Mit wenigen Worten alles sagen, aber nichts verratenReiner Kunze: GedichtGérard Carau: Ze hoch, vill ze hoch (Hommage an Reiner Kunze)

Bosen. Die Bosener Gruppe hat das Gedicht "Ze hoch, vill ze hoch" von Gérard Carau (Foto: SR) zum "Mundarttext des Monats Juli" gekürt. Darauf einigte sich das Kolloquium der Bosener Gruppe

Bosen. Die Bosener Gruppe hat das Gedicht "Ze hoch, vill ze hoch" von Gérard Carau (Foto: SR) zum "Mundarttext des Monats Juli" gekürt. Darauf einigte sich das Kolloquium der Bosener Gruppe. Die Gruppe, deren Mitglieder in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Lothringen, im Elsass und dem Saarland beheimatet sind, will so die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit auf die Ausdrucks- und Aussagekraft der jeweiligen Regional-Sprache lenken. Caraus Lothringer Autorenkollege Jean-Louis Kieffer sagt über den ausgewählten Text: "Gérard Carau aus Beckingen, einer der Barden des Moselfränkischen - er ist Chefredakteur der dreisprachigen Literaturzeitschrift Paraple, stellvertertender Vorsitzender des Vereins ,Gau un Griis' mit Sitz in Bouzonville - legt uns für den Monat Juli ein Gedicht voller Charme und Mysterium vor." "Ze hoch, vill ze hoch" sei als Hommage an den Dichter Reiner Kunze ausgewiesen. Dabei handele es sich eher um eine Adaption ins Moselfränkische von "Gedicht" von Kunze, in welchem der Dissident und DDR-Poet die Schwierigkeit des Schreibens thematisiere: alles in wenigen Versen auszudrücken und dennoch das Geheimnis, das Intime zu verstecken und also zu verschweigen.Gérard Carau greife das von Kunze vorgegebene Thema auf, so Kieffer: "Aus den sieben Zeilen in einer Strophe bei Kunze werden fünfzehn kürzere, auf vier Strophen verteilt. Der zentrale Gedanke bleibt dabei erhalten: Ich möchte mit möglichst wenigen Worten alles sagen, was es zwischen dir und mir gibt, ich möchte alles sagen über uns und doch nichts verraten, unser Geheimnis wahren." Es sei unmöglich, dieses Ziel zu erreichen, so Kieffer. Von daher erkläre sich der Titel, den Carau seinem Gedicht gibt: "Ze hoch, vill ze hoch".So wie der Bildhauer und der Maler das Material bearbeiten - den Stein, das Holz, die Leinwand, die Farben -, so wie der Musiker die Töne bearbeitet, so bearbeite der Dichter die Wörter. Kieffer: "Er schnitzt sie, gibt ihnen Farbe und Rhythmus. Der Künstler ist Schöpfer von Emotionen." Er müsse sich demnach "offenbaren", sich "entblößen", aber dennoch auf der Hut sein, sich zurückhalten. "Denn das Wesentliche, das tiefere Geheimnis kann nicht ausgesprochen werden oder, besser, kann nicht erreicht werden; aber es muss durchscheinen durch das Werk, als filigrane Struktur hinter dem Gedicht erkennbar werden. Alles muss ausgesprochen werden, aber alles bleibt Geheimnis. Paradox des Kunstwerks."Laut Kieffer thematisieren Kunze und Carau "die Unmöglichkeit, das perfekte Kunstwerk zu erreichen, die Schwierigkeit des Kreierens - Themen und Probleme, mit denen sich jeder ernsthafte Künstler ständig auseinander zu setzen hat".Das Gedicht von Carau habe wegen der Einfachheit des Vokabulars, wegen des Verzichts auf grammatische Komplikation, wegen der Wiederholungen und vor allem wegen des Rhythmus, der die Wörter wie in einem Gemurmel dahinfließen lässt, etwas, was das Gedicht von Reiner Kunze nicht hat. "Ze hoch, vill ze hoch" übertreffe Kunzes "Gedicht". Kieffer fragt: "Ist es nicht so, dass der Dialekt, hier das Moselfränkische, einen zusätzlichen, wesentlichen Hauch Heimeligkeit einbringt, der den Charme und das Mysterium des Kunzeschen Textes nur noch erhöht?"Zur Bosener Gruppe gehören Autorinnen wie Gisela Bell, Hildegard Driesch, Ursula Kerber, Relinde Niederländer, Helga Schneider und Ute Zimmermann, Autoren wie Peter Eckert, Georg Fox, Bruno Hain, Jean-Louis Kieffer, Heinrich Kraus, Johannes Kühn, Thomas Liebscher, Wolfgang Ohler, Norbert Schneider, Harald Ley und Günter Speyer, sowie Liedermacher und Bühnenkünstler wie Marcel Adam, René Egles, Günther Hussong, Hans Walter Lorang. red

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