Alles Tee, oder was? Von Fensterchen und Tee, der die Trinker verzaubert

Älter werden ist bekanntlich nichts für Feiglinge. Spätestens, wenn man anfängt zu räsonieren, dass früher alles besser war, sollte der angehende Senior wieder nach vorne blicken. Die neue Droge heißt „Innere Wärme“ oder „Toffee roibush“ und ist – Tee.

Die Sache mit den Fensterchen
Foto: SZ/Robby Lorenz

Als junger Mensch kann man über die Sache mit den Fensterchen durchaus noch lachen: Denn, wenn das eine Fensterchen sich schließt, soll sich ganz bald wieder ein anderes öffnen. Beispiel: Die beste Freundin schnappt sich den Typen, auf den man es selbst abgesehen hatte. Großes Gejammere. Aber schon drei Tage später läuft uns ein neues Objekt der Begierde über den Weg. Fensterchen zu, Fensterchen auf! Alles ist wieder gut.

Irgendwann kommt aber der Punkt, an dem es scheint, dass sich nur noch Fensterchen schließen, es aber einen deutliche Mangel an Neueröffnungen gibt. Die Todesfälle im Familien- und Freundeskreis häufen sich, zu Taufen wird man eher selten eingeladen. Auch mehren sich die eigenen körperlichen Gebrechen. Der Versuch, beim Discounter etwas aus dem untersten Regal zu ziehen, indem frau in die Hocke geht, endet mit entsetzlich unelegantem Hochziehen am Einkaufswagen. Hüfte und Knie verweigern zunehmend den Dienst. Und dafür gibt es keine Entschädigung mehr. Stattdessen sammeln sich dort, wo in jüngeren Jahren die Taille verortet war, die Kilos. „Stau am mittleren Ring“, nennt das eine Freundin, die längst den Versuch aufgegeben hat, mit Ende 50 noch in die Jeans zu passen, in der sie 20 Jahre vorher so grazil daherkam.

Trost spendend kann da durchaus ein Besuch im Stammlokal sein. Das Aperölchen geht zwar auch auf die Hüfte, macht aber wenigstens gute Laune. Die Sache hat nur einen Haken; das lauschige Gasthaus schließt in Kürze. Das Kneipensterben macht vor allem den kleineren Ortschaften zu schaffen. Oft gibt es gar keine öffentlichen Treffpunkte mehr. Das Feierabendbier muss ins Private verlagert werden. Wiewohl wir das Bier ja auch nicht mehr so gut vertragen und eben dabei sind, auf Tee umzusteigen. Der hat (ohne Zucker!) null Kalorien und macht wahlweise fit oder friedlich. Eine Rezeptur, in der sich Ingwer und Orange vereinen, lässt auf dem Tütchen wissen, dass „ein glitzernder Sonnenstrahl durch die Wolken bricht und wohlige Wärme spendet“. Die Vertreter der Minz-Fraktion werden erfreut durch „eine Reise in das Land der zauberhaften orientalischen Düfte, der bunten Basare und Karawanen“. So ist zu lernen, dass warmes Wasser mit Geschmack eine bewusstseinserweiternde Droge sein kann. Wer sagt’s denn, da gehen doch wieder Fensterchen auf. Allerdings nicht die, auf die man sich früher freute.

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