Neue Anlaufstelle für Gewaltopfer

Saarbrücken. So oder ähnlich könnte ein Standardfall aussehen: Britta S. bringt ihren Sohn Kevin (8) zur Opferambulanz der Saarbrücker Rechtsmedizin (Remaks) am Winterberg-Klinikum. Das Kind hat blutrote Flecken am Hals und Hämatome am Bauch. Die Mutter war weder beim Kinderarzt noch bei der Polizei. Denn sie hat einen fürchterlichen Verdacht - gegen den eigenen Mann. Darüber muss Britta S

 Rechtsmedizinerin Dr. Daniela Bellmann fotografiert in der Ambulanz Verletzungen. Foto: bub

Rechtsmedizinerin Dr. Daniela Bellmann fotografiert in der Ambulanz Verletzungen. Foto: bub

Saarbrücken. So oder ähnlich könnte ein Standardfall aussehen: Britta S. bringt ihren Sohn Kevin (8) zur Opferambulanz der Saarbrücker Rechtsmedizin (Remaks) am Winterberg-Klinikum. Das Kind hat blutrote Flecken am Hals und Hämatome am Bauch. Die Mutter war weder beim Kinderarzt noch bei der Polizei. Denn sie hat einen fürchterlichen Verdacht - gegen den eigenen Mann. Darüber muss Britta S. bei Remaks nicht sprechen. Kevins Verletzungen werden von Andreas Schuff oder Daniela Bellmann, beides Rechtsmediziner, in einem wohnlich eingerichteten Untersuchungszimmer fotografiert. Alles, was passiert, unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht. Es wird nicht behandelt oder therapiert. Wenn Schuff oder Bellmann der Meinung sind, dass ärztliche Hilfe nötig ist, machen sie einen Termin mit Kollegen am Klinikum. Und vielleicht nimmt Britta S. auch eine der vielen Broschüren aus dem Regal im Untersuchungsraum mit: Weißer Ring, SOS, Phönix (Beratungsstelle für Jungen). Wenn sie reif dafür ist, wird sie dort anrufen. Oder zum Rechtsanwalt oder der Polizei gehen. Dann wird sie etwas in der Hand haben: die Fotos der Opferambulanz.

Als "segensreich" bezeichnet der Landesvorsitzende des Weißen Rings, Gerhard Müllenbach, die neue Einrichtung. "Remaks schließt eine Versorgungslücke", bestätigen auch Carina Hornung, Beraterin beim Frauennotruf Saarland und die SOS-Kinderschutz-Expertin Gabi Obereicher. Der "Anzeigendruck" werde den Opfern genommen.

"Wir wollen ganz bewusst ein niedrigschwelliges Angebot bieten, eine erste, rasche Hilfe", sagt Andreas Schuff. Die medizinische Versorgung der Gewaltopfer sei durch die Notaufnahmen und die Hausärzte sichergestellt, auch ihre Betreuung und Beratung durch ehrenamtliche Stellen. "Was fehlt, ist die gerichtsverwertbare Verletzungsdokumentation, eine fachgerechte Spurensicherung", so Schuff. Der erste Schritt dazu - das Fotografieren - erfolgt bei Remaks kostenlos. Auch die (anonymisierte) Speicherung der Daten. Erst, wenn Schriftliches angefordert wird, etwa ein Gutachten, muss gezahlt werden.

Ist das Remaks-Team ein Samariter-Club? Kaum, denn das erst 2009 gegründete Institut arbeitet - im Unterschied zur staatlichen Homburger Gerichtsmedizin, der Haupt-Anlaufstelle für Polizei und Gerichte - als Privatunternehmen. "Wir schaffen uns einen Platz in der Gesellschaft. Es geht um Reputation und Kontakte", sagt Susanne Kirsch, ebenfalls im Remaks-Team. "Wir finanzieren dieses Projekt ein Jahr vor, suchen Kooperationspartner und testen die Nachfrage."

2615 Opfer häuslicher Gewalt meldet die Kriminalstatistik des Saarlandes 2009 (Kinder ausgenommen). 118 Kindes-Missbrauchsfälle wurden verfolgt. Ist die Dunkelziffer so hoch wie vermutet - 90 Prozent - hätte Remaks ein schrecklich großes Arbeitsfeld.

Kontakt: Opferambulanz im Gebäude der Kinderklinik: Mo-Fr, 8.30 bis 16.30 Uhr: Tel. (06 81) 9 63 29 13; 9 63 29 14.

Meinung

Ein Mehr an Menschlichkeit

Von SZ-Redakteurin

Cathrin Elss-Seringhaus

Man muss nur ganz persönlich werden, sich das Szenario einer familiären Gewalttat aufrufen, um zu ahnen, wie entlastend man das diskrete, behördenferne Arbeiten der Opferambulanz erleben dürfte. Das Saarland gewinnt ein Stück Menschlichkeit mehr.

In anderen Bundesländern, etwa in Rheinland-Pfalz, hat das zu einem "sprunghaften Anstieg" insbesondere der gemeldeten Fälle von Kindesmissbrauch geführt. Dies allein ist kein Erfolgsmerkmal.

 Rechtsmedizinerin Dr. Daniela Bellmann fotografiert in der Ambulanz Verletzungen. Foto: bub

Rechtsmedizinerin Dr. Daniela Bellmann fotografiert in der Ambulanz Verletzungen. Foto: bub

 Rechtsmedizinerin Dr. Daniela Bellmann fotografiert in der Ambulanz Verletzungen. Foto: bub

Rechtsmedizinerin Dr. Daniela Bellmann fotografiert in der Ambulanz Verletzungen. Foto: bub

 Rechtsmedizinerin Dr. Daniela Bellmann fotografiert in der Ambulanz Verletzungen. Foto: bub

Rechtsmedizinerin Dr. Daniela Bellmann fotografiert in der Ambulanz Verletzungen. Foto: bub

 Rechtsmedizinerin Dr. Daniela Bellmann fotografiert in der Ambulanz Verletzungen. Foto: bub

Rechtsmedizinerin Dr. Daniela Bellmann fotografiert in der Ambulanz Verletzungen. Foto: bub

Erst, wenn neben den Dokumentationen auch die Problemlösungen wachsen, trägt das Modell. Es gilt für die Saarbrücker Rechtsmediziner zu beweisen, wie ernst sie die Rolle als Vernetzungs-Knotenpunkt für weitere Hilfsangebote nehmen.

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