Neuen Pfiff in maroden Straßenzug bringen Schwierig: Mitglieder mobilisieren und bei der Stange halten

St. Wendel. Ziehen die Hauseigentümer einer Straße an einem Strang, können sie verhindern, dass ihr Viertel verlottert und ihre Immobilien an Wert verlieren. Das ist das Konzept der ESG, Eigentümerstandortgemeinschaften, von denen der Bund seit einem Jahr 15 Modelle fördert, wie die St. Wendeler Initiative "Wir sind Brühlstraße"

 Die Experten aus den Modellstädten informierten sich in St. Wendel über das Projekt "Wir sind Brühlstraße". Hans-Peter Rupp (rechts) vom Bauamt führte die Delegation durch die Altstadt. Foto: B&K

Die Experten aus den Modellstädten informierten sich in St. Wendel über das Projekt "Wir sind Brühlstraße". Hans-Peter Rupp (rechts) vom Bauamt führte die Delegation durch die Altstadt. Foto: B&K

St. Wendel. Ziehen die Hauseigentümer einer Straße an einem Strang, können sie verhindern, dass ihr Viertel verlottert und ihre Immobilien an Wert verlieren. Das ist das Konzept der ESG, Eigentümerstandortgemeinschaften, von denen der Bund seit einem Jahr 15 Modelle fördert, wie die St. Wendeler Initiative "Wir sind Brühlstraße". Sie war am Dienstag Gastgeberin der Jahrestagung der Vertreter aller Projekte bundesweit und erhielt für ihr Projekt gute Kritiken. "Auch bei uns ist es nicht das Schlaraffenland, wie es bei der Ortsbegehung am Montagabend gewirkt haben mag", bremste Sven Uhrhan vom Büro Kernplan in seiner Jahresbilanz (siehe den Text rechts). "Wie die anderen Quartiere ist dies eine Straße auf dem absteigenden Ast." So diskutierten die Brühlsträßler wie alle anderen über Mitgliedergewinnung, Leerstände, Beratungs- und Fördermöglichkeiten und Schrottimmobilien. Kurze Referate und sehr intensive Diskussionen machten den Austausch aus. János Brenner vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zeigte Optionen auf, wie Kommunen gegen Schrottimmobilien ordnungsrechtlich vorgehen können: Liegenschaften, die ungenutzt verfallen und den Stadtumbau blockieren, weil der Eigentümer sie nicht sanieren kann oder will. In der Brühlstraße sieht Hans-Peter Rupp vom St. Wendeler Bauamt vier solche "Schlüsselimmobilien". Eine besondere Hürde hat die ESG Helmstedt: "Alle Schrottimmobilien bei uns stehen unter Denkmalschutz", berichtete Andreas Schattanik. Als Gegenmaßnahme hat die ESG jedes der Objekte analysiert und bauliche Veränderungen präsentiert, durch die es rentabel zu nutzen wäre. Mathias Metzmacher vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, das für das Forschungsfeld 1,6 Millionen Euro zur Verfügung hat, beteuerte: "Auch ohne Förderung ist Wohnungsbau rentabel, allein durch Mietrecht und steuerliche Rahmenbedingungen. Aber es gibt auch gesellschaftliche Ziele, die es zu fördern gilt, für die wir öffentliches Geld in die Hand nehmen." Altersgerechter Umbau werde zum Beispiel in jeder Lebensphase bezuschusst. Die Duisburger ESG vertrat die Ansicht, rentabel sei eine Sanierung nur bei teilweiser Eigennutzung. Metzmacher versprach für das nächste Treffen zwei, drei musterhafte Modellrechnungen. "Dann müssen wir zwar über Äpfel und Birnen reden, aber strukturiert. Die Welt ist nicht überall anders, aber es gibt Variationen." Die Magdeburger Delegation