Foto-Kunst aus Heusweiler Aus Sperrmüll entstehen seine Holzgesellen

Heusweiler/Kreis Neunkirchen · Fotograf Andreas Engel arbeitet das Thema Pandemie auf seine Art und Weise auf. Wie die Digitalisierung seine Arbeit beeinflusst.

 Andreas Engel in seinem „Kunst-Raum“.

Andreas Engel in seinem „Kunst-Raum“.

Foto: Anja Kernig

Vorm Haus auf der Wiesenböschung thront ein Thron. Eigentlich ein Stuhl, aber so gulliveresk überdimensioniert und gold-kupfer-glänzend, dass man ihn nur als Thron verstehen kann. Drinnen im Gebäude, einem unspektakulären Flachbau, erschlägt es einen quasi augenblicklich. Auf angenehme Weise. Kein Quadratmeter ohne Kunst. Die große und die kleine. Und alle Abstufungen dazwischen. Überall Bilder, Collagen, Skulpturen, Installationen; meist mit einem Augenzwinkern. Hier bespiegelt sich nicht jemand selbst, sondern hat einfach Spaß am Gestalten, Ausprobieren, Grenzen Verschieben, kreativem Austoben. Bunt und aus der Zeit gefallen, dabei gemütlich-wohnlich. Willkommen bei den Lenz-Engels, sie Journalistin, er Fotograf (für die Saarbrücker Zeitung auch in unserer Region unterwegs). Unter anderem.

Andreas Engel, Jahrgang 1958, fotografiert seit 40 Jahren. Damit verdient er bis heute seine Brötchen. „Wenngleich sich meine Auffassung zur Fotografie sozusagen im Gleichschritt mit der Digitalisierung verändert hat.“ Den Künstler in ihm reizt es nicht mehr, zu dokumentieren und Geschichten zu erzählen. „Heute habe ich mehr Spaß daran, Welten zu erfinden und die Wirklichkeit in Traumwelten zu transferieren“, die lediglich Bruchstücke der Wirklichkeit enthalten, materialisierte Erinnerungen wie etwa einen Kaugummiautomaten. Die Abnabelung vom Foto vollzog sich peu à peu. Zunächst entwickelte Engel Szenen in Collagenform, die er abfotografierte. „Diese Fotografien habe ich wieder verändert, beklebt und nochmals fotografiert.“

Für ihn folgerichtig und logisch, verließ Engel daraufhin endgültig die Zweidimensionalität in Richtung Skulptur. Dabei geht er gern in die Vollen: Im Wohnzimmer etwa weidet das Deutsche Norm-Einheitspferd, das vor sechs Jahren das Heusweiler Licht erblickte. Groß wie ein Pony, gefertigt aus alten Möbeln und Spielzeugpuppen, erinnert es an das Trojanische Pferd der griechischen Mythologie. Nicht minder beunruhigend wirkt das drei Meter hohe Puppenkreuz aus jener Phase. Passend dazu porträtierte Engel jedes der kleinen starren Gesichter aus hautfarbenem Kunststoff, 500 an der Zahl.

Danach schwenkte der Hausherr in rustikalere Sphären ein. Anlass für den Besuch sind seine Holzgesellen, die der Fotograf – Holzkrise hin oder her – in rauen Mengen zimmert. Ökologisch nachhaltig, finden auch hier wieder ausschließlich Sperrmüll-Fundstücke Verwendung, darunter Schubladen, ganze Stühle, Kinderwagen-Räder oder Schaufensterpuppen. Anatomische Details wie Lippen, Nasen, Ohren, Hände fertigt Engel selber an, so entstehen Wesen, die mal an Roboter, mal an ein klassisch-tragisches Liebespaar wie Don Quixote & Dulchinea erinnern. Aktuell werkelt der Schöpfer am Bischof, einem der Protagonisten aus der Gruppe der Unentschlossenen, „die der Gefühlslage in der Coronazeit entsprangen“. Die Unentschlossenheit, dieses Verharren in einem Zustand des Zögerns und der Verzagtheit, sei der „bestimmende Zustand“ in den Hochzeiten der Pandemie gewesen. „Keiner weiß was Genaues. Man könnte die Gruppe auch die Verunsicherten oder so ähnlich nennen.“ Vielleicht ändert er den Namen auch noch mal ab. Für Engel ist das Upcyceln – ein Begriff, der ihm viel zu „trendy“ ist und deshalb missfällt – ein ganz wesentlicher Bestandteil seiner künstlerischen Arbeit. „Das Brett oder die Leiste hatten in ihrem früheren Dasein eine ganz andere Bedeutung“, was dem Ganzen eine hübsche Metaebene verpasst. Was jetzt noch fehlt, ist ein Galerist, der sich ihrer annimmt. Bis dahin haben die Lenz-Engels halt noch eine paar unentschlossene Untermieter.

 Laokoon-Mutation hat Engel diese Installation genannt.

Laokoon-Mutation hat Engel diese Installation genannt.

Foto: Andreas Engel
 In mehr als zweijähriger Arbeit ist der kupferfarben schimmernde Thron entstanden. Er steht ist Heusweiler-Kutzhof.

In mehr als zweijähriger Arbeit ist der kupferfarben schimmernde Thron entstanden. Er steht ist Heusweiler-Kutzhof.

Foto: Engel
 Puppen-Installation aus dem Jahr 2014.

Puppen-Installation aus dem Jahr 2014.

Foto: Andreas Engel

Aber was hat es eigentlich mit dem Thron auf sich? Der steht laut seinem Schöpfer ganz klassisch für Macht, allerdings „die parlamentarische, demokratisch legitimierte“. Damit nicht genug, symbolisiert das Sitzmöbel gleich noch den Kampf der Ästhetik im Leben – vor allem aber steht er für „die Herrschaft der Kunst über Ignoranz und Dummheit“. Wobei die vielleicht auch in den eigenen Reihen zu finden ist. Seit Jahren verweigert ihm der Berufsverband der Bildenden Künstler im Saarland die Aufnahme. Das wurmt ihn schon. Anderseits wäre er nicht der erste, der seiner Zeit und dem gängigen Kunstverständnis voraus ist. Kunst, befand einst Oscar Wilde, ist das einzig Ernsthafte auf der Welt – während der Künstler selbst nie ernsthaft sei. Da ist Andreas Engel ganz bei ihm.

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