Neuer Premier liebte die "Briefe aus Nantes""Die vier Tage in Nantes werden wir nie vergessen"

Saarbrücken. An die Zeit von Norbert Küntzer, Mitarbeiter des Amtes für Stadtmarketing und Öffentlichkeitsarbeit, in Nantes erinnert ein großes Plakat in seinem Büro. Das Plakat verkündet die Herausgabe seines Buches "35 lettres et plus - 35 Briefe und mehr. Nantes autrement - Nantes einmal anders erleben"

 Jean-Marc Ayrault traf Fußballer des Juz Burbach 1998 in Nantes bei der Mini-Fußball-WM "des supporteurs". Foto: Küntzer

Jean-Marc Ayrault traf Fußballer des Juz Burbach 1998 in Nantes bei der Mini-Fußball-WM "des supporteurs". Foto: Küntzer

Saarbrücken. An die Zeit von Norbert Küntzer, Mitarbeiter des Amtes für Stadtmarketing und Öffentlichkeitsarbeit, in Nantes erinnert ein großes Plakat in seinem Büro. Das Plakat verkündet die Herausgabe seines Buches "35 lettres et plus - 35 Briefe und mehr. Nantes autrement - Nantes einmal anders erleben". Das Buch erschien 1999 und dokumentiert Küntzers einjährigen Aufenthalt 1998 in der Kapitale des Départements Loire-Atlantique. Die Briefe druckte wöchentlich die Saarbrücker Zeitung. "Hallo Saarbrücken", schrieb Küntzer und widmete sich Themen aus Kultur, Musik, Jugendarbeit, Fußball-WM, Schule, aber auch kleine Randnotizen aus dem Alltag in Nantes. Im Buch sind die Briefe in Deutsch und Französisch gebündelt."Anlässlich der 1000-Jahr-Feier gab's eine Buchpräsentation im Rathaus Saarbrücken. Da haben Hajo Hoffmann und Jean-Marc Ayrault auf dem Plakat unterschrieben", schmunzelt Küntzer und tippt auf die neonfarbigen Schriftzüge. "Ich will ja immer Autogramme. Das liegt an meinem Rockerblut", sagt der 56-Jährige, der gemeinsam mit Roland Helm die saarländische Rockgeschichte in den Büchern "Saar Rock History" dokumentiert hat.

Im Moment freut sich Küntzer aber nicht über das Autogramm eines Rockstars, sondern über das eines politischen Durchstarters. Der Nanteser Bürgermeister Jean-Marc Ayrault wurde am 15. Mai vom französischen Präsidenten François Hollande zum Premierminister berufen. Ein großer Karriereschritt, der auch in der Partnerstadt Saarbrücken für Freude sorgt: "Klar gönnen wir es ihm. Er kennt Saarbrücken in- und auswendig. War oft hier und ist mit dem früheren Oberbürgermeister Hajo Hoffmann innig befreundet."

Hajo Hoffmann war es auch, der Küntzer mit Ayrault bekannt machte: "Vor 15 Jahren hatte ich die Idee anlässlich der 1000-Jahr-Feier, ein grenzüberschreitendes Musikprojekt mit Saarbrücken und Nantes auf die Bühne zu bringen. Damals war ich Rockbeauftragter der Stadt." Seine Idee trug er Hoffmann vor. "Und was macht der? Greift zum Hörer, plaudert mit Ayrault und die Sache steht." Küntzer bekommt ein kleines Zimmer im Nanteser Rathaus und beginnt mit der Planung des Musikfestes "Musik Collage Saarnant".

Lob für "Briefe aus Nantes"

Über 50 Musiker und Bands aus den Partnerstädten spielten ein dreistündiges Programm am 25. Juni 1999 auf dem Altstadtfest. "Am 11. Juli fand das Konzert dann in Nantes statt." In dem Jahr traf er auch "vier-, fünfmal Ayrault zu einem Gespräch". Und wie ist der neue französische Premierminister? "Als Mensch ist er sehr charismatisch und sympathisch. Er spricht fließend Deutsch. Er hat mir sogar immer Tipps für meine 'Briefe aus Nantes' gegeben. Ayrault fand es super, dass ich in Saarbrücken über Nantes berichtete." Wichtig für dessen neuen Posten, findet Küntzer, sei sein Politiktalent.

Als Jean-Marc Ayrault vor 23 Jahren ins Rathaus zog, ging es der Stadt Nantes schlecht. Gerade hatte die letzte Werft geschlossen. Der Niedergang der Werftindustrie stürzte die Stadt in eine große Krise. "Er hat Kultur und Industrie angesiedelt und Nantes zu einer blühenden Großstadt gemacht. Er hat großes Geschick als Politiker. Mich wundert sein jetziger Erfolg nicht. Im Gegenteil. Das war abzusehen", sagt Küntzer: "Sie werden in der Nanteser Stadtverwaltung niemanden finden, der nicht mit aufrichtigem Respekt über ihn spricht."