fragte: "Was kann man tun, wenn Stadt und Sanierungsträger ein Gebiet aus Geldmangel bewusst vergessen? Dass die Kommune Immobilien aufkauft, saniert und wieder verkauft, wie vielleicht in St. Wendel, ist für uns utopisch." Im Bundesvergleich komfortabel ist auch die St. Wendeler Quote, dass 16 von 36 Eigentümern mitmachen. Von der zweitkleinsten ESG Meiningen (Thüringen) berichtete Heiko Schultz: "Wir haben 17 von 52 Eigentümern, aktiv sind ein Dutzend, unterm Strich sind es drei, vier, die wirklich etwas tun." Selbst aus der 500 000-Einwohner-Stadt Leipzig verlautete: "Wir haben zwölf Mitglieder, aktiv ist nur eine Handvoll."Die St. Wendeler ESG "Wir sind Brühlstraße" hat mit dem Büro Kernplan das erste der drei Projektjahre für viele Planungen und erste Aktivitäten genutzt. Dazu zählten: Internetseite, Newsletter und Postkartenserie, das Aufhängen von Bannern, Bäume in der Straße, die Untersuchung der Hausfassaden samt Verbesserungsvorschlägen in einem Studienprojekt sowie die Ausstellung in der Dorfbox und die Teilnahme am Moonlight-Shopping. < Weiterer Bericht folgt St. Wendel. Das erste Projektjahr war in St. Wendel wechselhaft. Da es keine Selbstorganisation in der Brühlstraße gegeben hatte, habe die Stadt die Initiative zur ESG ergriffen, "aber es gab Befindlichkeiten zwischen Hauseigentümern, die sich vernachlässigt fühlten, und der Stadt", erläuterte Sven Uhrhan von Kernplan. Das moderierende Büro habe als neutrale Instanz Einzelgespräche geführt. "Der aufgezeigte Weg wurde dankbar angenommen." Eingangs hätten bei einer Befragung 75 Prozent der Hauseigentümer sich bereit gezeigt, sich zu engagieren, auch weil etliche selbst in der Brühlstraße wohnen. "Wir haben viele direkt Betroffene, aber vor dem Nachlassen des Engagements schützt das nicht ", bilanzierte Uhrhan. "Wir sind mit 50 Aktiven gestartet und inzwischen bei 18 gelandet." Er zeigte Verständnis für abebbenden Elan. "Wir haben am Anfang mehr Öffentlichkeitsarbeit gemacht, aber wir müssen auch etwas vorzuweisen haben", sagte er. "Die Gewerbetreibenden werden ungeduldig. Beim Verkehr ist außer der Studie noch nichts passiert. Sie wollen wissen: Wann passiert was mit der Laterne oder dem Pflaster?" Den anderen Modellprojekten rät Uhrhan: "Gewinnen Sie sechs Leute für den Vorstand, mit klarer Aufgabenverteilung! Die ziehen den Karren. Sprechen Sie die anderen - auch Nicht-Mitglieder - für kleinere projektbezogene Arbeiten an. So hat die ESG Chancen, nach der Förderphase noch weiterzubestehen." Die ESG Brühlstraße ist gemeinnützig und nimmt auch Nicht-Hauseigentümer auf, wie Gewerbetreibende. kni "Wie die anderen Modellquartiere ist dies eine Straße auf dem absteigenden Ast."Sven Uhrhan, Büro Kernplan

HintergrundDer Bund fördert in dem Modell, dass Eigentümerstandortgemeinschaften (ESG) entstehen. Die Immobiliennachbarn sollen gemeinsam Maßnahmen entwickeln, um ihr direktes Umfeld zu verbessern, indem sie sich in den Prozess der Stadterneuerung einbringen. Die Projektstädte erproben von 2009 bis 2011 Kooperationsmodelle. Ihre Erfahrungen damit diskutieren sie bei Jahrestagungen, 2009 in Helmstedt und 2010 in St. Wendel, sowie bei kleineren Regionaltreffen. kni

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