Kunst in freier Natur? Vom wilden Feldweg zur freiluftigen Galerie

Vor acht Jahren waren die Bäume am Saum eines Eppelborner Feldwegs verwildert. Dann kam Peter Prinz: Er baute Schilder, töpferte Kühe, schnitzte Fabelwesen und schuf den „Lebensraum Kreckelbach“.

 Sei es eine Kuh oder anderes Getier: Die fröhlichen und manchmal frechen Gestalten stammen aus der Töpferstube von Peter Prinz und faulenzen am Wegesrand oder, wie hier, gleich in einem Baumstumpf. 

Sei es eine Kuh oder anderes Getier: Die fröhlichen und manchmal frechen Gestalten stammen aus der Töpferstube von Peter Prinz und faulenzen am Wegesrand oder, wie hier, gleich in einem Baumstumpf. 

Foto: Engel

Wann, wenn nicht jetzt, in der schwer planbaren Zeit einer globalen Pandemie, solche Orte wie die „Kreckelbach“ besuchen? Um innezuhalten, dem Leben eine andere Richtung zu geben – oder zumindest eine andere Temperatur.

Den Eppelborner Ortsteil Mangelhausen und das Wiesbacher Unterdorf in derselben Gemeinde verbindet ein rund 1200 Meter langer Feldwirtschaftsweg. Niemand kümmerte sich um die Hecken, Sträucher, Obstbäume, Eschen, Erlen, Linden oder Ahornbäume. Die Bauern bewirtschafteten drum herum ihre Felder, machen das, was sie immer tun. Dann trat Peter Prinz vor acht Jahren auf den Plan. Der frühere Steiger im Bergwerk Göttelborn schnitt die Obstbäume, immerhin 45 Gewächse, fachgerecht und befestigte entlang des Wegs nach und nach Infotafeln, die Flora und Fauna in diesem Habitat beschreiben. „Lebensraum Kreckelbach“, so nennt Prinz sein Werk, das er geschaffen hat. Er lässt alle, die es möchten, teilhaben an seinen Gedanken, er flankiert die Wanderer mit seinen selbstgebauten Insektenhotels, Igelburgen und Fledermauskästen zu einem Ausflug in die heimische Tier- und Planzenwelt. Der Ortsvorstand blickt wohlwollend auf das Projekt in Eigenregie.

Kleinere und größere, ebenso liebevoll wie gekonnt geschaffene Kunstwerke säumen den Weg, und Sitzgelegenheiten sind so aufgestellt, dass sie den schönsten Blick ins Tal eröffnen – ob morgens oder abends, die Sonne stets in ihrer farbenprächtigsten Erscheinung.

 Eine Vielzahl von phantasievollen Figuren und Skulpturen, geformt aus den unterschiedlichsten Materialien, überraschen den Wanderer. Einige von den freundlichen Gestalten winken von Bäumen herab, strecken frech die Zunge heraus, andere wiederum säumen die Mais- und Getreidefelder entlang des Wegs und senden Botschaften, die Prinz ihnen eingehaucht hat, wieder andere umarmen dicke Hainbuchen. „Metamorphose“ heißt eine Arbeit, bestehend aus hölzernen, schlanken Gestalten, wie Treibholz, wobei Prinz das Wort „Metamorphose“ spiegelbildlich aufgeschrieben hat. „Empört euch, wehrt euch, liebt euch oder gehört euch“, lauten die Botschaften, die Prinz in Form von Gemälden oder Plakaten in die Bäume gehängt hat.

Prinz hat einen ebenso lehrreichen wie zum Nachdenken inspirierenden Spazierweg kreiert, der seinesgleichen sucht – indem er eine private Fantasie im öffentlichen Raum auslebte. Der 69-Jährige, der früher Marathon lief, erschuf nicht einfach nur etwas Schönes, er folgt einem Plan, nicht apodiktisch, vielmehr möchte er Menschen begeistern und sensibilisieren für ihre Umgebung; und die besteht aus Natur, und zur Natur gehört auch der Mensch, so sein Credo. Gerade jetzt, in der Zeit einer möglichen zweiten Welle der Pandemie, könne jeder sehen, dass es kein Entrinnen gebe, „denn wir leben alle auf einem einzigen Planeten“. Die Welt sei nicht teilbar, dort die Bösen, hier die Guten; dort die Reichen, hier die Armen.

