Eine „Kultur des Hinschauens“ im Wald

Eppelborn · Technik hat die Waldarbeit deutlich sicherer gemacht, aber Nachlässigkeiten in der Routine des Alltags fordern immer wieder Opfer. Das Saarland reagiert mit Anschaffungen, Vorschriften und dem Wunsch, eine „Kultur des Hinschauens und Handelns“ zu etablieren.

Bevor ein Waldarbeiter einen Baum fällt, soll er das mit einem Ruf oder Signal ankündigen und sich mit 360-Grad-Rundblick versichern, dass niemand in der Nähe steht. Der Sicherheitsabstand ist mit "doppelter Baumlänge" definiert, und zwar in alle Richtungen. Bei einem 15 Meter langen Stamm hat also jeder mindestens 30 Meter weg zu bleiben. So die Theorie.

Am 30. Oktober 2015 in Dudweiler und am 12. November in Beckingen ist gegen solch' einfache Regeln mindestens an einer Stelle verstoßen worden. Was sich genau zutrug und ob es zu Anklagen kommen wird, hat die Staatsanwaltschaft Saarbrücken nach eigenen Worten noch nicht ausermittelt. Fatale Tatsache ist, dass ein 26-jähriger und ein 39-jähriger Waldarbeiter, beide Saarländer und Angestellte in Diensten von Forstarbeitsfirmen, bei der Holzernte von Bäumen tödlich verletzt wurden. In einem Fall, so wurde bekannt, sollten noch "schnell kurz vor Feierabend" ein, zwei Stämme umgelegt werden.

Nach Erkenntnis der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau in Kassel ist das tödliche Unfallrisiko bei der so genannten motormanuellen (mit Kettensäge) Waldarbeit in Deutschland 120-fach höher als im Durchschnitt aller Berufe. Dennoch sind Todesfälle, auch in saarländischen Wäldern, selten. Bei uns waren, vor den beiden Todesfällen des vergangenen Jahres, zuletzt 2002 und 2009 je ein Toter zu beklagen. Nicht zuletzt der Einsatz von Erntemaschinen ("Harvester") hat die Zahl der schweren Unfälle deutlich verringert.

Im Saarland gab es nach Worten von Klaus Klugmann, Präventionsmitarbeiter der Forst-Versicherung, im letzten Jahr etwa 100 meldepflichtige Unfälle, das sind diejenigen, die mindestens drei Fehltage zur Folge haben. Die 100 Saarforst-Mitarbeiter sind mit weniger als 20 Unfällen in dieser Statistik; die meisten Schäden widerfahren Mitarbeitern von Dienstleistungsunternehmen. Das ist nicht ungewöhnlich, weil diese Firmen im Auftrag des Staates über 70 Prozent der saarländischen Holzernte einfahren. Die Todesopfer aus dem vorigen Jahr stammen aus diesem Personenkreis, an ihrem Schicksal nimmt aber die ganze Forstwirtschaft Anteil. Sichtbarer Ausdruck der Betroffenheit: Zu einer eigens angesetzten vierstündigen Sicherheitstagung von Saarforst, Versicherungen und Landesregierung in Eppelborn kamen am Mittwoch fast 300 Personen.

Forst-Minister Reinhold Jost (SPD ) und Saarforst-Betriebsleiter Hans-Albert Letter kündigten unter anderem an, zur Erhöhung des Sicherheits-Standards EU-Motorsägen-Führerscheine für Firmenmitarbeiter zur Pflicht zu machen - auch wenn dies die Holzwirtschaft wegen der Schulungskosten verteuern werde. Für Lehrgänge in der Waldarbeitsschule des Saarforstes soll für etwa 30 000 Euro ein Simulator gekauft werden. Mit ihm können Arbeiten an Bäumen geübt werden, die unter gefährlicher Spannung stehen. Auch soll in Kommunikationstechnik wie Helmfunk investiert werden. Firmen, die gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen, werden ab sofort mit Sanktionen bedroht, bis hin zu Baustellenschließungen, Vertragsstrafen und Kündigungen. Was Klaus Klugmann und sein Kollege Konrad Scholzen aber, neben der Unfallverhütung durch Technik, für das Wichtigste halten und nachdrücklich ans Herz legten: eine Änderung der Einstellung, ein tagtägliches Reden über Sicherheit, eine "Kultur des Hinsehens und Handelns", ein Nichtdurchgehenlassen der vielen kleinen Nachlässigkeiten, die sich wohl jeder in der Hektik des Alltags genehmigt, obwohl er weiß, dass es so nicht sein sollte, ein Bestehen auf fachgerechter Arbeit an allen Baustellen und auf allen Ebenen der Organisation. "Größter Feind der Sicherheit ist Routine", brachte es Jost auf den Punkt.

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