Kriminalitäts-Opfer „Ich darf nicht aufgeben – wegen der Kinder“

Püttlingen/Schwarzenholz · Am 7. Februar 2019 wurde der Mann von Susanne Schulz erschossen. Seitdem ist für sie und ihre Kinder nichts mehr wie früher. Sie vermissen den Mann, den Vater, wissen nicht, wie es weitergehen kann. Nun wollen ihre Nachbarn in Schwarzenholz helfen – und sammeln Geld. Der Prozess gegen die Täterin beginnt am 26. Juli.

 In der Köllerbacher Hauptstraße fielen am Abend des 7. Februar 2019 die tödlichen Schüsse auf den Mann von Susanne Schulz. Seitdem stehen sie und ihre drei Kinder fast mittellos da und wissen nicht, wie es weitergehen soll. Ihre Nachbarn haben jetzt eine Hilfsaktion gestartet.

In der Köllerbacher Hauptstraße fielen am Abend des 7. Februar 2019 die tödlichen Schüsse auf den Mann von Susanne Schulz. Seitdem stehen sie und ihre drei Kinder fast mittellos da und wissen nicht, wie es weitergehen soll. Ihre Nachbarn haben jetzt eine Hilfsaktion gestartet.

Foto: BeckerBredel

Das Glück kam spät, dann aber war’s vollkommen. „Wir haben uns ja erst spät kennengelernt“, erzählt Susanne Schulz. Und lächelt. Ihr Mann, Patrick, stand bereits kurz vor den Vierzig. Auch sie hatte schon eine Tochter. „Aber es passte einfach“, sagt die junge Frau. Vor fünf Jahren kommt ein Sohn, vor ein paar Monaten noch ein Baby. Die Familie kauft sich in Schwarzenholz ein Haus, fühlt sich wohl dort, gut aufgenommen von den Nachbarn. Patrick ist seit über 20 Jahren als Masseur und Physiotherapeut selbständig. In Köllerbach hat er eine eigene Praxis, arbeitet viel. „Alles war perfekt“, sagt Susanne Schulz.

Dann kommt der 7. Februar 2019 – und nichts im Leben von Susanne Schulz und ihren drei Kindern ist mehr wie früher. Es ist kurz nach halb acht am Abend dieses Donnerstags. Das Essen steht auf dem Tisch. Normalerweise kommt ihr Mann pünktlich. Das gemeinsame Abendessen ist ein Ritual für die Familie. Doch der 46-Jährige lässt auf sich warten. „Ich war erst sauer, weil ich extra sein Lieblingsessen gemacht habe.“ Es wird 20 Uhr, 20.15 Uhr, Patrick kommt nicht. „Ich hatte plötzlich so ein ganz komisches Gefühl“, erinnert sich Susanne Schulz, „Patrick kam sonst immer direkt von der Arbeit nach Hause“. Sie ruft ihn per Handy an, in der Praxis. Immer wieder. Keiner geht ran. Sie telefoniert mit ihrer Mutter, versucht es immer wieder auf dem Handy ihres Mannes, wählt schließlich besorgt die Nummer der Polizei. Der Beamte versucht sie zu beruhigen, verspricht: „Wir schicken jemand hin.“

 Doch das nimmt Susanne Schulz nicht die Aufregung. Sie versucht einen Nachbarn der Praxis zu erreichen. Der sagt ihr: „Die Straße ist gesperrt, da ist irgendwas passiert“. Susanne Schulz ist mittlerweile fast verrückt vor Angst. Sie forscht im Internet nach, liest auf einem Online-Portal, dass in der Köllerbacher Hauptstraße ein Mann erschossen wurde. Aber sie kann, sie will das nicht mit ihrem Patrick in Verbindung bringen. „Er war immer ein herzensguter Mensch, wer sollte ihm was Böses wollen?“, fragt sie selbst Monate danach fassungslos. Um 23.15 Uhr jedoch wird die böse Vorahnung Gewissheit. Polizeibeamte klingeln. Sie haben einen Seelsorger dabei. „Von da an weiß ich nicht mehr, was war“, sagt Susanne Schulz.

Der Polizeibericht für diesen Abend spricht später von einem Tötungsdelikt. Eine 57-jährige Frau habe einen 46-jährigen Mann vor dessen Massagepraxis aufgelauert und gegen 19.30 Uhr erschossen. Mehrfach habe die Frau abgedrückt. Der Notarzt kann denn Mann nicht mehr retten. Als die Polizei eintrifft, sitzt die Täterin auf der Straße. Die Pistole liegt neben ihr. Sie lässt sich widerstandslos festnehmen. Wie es aussieht war die Frau geübt im Umgang mit der Waffe, eine Sportschützin. In der Pressemitteilung der Polizei heißt es dann noch: Die 57-Jährige und ihr Opfer sind vor Jahren ein Paar gewesen. Viel mehr Informationen hat auch Susanne Schulz nicht über diesen schicksalshaften Abend. Die Täterin sitzt seit dem 7. Februar in Untersuchungshaft und schweigt. Der Prozess soll am 26. Juli beginnen.

Es gab allerdings eine Vorgeschichte, weiß Susanne Schulz. Die Täterin hatte wohl mit der früheren Beziehung nicht wirklich abgeschlossen, vermutet sie. So verschwanden etwa noch am Tattag Kreditkarten von Susanne Schulz’ Mann sowie Danksagungs-Karten zur Geburt des gemeinsamen Babys aus der Praxis. Schulz glaubt, die 57-Jährige habe sie genommen.