Die vielen kleinen und großen Werke, die alle enge Bezüge zu seinen Themen aufweisen, nennt Peter Prinz „Quälgeist“, „Molekülkette“ oder „voll integriert“. Zu sehen ist auch eine Persiflage auf die zuweilen irrlichternde Windradpolitik. Ein bunt angemaltes Gestänge mit sieben dünnen Speichen aus Ästen und bunten Folien dreht sich quietschend im Luftstrom. Mit diesen Arbeiten will sich Prinz beteiligen, vielleicht auch Zeichen setzen. Er setzt sich mit den Themen Migration, Naturschutz und gesellschaftlichem Umgehen auseinander. Seine herausragende Arbeit ist hierbei das „Flüchtlingsboot“. Aus Ästen formte er Menschen mit in die Höhe geworfenen Armen, die sich aus einem Boot strecken. Dieses eineinhalb Meter lange Boot spannte er zwischen zwei Bäume, die Wiese darunter und dahinter nimmt sich aus wie ein Meer, das im Wind wogt.

Tabea Reckner und Hedda Sophie Engel spazieren gerne den Weg entlang. Die beiden Freundinnen haben miterlebt, wie der Pfad durch „die Kreckelbach“, wie die Wiesbacher sagen, sich von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr veränderte, wie etwas gewachsen ist und immer noch wächst. Astrit Reckner, die Mutter von Tabea, die direkt am Eingang in die Kreckelbach-Welt wohnt, hat gemeinsam mit Prinz eine Tafel mit Fotos und allerlei Informationen zum „Lebensraum Kreckelbach“ gestaltet. Die Tafel begrüßt Spaziergänger und Wanderer; am anderen Ende des Weges durch die Kreckelbach wiederum wartet ein Wunschbaum. Hier hat Prinz wetterfeste Kärtchen vorbereitet, auf denen jeder seine Bitten und Anliegen notieren kann. Dutzende von Wünschen flattern bereits im Wind, und Prinz sorgt regelmäßig für Nachschub im Zettelkasten.

 Ist das Kunst oder eine Persiflage auf die Politik? Mit dem Thema Windenergie beschäftigte sich Peter Prinz auf seine Art.

Ist das Kunst oder eine Persiflage auf die Politik? Mit dem Thema Windenergie beschäftigte sich Peter Prinz auf seine Art.

Foto: Engel
 In acht Jahren hat Peter Prinz, ehemals Steiger im Bergwerk Göttelborn und passionierter Marathonläufer, in der Kreckelbach in Wiesbach einen Feldweg mit Kunstfiguren bevölkert. 

In acht Jahren hat Peter Prinz, ehemals Steiger im Bergwerk Göttelborn und passionierter Marathonläufer, in der Kreckelbach in Wiesbach einen Feldweg mit Kunstfiguren bevölkert. 

Foto: Engel/Engbel
 Der 1200 Meter lange Feldweg ist bei Spaziergängern und Wanderern beliebt . 

Der 1200 Meter lange Feldweg ist bei Spaziergängern und Wanderern beliebt . 

Foto: Engel
  Wenn einem der Baum die Zunge zeigt, ist man zu lange unterwegs – oder mitten in der „Kreckelbach“. 

Wenn einem der Baum die Zunge zeigt, ist man zu lange unterwegs – oder mitten in der „Kreckelbach“. 

Foto: Engel
 Von wegen Totholz: Tönerne Vögel bevölkern einen abgestorbenen Baum am Wegesrand. 

Von wegen Totholz: Tönerne Vögel bevölkern einen abgestorbenen Baum am Wegesrand. 

Foto: Engel
  Der steile Weg zur Erkenntnis führt in diesem Kunstwerk eben über Schusters Leisten. 

Der steile Weg zur Erkenntnis führt in diesem Kunstwerk eben über Schusters Leisten. 

Foto: Engel
 In und hinter jedem Gebüsch gibt es etwas zu entdecken, so wie diese Traumgestalten. 

In und hinter jedem Gebüsch gibt es etwas zu entdecken, so wie diese Traumgestalten. 

Foto: Engel

Und, „nein“, sagt Prinz, Kunst sei das alles nicht. Da möchte man ganz gerne widersprechen.

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