Mit jedem Fortschritt schwindet die Angst vor Annabels Zukunft

Saarbrücken. Als Annabel Hayer als Säugling nach Monaten zum ersten Mal den Kopf hebt, ist die Freude ihrer Eltern unermesslich. Lange haben Roman Hayer und Rosemarie Bick auf diesen Moment gewartet, mit Physiotherapie darauf hingearbeitet, gehofft, dass sich doch alles zum Guten wendet. Annabel hat das Down-Syndrom. Sie besitzt ein Chromosom zu viel, 47 statt 46

 Eine fröhliche Familie: Annabel Hayer beim Würfelspiel mit ihren Eltern Roman Hayer und Rosemarie Bick. Foto: Iris Maurer

Eine fröhliche Familie: Annabel Hayer beim Würfelspiel mit ihren Eltern Roman Hayer und Rosemarie Bick. Foto: Iris Maurer

Saarbrücken. Als Annabel Hayer als Säugling nach Monaten zum ersten Mal den Kopf hebt, ist die Freude ihrer Eltern unermesslich. Lange haben Roman Hayer und Rosemarie Bick auf diesen Moment gewartet, mit Physiotherapie darauf hingearbeitet, gehofft, dass sich doch alles zum Guten wendet. Annabel hat das Down-Syndrom. Sie besitzt ein Chromosom zu viel, 47 statt 46.

Da das Chromosom Nummer 21 gleich dreifach vorhanden ist, spricht man auch von einer Trisomie 21. Das Deutsche Down-Syndrom InfoCenter gibt an, dass in Deutschland jedes Jahr etwa 1200 Kinder mit Down-Syndrom zur Welt kommen. Die Wahrscheinlichkeit, ein Kind mit Trisomie 21 zu gebären, wächst mit dem Alter der Mutter. Im Gegensatz zu gesunden Säuglingen ist der Muskeltonus bei Kindern mit Down-Syndrom sehr schwach. "Normalerweise können sich Neugeborene hochziehen, wenn man ihnen die Hände reicht", sagt Roman Hayer, "aber Annabels Muskeln waren dazu nicht kräftig genug. Deswegen hat sie sehr lange gebraucht, bis sie den Kopf selbstständig heben konnte." Der niedrige Muskeltonus im Mund erschwert die Lautbildung, was den Besuch beim Logopäden unumgänglich macht.

Dort übt Annabel das Trinken mit dem Strohhalm, ein wichtiges Training für die Mundmuskulatur. "Annabel wollte sich schon sehr früh mitteilen, aber sie konnte die Wörter nicht bilden. Oft wurde sie dann wütend und hat geweint", erzählt der Vater.

Geholfen haben ihr GuK-Karten. GuK steht für Gebärden-unterstützte Kommunikation. 100 Karten zeigen wichtige Begriffe für kleine Kinder. Das kann den Spracherwerb durch Gebärden ergänzen. Annabel sei zudem selbst kreativ geworden, ergänzt Rosemarie Bick. "Für jedes Familienmitglied hat sie eine eigene Gebärde erfunden. Wenn Annabel sich auf ihren Onkel bezog, der immer die Arme vor der Brust verschränkt, hat sie ihn nicht beim Namen genannt, sondern einfach nachgeahmt."

Inzwischen ist Annabel sechs Jahre alt und baut im Wohnzimmer mit ihrem Vater eine Kugelbahn aus Holz. Im Hintergrund läuft ein Kinderhörspiel. Vom gelben Sofa schaut Rosemarie Bick zu. Sie lächelt entspannt.

"Wir haben großes Glück", sagt sie, denn anders als der Großteil der Kinder mit Down-Syndrom habe ihre Tochter keine gravierenden körperlichen Schäden wie etwa einem Herzfehler. Die 44-Jährige und ihr gleichaltriger Ehemann wussten bis eine Woche nach der Geburt nichts von der Behinderung ihrer Tochter: "Man sah es ihr nicht direkt an. Die Ärzte hatten einen Verdacht, hielten sich jedoch erst einmal bedeckt. Als sie uns die Diagnose mitteilten, standen wir unter Schock." Die Hoffnungen und Pläne aus der Schwangerschaft seien mit der Diagnose wie ein Kartenhaus zusammengebrochen, erklärt Roman Hayer. Stattdessen kam die Angst.

Die Furcht vor den Reaktionen von Verwandten und Freunden, davor dass ihr Kind niemals laufen, sprechen und lesen lernen würde. Angst, die mit jedem Fortschritt kleiner wird, den Annabel macht.

Das Engagement in der Elterninitiative Saar21 Down-Syndrom Saarland half Rosemarie Bick, den Schock zu überwinden. Den Verein hat sie 2006 mitbegründet. Er vertritt die Interessen von Menschen mit Down-Syndrom und ihrer Angehörigen.

Ziel ist es, die Eltern nach der Diagnose zu informieren, ihnen Befürchtungen zu nehmen und zu zeigen, dass das Down-Syndrom vieles bedeutet, nur eines nicht: ein Leben als Außenseiter. Annabel ist seit drei Jahren in einem Regelkindergarten. Nächstes Jahr soll sie eingeschult werden, sie steht auf der Interessentenliste für eine Montessori-Grundschule.

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