Ob Ayrault ihn wiedererkennen würde? "Ich weiß nicht. Ist ja fast 15 Jahre her. Aber wenn Sie ihn nach dem Kerl fragen, der 'die Briefe aus Nantes' geschrieben hat, wird er sich sicher erinnern." Dieses Jahr will Norbert Küntzer, der für sein grenzüberschreitendes Engagement 1999 zum Ehrenbürger von Nantes ernannt wurde, die Stadt besuchen. "Wir machen Urlaub am Atlantik. Einen Tag will ich bei der Stadtverwaltung vorbeischauen." Ayrault wird er dann vermutlich dort nicht mehr treffen. Ende Juni will der 62-Jährige seine Pflichten als Bürgermeister abgeben. Nantes. "Die Tage in Nantes sind unvergesslich", strahlt Inge Veit (76, Foto: Hartung) fast neun Jahre nach ihrem bisher einzigen Besuch in Saarbrückens Partnerstadt Nantes. Im November 2003 gastierte sie mit ihren Amateur-Schauspielerinnen "Die Herbst-Zeitlosen" in Nantes. Das Gastspiel wurde nicht nur ein "Riesenerfolg", sondern auch "eine Zerreißprobe für die Nerven" der Regisseurin und Leiterin Veit. "Auf alte Damen aufzupassen, ist schwieriger, als kleine Kinder zu hüten", sagt sie und rollt amüsiert mit den Augen. Ihre Amateur-Darstellerinnen brachten das Kabarett-Programm "Wirklich alles nur Schall und Rauch" mit Liedern von Kurt Tucholsky auf die Bühne.

Auf Einladung der Stadt Nantes trat die Gruppe im Zuge der Veranstaltungsreihe "Rencontres d'Automne" (Festwoche der Senioren) statt. Jedes Jahr bündelt die Festwoche Vorträge, Konzerte, Theater und einen großen Abschlussball. "Bei unserem Auftritt waren über 1000 Gäste da. Am Ende klatschte der ganze Saal minutenlang", sagt Veit gerührt. "Zuvor dachte ich, das wird ein Reinfall", sagt sie und erinnert sich an die turbulente Anreise, bei der fünf Frauen in Paris verloren gingen. "Der nächste Schock war die gigantische Bühne: 50 Meter lang, zehn Meter tief. Ich befürchtete, dass meine Frauen, die ich immer ohne Mikrofon auftreten ließ, verloren sein würden. Aber nein, die Akustik war hervorragend." Der Abend lief glatt. Das Publikum feierte die "Herbst-Zeitlosen". Veit: "Und das, obwohl wir unsere Revue auf Deutsch dargeboten hatten."

Einen im Saal wird es nicht gestört haben: Jean-Marc Ayrault. Der Nanteser Bürgermeister und seit dem 15. Mai auch neuer Premierminister Frankreichs spricht fließend Deutsch. Beim großen Abschlussball am nächsten Tag "bezeichnete er uns als krönenden Abschluss, lobte uns und sagte, dass wir großartig waren. Nun ja, waren wir auch", sagt die 76-Jährige mit einem breiten Grinsen. "Ich weiß noch genau, wie ich da in der Loge stand. Die 3000 Menschen schauten zu uns hoch und applaudierten. Ayrault sprach seine warmen Worte und mir traten Tränen in die Augen."

Dann holt Veit tief Luft: "Ein erhabenes Erlebnis." Beim Ball lernte sie Ayrault und seine Ehefrau Brigitte in einem Gespräch kennen. "Wir haben uns etwa zehn Minuten unterhalten. Er wirkte sehr staatsmännisch und ist ein großer Charismatiker. Und er interessiert sich für seinen Gegenüber." Dass der "sympathische Bürgermeister von Nantes" nun Premierminister Frankreichs ist, freut Veit. "Ich hab's aus der Zeitung erfahren. Und rief meinem Mann zu: Mensch, den kenn' ich." 35 Jahre stand Veit als professionelle Schauspielerin auf der Bühne. Seit 2003 leitete sie die "Herbst-Zeitlosen", bis sich das Ensemble vor zwei Jahren auflöste. Die Erinnerungen an den großen Auftritt in Nantes und der herzliche Empfang der Nanteser Stadtverwaltung sind Veit in lebhafter Erinnerung. "Die vier Tage im November werden wir nie vergessen." Und dann schmunzelt die 76-Jährige wieder: "Wer kann schon von sich sagen, 1000 Nanteser an einem Abend unterhalten zu haben? Wir Herbst-Zeitlosen schon." ceg Foto: Hartung

Hintergrund

Stellung des Premierministers in Frankreich: Das politische System unseres Nachbarlandes kennzeichnet eine doppelköpfige Exekutive: der Staatspräsident der Republik und die Regierung. Der Premierminister ist Chef der Regierung und laut Verfassung für die Regierungsarbeit verantwortlich. Er wird vom Staatspräsidenten ernannt. Auf Vorschlag des Premierministers ernennt der Präsident die Minister der Regierung. Der Premierminister ist Ministern gegenüber weisungsbefugt. Er besitzt weitreichende Rechtsverordnungsbefugnisse, Gesetzesinitiativen kommen aber vom Parlament. Der Premierminister ist dem Parlament gegenüber verantwortlich und fungiert als Bindeglied zwischen Präsident und der parlamentarischen Mehrheit. In Absprache mit dem Präsidenten nimmt er Ernennungen für zivile und militärische Ämter vor. ceg

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