Situation der SPD Es knirscht an der Basis der Sozialdemokraten

Kreis Neunkirchen · Viel Frust bei den Genossen im Kreis Neunkirchen vor dem Entscheid über die Große Koalition. Aber auch Hoffnung.

Die SPD-Mitglieder stimmen dieser Tage über die große Koalition von SPD und CDU im Bund ab. Das Ergebnis der Mitgliederbefragung wird am 4. März bekanntgegeben.

Die SPD-Mitglieder stimmen dieser Tage über die große Koalition von SPD und CDU im Bund ab. Das Ergebnis der Mitgliederbefragung wird am 4. März bekanntgegeben.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Ihren Stimmzettel habe sie schon auf den Weg gebracht, und ihr Parteibuch schicke sie gleich hinterher, sagte eine Genossin vor ein paar Tagen mit ärgerlicher Stimme. Ob sie tatsächlich austritt, bleibt abzuwarten.  Aber der Ärger ist groß. Es sind gewiss schwere Zeiten, die Funktionäre, Mitglieder und langjährige Sympathisanten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, kurz SPD, durchmachen. Das Kuriose: Die Partei steht knapp davor, erneut mitzuregieren. Das würde manch anderer gerne. Gefühlt steht die SPD aber auch genauso davor, an der Frage Große Koalition oder nicht zu zerschellen. Das Tohuwabohu der vergangenen Wochen in Berlin, von der Wochenzeitung Die Zeit jüngst als „Familientragödie“ beschrieben, betrachten auch die Genossen im Kreis Neunkirchen. Im kommenden Frühjahr sind Kommunalwahlen, Bürgermeister-Posten und auch der Neunkircher Oberbürgermeister-Stuhl wollen besetzt werden.

Auch wenn er um den Frust weiß, um die Zukunft seiner Partei sorge er sich nun wirklich nicht, sagt Steffen-Werner Meyer. Der SPD-Kreisvorsitzende zieht seine innere Ruhe dabei aus der Geschichte. Bebel, Liebknecht, die 1860er Jahre - die Wurzeln reichen tatsächlich weit zurück. Und in all den Jahren, so Meyer, habe die Sozialdemokratie viele Auf und Abs erlebt. Und überlebt. Dass die Meinungsforschungsinstitute jüngst die AfD schon nahezu gleichauf in der Zustimmung beim deutschen Wähler ermittelten, will er nicht überbewerten: „Die Trends und Umfragen ändern sich so schnell, das kann man kaum nachvollziehen.“ Er sieht die Situation nicht ganz so düster, gerade auf kommunaler Ebene engagierten sich viele Menschen für die Partei. Und auch jetzt, da die Mitglieder über eine Neuauflage der Großen Koalition mit der CDU abstimmten - rund 3500 sind im Kreis dazu aufgerufen - sieht er trotz der verheerenden Außendarstellung der Protagonisten auf Bundesebene Lichtblicke. Lichtblicke an der Basis. Meyer: „Wir hatten im Kreis zwei Dialogveranstaltungen, in Neunkirchen und Heiligenwald. Es wurde sehr intensiv diskutiert, sehr sachlich, sehr gut, ohne persönliche Angriffe.“ Sein Eindruck: Die Genossen haben sehr wohl ein klares Ziel vor Augen: Deutschland müsse gerechter werden. Aber auf welchem Weg ist das zu erreichen? Der Kreisvorsitzende selbst macht keinen Hehl aus seiner Präferenz: „Ich bin einer, der gestalten will.“ Das Manko, als ewiger Juniorpartner der CDU nicht ausreichend wahrgenommen zu werden, lässt er als Rückzugsargument nicht gelten. „Ob wir wahrgenommen werden oder nicht, liegt an uns selbst.“

Den großen Zuspruch auf den jüngsten Veranstaltungen vor Ort betont auch der Neunkircher SPD-Stadtverbandsvorsitzende Sebastian Thul. Natürlich herrsche Unverständnis über die Personalsituation in Berlin. „Der Frust bei den Genossen ist sehr groß“, sagt Thul. Er gibt zu bedenken, dass es zu der Situation, in der sich die SPD derzeit befinde, gar nicht gekommen wäre, wenn sich CDU, FDP und Grüne geeinigt hätten. Thul wirft seiner Parteispitze in diesem Zusammenhang allerdings eines vor: „Es gab keinen Plan B.“ Die FDP habe sich „aus dem Staub gemacht“, das habe niemand erwartet. Thul sieht auch keinen Automatismus, sich in der Oppositionsrolle zu erneuern und danach besser zu bestehen: „Die bayrische Fraktion feiert schon 70 Jahre Opposition.“ Der Stadtverbandschef sieht es als Chance, wenn Andrea Nahles künftig die Parteiarbeit leite. Um die kommunale Ebene ist Thiel genauso wie Meyer nicht bange. Mit Sören Meng zum Beispiel habe die SPD vor zwei Jahren das Landratsamt verteidigt, Bürgermeisterwahlen wie etwa in Mettlach wurden unerwartet gewonnen. Was die OB-Wahl in Neunkirchen kommendes Jahr und die Kommunalwahlen betreffe, werde seine Partei selbstbewusst auftreten. Das sieht auch der Landrat selbst so: „Hier wird Politik vor Ort gemacht, hier wird gestaltet. Das wird, so empfinde ich es, anerkannt.“ In Gesprächen mit Parteifreunden erlebt er gleichwohl Verärgerung. Sören Meng: „Ein Parteivorsitz ist kein Amt, das man wie ein Kleidungsstück ablegt. Hier hat der bisherige Parteivorsitzende Vertrauen zerstört. Das bedauere ich persönlich, denn ich war von Martin Schulz überzeugt und hätte in ihm einen bodenständigen Vorsitzenden der nächsten Jahre gesehen.“ Wie bei Thul ruhen seine Hoffnungen auf der nächsten Parteivorsitzenden. Die müsse für Kontinuität stehen. Meng bestätigt auf die SZ-Anfrage aber auch: „Es ist eine schwierige Situation, die ich so in meiner 27-jährigen Mitgliedschaft noch nicht erlebt habe.“ Viele Mitglieder haben nach seiner Wahrnehmung den Eindruck, ihre bundespolitischen Funktionäre haben die Bindung zu gesellschaftlich relevanten Themen der Basis verloren. Es hapere an Kommunikation, an Vertrauen. Er ist für das Bündnis, da der Koalitionsvertrag viel Gutes bringe.

Das Neunkircher Rathaus hält sich in der Diskussion bedeckt. Die SPD-Stadtspitze mit Oberbürgermeister Jürgen Fried und Bürgermeister Jörg Aumann hat auf SZ-Anfrage erläutert, als Mitglieder der Verwaltung wollten sie sich nicht zu rein parteispezifischen Fragen äußern. Und auch als Parteimitglied, erläuterte Fried, wolle er von einer Aussage Abstand nehmen, da er kein Parteiamt innehabe.

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