Netzwerk Palliativversorgung Landkreis Neunkirchen „Kleiner Kompass“ für das Lebensende

saarbrücken · „Letzte Hilfe“ will Basiswissen zur Sterbebegleitung vermitteln und über nahe Unterstützungsangebote aufklären.

 Einen Menschen am Ende seines Lebens zu begleiten ist eine große Herausforderung.   Foto: Kästle/dpa

Einen Menschen am Ende seines Lebens zu begleiten ist eine große Herausforderung. Foto: Kästle/dpa

Foto: dpa/Felix Kästle

Wie geht Sterben? „Sterben ist so einzigartig wie das Leben“, sagt Peter Raber. „Es gibt kein Rezept. Aber man kann die eine oder andere Vorbereitung treffen. So könnte sterben eventuell menschlicher, würdevoller gehen.“ Ohne Garantie, denn das Leben mag der besten Vorbereitung einen Strich durch die Rechnung machen.

 Peter Raber, Referent für Letzte-Hilfe-Kurse an der VHS Neunkirchen.   Foto: Myriam Raber

Peter Raber, Referent für Letzte-Hilfe-Kurse an der VHS Neunkirchen. Foto: Myriam Raber

Foto: Myriam Raber

Raber (61) lebt in Neunkirchen-Münchwies, arbeitet als Unternehmensberater und Hospizfachkraft, ist Bildungsbeauftragter im St. Jakobus-Hospiz in Saarbrücken. Er hält Seminare und Vorträge zum Thema „Letzte Hilfen“. Wenn Corona es zulässt, sollen sie wieder angeboten werden.

Letzte Hilfe – in Analogie zu Erster Hilfe bei Unfällen und Verletzungen – will Basiswissen vermitteln zur Sterbebegleitung und über Unterstützungsangebote in der Region aufklären. Raber spricht von einem „kleinen Kompass“. Ein Angebot für Menschen, die sich ganz wenig mit dem Thema beschäftigt haben, die ganz wenig Erfahrung haben: „Ein „Impulsgeber, alles andere wird daraus entstehen.“

Zum Kurs gehören vier Programmpunkte. 1. Sterben ist ein Teil des Lebens: In gesunden Zeiten die Auseinandersetzung suchen, dass Sterben zum Leben gehört. Vorsorgen und entscheiden. 2. Patientenverfügung verfassen: So soll die Beerdigung laufen. 3. Körperliche, psychische, soziale und existenzielle Nöte lindern. 4. Wie kann ich helfen, Abschied nehmen? Rituale sind wichtig, Zeit lassen.

Die Seminare Letzte Hilfe gibt es erst seit 2015. Sie trafen den Zeitgeist, die Gesellschaft war reif. „In den letzten Jahrzehnten haben sich einige Umgebungsfaktoren verändert“, sagt Raber und zählt eine Handvoll auf. Beziehung zu Leid beispielsweise: „Wir hatten zwei Weltkriege. Die Menschen haben gesagt: Ich will gar nicht mehr so viel zu tun haben mit Leid. Sie haben versucht, sich ein stückweit von Leid zu entfernen, es in andere Hände zu geben. Menschen sind immer mehr im Krankenhaus gestorben.“ Fortschritt Medizintechnik: „Wenn wir reparieren wollen, dann könnten wir reparieren.“ Neue Form des Zusammenlebens: „Früher war ein Mehrgenerationenhaus. Man hat erlebt, wie Oma und Opa alt geworden sind, wie Krankheit und Sterben im Haus mit drin war. Das hat sich heute in Single-Haushalten und Kleinfamilien entfernt. Es gibt keine Erfahrung mehr damit.“ Aber es habe sich noch mehr verändert. Rechtlich etwa, Stichwort Patientenverfügung. Oder Aufbau Hospizstrukturen: „Wir haben eine gigantisch gut entwickelte Hospizarbeit im Saarland“, sagt Raber. „Da hat sich viel getan in den letzten 30 Jahren. Nichtsdestotrotz: Die wenigsten Menschen wissen davon.“

 Mehr als zwei Drittel der Menschen in Deutschland würden gerne in einer vertrauten Umgebung ihr Leben zu Ende gehen lassen. Nur einem Viertel ist es im Moment möglich, rechnet Raber vor. Die Frage sei: Was kann man dazu beitragen, dass aus den 25 Prozent mehr werden? Und da setzten Letzte-Hilfe-Kurse an: „Es gibt diese Hilfe-Strukturen. Es ist alles vorhanden. Schauen Sie mal drauf, wenn Sie es noch nicht so brauchen. Der Kurs ist eine Informationsveranstaltung, was man machen kann oder wohin man sich wenden kann im Fall der Fälle. Wenn man sich in irgendeiner Form vorbereiten möchte.“

Ganz am Ende des Lebens laufen biologische Programme ab, das System fährt runter. Das Begleiten hat da seine Aufgabe schon weitestgehend erfüllt. „Es geht weniger um Sterbebegleitung denn um Lebensbegleitung“, sagt Raber. Und das heiße etwa Schmerzen reduzieren. „Alte Menschen im Saarland sagen oft: Han ich a Pein.“ „Pein“, das sei aber oft ein Weltschmerz, etwas Umfassenderes als körperliche Schmerzen. Pein, weil die Enkelkinder sie nicht besuchen, weil es was gibt, was zwischen Bruder und Schwester noch nicht geklärt ist, weil sie nicht wissen, was mit dem alten Schrank passiert, wenn sie nicht mehr da sind. Und diese „Pein“ lasse sich etwas mildern vielleicht – neben Medikamenten – durch ein Gespräch, Besuche oder Skypen mit den Enkelkindern.

Begleiten heiße auch, „den Menschen ihre Würde nicht zu nehmen“, so Raber Und weiter: „Menschen begleiten statt führen: Merken, was er oder sie braucht. Wenn ich führe, mache ich das, was ich denke, das der Mensch braucht.“ Und schließlich: „Wir können Lebensqualität des Menschen stabilisieren. Musik aus der Zeit seiner Jugend, seinem ersten Verliebtsein spielen.“

Als Begleiter hat man auch Zugriff auf professionelle hospizliche Hilfen, bekommt Adressen von verschiedenen Ansprechpartnern: „Der Angehörige, der die Situation irgendwann nicht mehr mit seinen Schultern tragen kann, kann eine Nummer anrufen. Und schon haben wir Profis, die uns dann ein stückweit helfen.“

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