Detektivarbeit im Stadtarchiv

Neunkirchen. In der Geschichte einer Stadt zu graben, ist eine spannende Sache. Für den Laien ist es absolut erstaunlich, wie weit sich Wege zurückverfolgen lassen, und seien sie noch so verschlungen. Wer sich für Neunkircher Geschichte interessiert, kann sich beim Stadtarchiv im Rathaus auf Spurensuche begeben

 Diese Annonce erschien am 22. Dezember 1909 in der Neunkirchener Zeitung. Foto: Willi Hiegel

Diese Annonce erschien am 22. Dezember 1909 in der Neunkirchener Zeitung. Foto: Willi Hiegel

Neunkirchen. In der Geschichte einer Stadt zu graben, ist eine spannende Sache. Für den Laien ist es absolut erstaunlich, wie weit sich Wege zurückverfolgen lassen, und seien sie noch so verschlungen. Wer sich für Neunkircher Geschichte interessiert, kann sich beim Stadtarchiv im Rathaus auf Spurensuche begeben. Da uns das Rätsel um die "Spanische Weinhalle" in der Bahnhofstraße 16 (SZ vom 9. September) nicht losließ, forschten wir im Stadtarchiv nach und siehe da: Wir wurden fündig.Auf den Postkarten von 1913, die Sammler Oswald Biehl vor einiger Zeit entdeckt hat, ist der Spanier Moisès Fulguera als Inhaber der Spanischen Weinhalle in der Bahnhofstraße 16 genannt. Schaut man im "Neunkircher Geschäftsadress- und Auskunftsbuch von 1905" nach, ist ein Philipp Euler Senior als Wirt des "Rheinischen Hofes" unter dieser Adresse vermerkt. Sein Sohn Philipp Euler Junior betrieb das Hotel zur Post in der Dammstraße. Die Familie war vor 1875 aus Odernheim/Pfalz nach Neunkirchen gekommen. Aufschlussreich ist bei solchen Recherchen natürlich das Stöbern in alten Zeitungen. In einer Anzeige in der "Neunkirchener Zeitung" vom 22. Dezember 1909 taucht ein Moisès Fulguera als Wirt der Spanischen Weinhalle auf, der "als passende Weihnachts-Geschenke Tisch-Weine und Dessert-Weine zu billigsten Preisen" empfiehlt. Die Anzeige gibt auch einen wichtigen Hinweis auf den Weinkeller, der auf einer der Postkarten von Oswald Biehl abgebildet ist. Hier heißt es nämlich, dass sämtliche Weine auch in Fässern von 30 Litern an erhältlich sind. Irgendwo in Neunkirchen muss es also einen Weinkeller für die Vorratshaltung gegeben haben, allerdings bezweifelt die Archivarin der Stadt Neunkirchen, Susanne Neis, dass dieser Weinkeller unter dem Lokal "Spanische Weinhalle" lag. "Der Keller kann dort nicht gewesen sein", ist Neis überzeugt. Das sei aufgrund der topographischen Lage des Hauses in der Bahnhofstraße 16 nicht möglich. "Wie sollten auch die großen Eichenfässer dorthin gebracht worden sein?" Die Stadtarchivarin vermutet, dass ein Gewölbe oder ein Stollen in der Nähe der Bahn als Weinkeller diente. Auf jeden Fall scheint Fulguera als Geschäftsmann in Neunkirchen recht erfolgreich gewesen zu sein. Amtlich vermerkt ist sein Wirken im dicken Adressbuch von Neunkirchen 1910/11. Hier wird der Rentner Euler Senior als Eigentümer des Hauses Bahnhofstraße 16 genannt und als Geschäftsführer Moisès Fulguera. Das Archiv verrät außerdem, dass Fulguera am 13. Dezember 1872 in Barcelona geboren wurde und zu seiner Neunkircher Zeit ledig war. Im Dezember 1916, also mitten im I. Weltkrieg, brach der Spanier seine Zelte in Neunkirchen ab. Die Gastronomie litt unter den Kriegswirren, das Hotelgewerbe war am Boden. Doch Fulguera ging (noch) nicht in seine Heimat Spanien zurück, sondern in die Schweiz. Nachforschungen in Zürich haben ergeben, dass er als Heimatort Neunkirchen und als Beruf Weinhändler angab. In der Uraniastraße 9 betrieb er als Kollektivgesellschaft die Weinhandlung "Bodega Urania" und importierte Wein direkt aus Spanien. "Er arbeitete in Zürich nach dem selben Geschäftsprinzip wie in Neunkirchen", fand Susanne Neis heraus. Er verkaufte Weine en gros und en détail, seine Spezialität waren Dessert- und Krankenweine. 1920 stirbt seine Frau. Mit seiner zweiten Frau, der Witwe Terese Puiggros aus Barcelona, geht Moisès Fulguera am 24. Januar 1929 zurück nach Spanien. Offenbar hatte er in der Fremde genug Geld gemacht. "Einwanderer gab es schon vor über Hundert Jahren in Neunkirchen", fasst Susanne Neis die Geschichte der Spanischen Weinhalle in Neunkirchen zusammen. Wahrscheinlich habe Fulguera sein Leben lang Heimweh gehabt, vermutet die Archivarin mit Blick auf die Spuren des Spaniers. Sie ermuntert die Neunkircher, denen die Geschichte ihrer Stadt am Herzen liegt, auf die Suche nach dem Spanischen Weinkeller zu gehen. Ihr Wunsch: "Ich möchte, dass jemand das Gewölbe findet!"

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