"Die Wahl zwischen Pest und Cholera"

Neunkirchen. Die JPB Prometall, früher als Decoma bekannt, befindet sich in Insolvenz (wir berichteten). Die verbliebenen Beschäftigten, die am Boxberg hauptsächlich Zierleisten für bekannte Pkw-Marken herstellen, stehen nun vor der "Wahl zwischen Pest und Cholera" - so drücken es der Neunkircher IG-Metall-Bevollmächtigte Jörg Caspar und Betriebsratschef Guntram Brenner aus

Neunkirchen. Die JPB Prometall, früher als Decoma bekannt, befindet sich in Insolvenz (wir berichteten). Die verbliebenen Beschäftigten, die am Boxberg hauptsächlich Zierleisten für bekannte Pkw-Marken herstellen, stehen nun vor der "Wahl zwischen Pest und Cholera" - so drücken es der Neunkircher IG-Metall-Bevollmächtigte Jörg Caspar und Betriebsratschef Guntram Brenner aus. Das heißt, sie müssen entscheiden, ob sie ab 1. Juli zu erheblich verschlechterten Bedingungen unter einem irischen Kaufinteressenten weiter in ihrer Firma arbeiten wollen oder ob sie angesichts "brachialer Erpressung" (Caspar) die Arbeitslosigkeit vorziehen. Wie sich die Belegschaft entscheidet, zeichnete sich bei einer Betriebsversammlung, die Insolvenzverwalter Jochen Eisenbeis gestern einberufen hatte, noch nicht ab. Die Iren legten den angekündigten Musterarbeitsvertrag noch nicht vor. Zur Vorgeschichte: Jener österreichisch-kanadische Konzern Magna, auf den jetzt Opel baut, hat die Decoma nach Ansicht von Gewerkschaft und Betriebsrat gegen die Wand gefahren. Erst einmal sei vor drei, vier Jahren nicht in eine fortschrittliche Produktionstechnologie investiert worden. "Wir könnten heute Marktführer in der Branche sein", so Brenner. Dann hat Magna im September 2007 die "Decoma Prometall" an die Duncomb Holding in Hongkong verkauft, offenbar eine windige Briefkastenfirma. "Der Verkauf erfolgte, um die Sozialplangelder in Millionenhöhe einzusparen", sagt der Betriebsratschef. Denn: Für Firmen, die insolvent gemeldet werden, muss laut Gesetz nur ein Sozialplan aufgestellt werden, wenn sie mindestens vier Jahre im Besitz des Inhabers waren.Weil das Auftragsvolumen sich mehr als halbiert hat, speckte Insolvenzverwalter Eisenbeis zum 1. Juni 117 Mitarbeiter ab. Eine vage Chance bietet ihnen nun die halbjährige Zugehörigkeit zu einer Qualifizierungsgesellschaft. Zum 1. Juli müssen weitere 20 gehen. Bei Eisenbeis' Suche nach einem neuen Investor "kreisten die Schnäppchenjäger wie Geier über einem Stück Fleisch", so IG-Metall-Mann Caspar. Übrig blieb eine irische Gruppe namens Iralco, die Prometall nicht nur für ein "Trinkgeld" haben will, sondern der Belegschaft einen Horrorkatalog vorgelegt hat. Der beinhaltet: Streichung der Leistungszulage (10 Prozent des Gehalts) für Produktionsmitarbeiter, Gehaltskürzung für andere Angestellte um 20 Prozent. Arbeitszeitverlängerung von 35 auf 39 Stunden. Streichung von fünf Tagen Jahresurlaub und des Urlaubsgeldes. Auf unbestimmte Zeit keine Lohnerhöhung. Dieser "Erpressungsbeitrag" bringt nach Rechnung von IG Metall und Betriebsrat einem Produktioner 500 Euro Minus im Monat ein. Eisenbeis signalisierte gestern eine leichte Reduzierung dieser Einschnitte.Mit der IG Metall sei ein solcher Tarifvertrag nicht zu machen, betont Jörg Caspar. Für "Dumpinglöhne, ohne dass die geringste Sicherheit geboten wird", gebe man sich nicht her.

HintergrundDer Magna-Konzern verlagerte 2001 die Metall-Aktivitäten vom Standort Sulzbach nach Neunkirchen und siedelte die Decoma am Boxbergweg an. Dies förderte das Land mit zwei Millionen Euro sowie Boni für neue Arbeitsplätze. Die Mitarbeiterzahl stieg von 300 auf etwa 500, zuletzt lag sie wieder bei 300. Falls die Firma fortbesteht, soll sie sich bei 100 einpendeln. gth

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