 Dass aber die enttäuschte Liebe so enden könnte, hatten weder Susanne Schulz noch ihr Mann je befürchtet. Heute allerdings ist sie sicher, dass die Nebenbuhlerin einem kühl überlegten Racheplan folgte. „Sie ist deswegen in den Schützenverein gegangen, sie wollte uns zerstören“, ist Susanne Schulz überzeugt.

Immer wieder versagt ihr Stimme, wenn sie darüber spricht. Manchmal lassen sich die Tränen nicht zurückhalten. Sie will das nicht. Aber sie fand in den vergangenen Wochen nicht mal die Zeit wirklich zu trauern. Weil die Kinder sie brauchten, weil so viel zu regeln ist. Dann aber drückt sie den Rücken durch, zwingt sich zur Stärke, sagt: „Es muss ja weitergehen, wegen der Kinder.“

Bloß wie, das weiß Susanne Schulz nach wie vor nicht. Ihr Schicksal türmt sich vor ihr auf wie eine unüberwindliche Mauer. Seit ihr Mann Opfer der tödlichen Schüsse wurde, stehen die Mutter und ihre Kinder fast mittellos da. Weil ihr Mann selbständig war, bekommen sie keine Witwen- und Halbwaisenrente. Seine Lebensversicherung hatte er erst kürzlich aufgelöst. Und auf dem Haus in Schwarzenholz lasten Schulden. Überdies hatte der Vorbesitzer, der das Einfamilienhaus wegen einer Trennung aufgeben musste, wohl aus Frust Wasserleitungen angebohrt, regelrecht sabotiert. „Den Schaden mussten wir komplett beheben lassen, und von ihm war nichts zu holen, das hat schon unsere Reserven aufgezehrt“, erzählt Schulz. Außerdem befürchtet die Mutter von drei Kindern, dass das Auto, mit dem die Familie alle Fahrten macht, bald weg sein könnte. Der Wagen läuft noch als Leasing-Fahrzeug der Praxis. Eigentlich kann sich Susanne Schulz die Raten nicht mehr leisten. „Aber wie soll ich das als berufstätige Alleinerziehende mit drei Kindern schaffen – ohne Auto?“, fragt sie. Eigentlich will man nicht glauben, dass auf einen Mensch allein so viel Unglück einprasseln kann.

Susanne Schulz, selbst Physiotherapeutin, hatte wegen der Kinder ihre Arbeit aufgegeben. Ihr Baby ist jetzt fünf Monate alt, der Sohn fünf Jahre. „Wie soll ich ihm erklären, dass der Papa nicht mehr kommt?“ Im Moment hat sie kaum mehr als das Kindergeld und einen Unterhaltszuschuss; zusammen ein paar hundert Euro. Egal aber, bei welchem Amt, welcher Behörde oder Versicherung sie um Hilfe nachsucht, erstmal hört sie nur: „Sowas hatten wir noch nie.“ Und danach zieht sich die Bearbeitung ihrer Anträge ewig in die Länge.

 Ihre Bank ist ihr insofern entgegenkommen, dass Susanne Schulz die Raten weiter zahlen kann, obwohl jetzt das Einkommen ihres Mannes fehlt. Sie zahlt in etwa so viel wie sie auch für die Miete einer Wohnung, die Platz für eine vierköpfige Familie böte, hinlegen müsste. Susanne Schulz war auch auf der Suche nach einer günstigeren Bleibe. Vergebens. Noch dazu hieße das, die zutiefst traumatisierte Familie auch noch zu entwurzeln, ihr das Refugium zu nehmen. Die Hoffnung aber, dass von der Täterin im Prozess irgendwann was zu holen ist, sind gering. „Und nichts kann mir ja meinen Mann ersetzten, er fehlt mir so“, sagt Schulz.

Doch Susanne Schulz gibt nicht auf. Sie hat sich eine Halbtagsstelle gesucht und arbeitet jetzt als Physiotherapeutin in einer Klinik. „Für mich ist das wieder ein Stück Hoffnung“, sagt sie. In der jetzigen Situation hilft das aber nur ein Stück weit. Denn so merkwürdig das klingt: Während sich für die Täterin die Frage nicht stellt, wie ihre Zukunft geregelt wird, „gibt es für uns als Angehörige des Opfers nicht wirklich jemanden, an den wir uns wenden können“, meint Schulz.

 Sicher, ihre Mutter hilft, ihre Familie soweit sie kann. Und zum Glück nun auch ihre Nachbarn, die dafür sorgen wollen, dass die Familie wenigstens in ihrem Haus bleiben kann, dort ein bisschen Geborgenheit in all dem Schmerz findet. „Wir wussten ja erst gar nicht, dass die Familie im Moment quasi nichts hat“, sagt eine Nachbarin, die nicht namentlich genannt werden möchte. Selbstverständlich sei es aber, sagt sie, dass die nächsten Nachbarn für Susanne Schulz da seien, mal helfen, wenn ein Kind betreut werden muss, und ihr auch sonst dies und das abnehmen. Vor allem aber wollen sie helfen, dass die Familie ihr Heim behält. Darum haben die Nachbarn jetzt eine Sammelaktion gestartet (siehe Info).

 Susanne Schulz ist ihren Nachbarn dafür sehr dankbar. Sie braucht auch jede Unterstützung. Und sie kämpft: „Für die Kinder. Denn wenn ich jetzt aufgeben würde, dann hätte diese Frau ihr Ziel erreicht, uns zu zerstören“.

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