpflichtung, sitzend zu lernen, sowie der wachsenden Verpflegungsautonomie. Sprich, Kinder und vor allem Jugendliche bestimmen selbst, was sie essen und wie viel sie essen. Gerade in diesem Alter spielt die Werbung für Lebensmittel eine wichtige, oft negative Rolle. Nicht zu unterschätzen sind die Gewohnheiten der Eltern beziehungsweise Großeltern, bei denen das traditonsreiche „Hauptsach gudd gess“ nicht hinterfragt werde. Essen, gerade Süßigkeiten werden als Belohnung eingesetzt, es gibt zu häufig zu viele Kohlehydrate und zu wenig Obst und Gemüse. „Zucker und Fett sind ein großes Thema“, weiß Jutta Schäfer. Sie führt nahezu täglich Beratungsgespräche mit Eltern übergewichtiger Kinder und hebt die gute Vernetzung im Landkreis hervor. Sehr hilfreich sei es, zunächst ein einwöchiges Ernährungsprotokoll auszufüllen und schwarz auf weiß zu sehen, wo etwas im Argen liegt. „Wichtig ist aber, nicht zu sagen, dass alles schlecht ist“, betont Schäfer. Alternativen zeigen und das Thema Ernährung gemeinsam angehen. Also schon beim Einkauf, beim Tisch decken und vor allem bei der Zubereitung. Viele Eltern trauten ihren Kindern nicht zu , beim Kochen zu helfen. „Dabei gibt es den Familien viel, gemeinsam Gemüse und Obst zu schnippeln, das stärkt das Wir-Gefühl“, betont die Ernährungsberaterin. Auch das Selbstbewusstsein der Kinder wachse, was vor allem im Umgang mit anderen Kindern wichtig sei. „Übergewichtige Kinder haben oft einen großen Leidensdruck“, weiß Jutta Schäfer. Sie haben weniger Freunde und melden sich krank im Sportunterricht, weil sie sich wegen ihres Aussehens schämen. Das ist dann ein Teufelskreis, weil gerade mehr Bewegung unabdingbar ist, um Übergewicht abzubauen.Man müsse versuchen, Bewegungsangebote zu finden, die den Kindern Spaß machen, zum Beispiel Schwimmen. „Ich versuche, den Kindern Ziele herauszulocken“, verrät Schäfer.

 Bewegungsmangel ist ein Grund für Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen. Sport hilft gegen überflüssige Pfunde.

Bewegungsmangel ist ein Grund für Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen. Sport hilft gegen überflüssige Pfunde.

Foto: dpa/Peter Steffen

Ein zwölf Jahre alter Junge habe ihr erzählt, dass es sein großer Traum sei, einmal in der Startelf zu stehen und ein ganzes Fußballspiel durchzustehen. Nach einem halben Jahr habe er dies geschafft. Sieben Kilo leichter und mit neuem Selbstbewusstsein habe er 90 Minuten durchgespielt. Das war auch für die Ernährungsexpertin ein Freudentag.

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