Weiskircher kämpft für Schwulen-RechteBundesjustizministerin ernennt Saarländer zum Stiftungschef

Wo wird Aufklärung gegen Homophobie stärker gebraucht - in der Stadt oder auf dem Land?Litwinschuh: Diskriminierungen und brutale Schwulen-, Lesben- und Transsexuellen-Feindlichkeit gibt es in den Großstädten und auf dem Land. Wir haben in den großen Ballungszentren wie Berlin, Hamburg, Köln-Düsseldorf, Frankfurt und München schon einiges erreicht

Wo wird Aufklärung gegen Homophobie stärker gebraucht - in der Stadt oder auf dem Land?Litwinschuh: Diskriminierungen und brutale Schwulen-, Lesben- und Transsexuellen-Feindlichkeit gibt es in den Großstädten und auf dem Land. Wir haben in den großen Ballungszentren wie Berlin, Hamburg, Köln-Düsseldorf, Frankfurt und München schon einiges erreicht. Es gibt ermutigende Beispiele, wie offen Schwule und Lesben heute leben können. Das hängt weniger von den Regionen ab, sondern von den Menschen und der Sichtbarkeit von Homosexuellen vor Ort. Aufklärungsbedarf sehe ich insbesondere an den Schulen. Das Lernen sollte aber niemals aufhören. Auch in den Unternehmen ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.

Wieso hat es dann so lange gedauert, bis die Stiftung an den Start ging?

Litwinschuh: Die Idee für eine Magnus-Hirschfeld-Stiftung ist in der Tat mehr als zehn Jahre alt. Sie geht nicht - wie manche Leute kolportieren - auf Parteien wie zum Beispiel die Grünen oder Homosexuellenverbände wie beispielsweise den Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) zurück: Schwule Historiker hatten schon Ende der 1990er-Jahre das Ziel, eine solche Stiftung zu initiieren. Der LSVD und die Grünen haben die Idee aufgegriffen und professionell für diese Stiftung gekämpft. Rot-Grün konnte sie aber nicht im Bundesrat durchsetzen. Nun hat es endlich unter einer schwarz-gelben Koalition funktioniert. Ich habe in den vergangenen sechs Jahren ehrenamtlich dafür gekämpft, dass die Stiftung einen anderen Schwerpunkt erhält - nämlich die Förderung von Wissenschaft und Bildung.

Bedarf es dazu noch einer weiteren Institution, die sich mit Fragen zur Homosexualität beschäftigt? Schließlich gibt es beispielsweise auf Landesebene zahlreiche Organisationen wie den LSVD, die Schwusos (SPD) oder die LiSL (FDP). Darüber hinaus haben sich Homosexuelle in Standesvertretungen zusammengetan, unter anderem gibt es für schwule Führungskräfte den Völklinger Kreis Bundesverband Gay Manager.

Litwinschuh: Es gibt in Deutschland eine sehr vielfältige Vereins- und Verbandslandschaft für Homosexuelle. Und das ist auch gut so. Meine Aufgabe ist es, diese Vereine sowie weitere Projekte ideell, finanziell und auf andere Art und Weise zu unterstützen. Daher geht es hier nicht um einen Wettbewerb mit diesen Organisationen und Gruppen, sondern um eine verstärkte Netzwerkbildung und Zusammenarbeit.

Wie wollen Sie das mit dem überschaubaren Startkapital bewerkstelligen?

Litwinschuh: Eine Stiftung wie die Magnus-Hirschfeld-Stiftung mit anfangs zehn Millionen Euro Vermögen kann mit den zirka 200 000 bis 300 000 Euro pro Jahr keine großen Sprünge machen. Hier ist viel Kreativität aller Beteiligten gefordert, wie man die Mittel erhöhen kann. Als einer meiner ersten Amtshandlungen habe ich Vorstände von Dax-Konzernen wie der Deutschen Telekom sowie den Regierenden Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit, um ein Gespräch gebeten, um Förderungen, weiteres Stiftungsgeld und weitere Möglichkeiten der Kooperation auszuloten.

Und Ihre persönliche Aufgabe?

Litwinschuh: Ich bin quasi der Leiter. Aktuell baue ich die Geschäftsstelle in Berlin auf, arbeite an der Geschäftsordnung und dem Stiftungsprogramm. Zudem mache ich meine Antrittsbesuche bei den Mitgliedern des zukünftigen Kuratoriums und des Fachbeirats. Anfang 2012 sollen beiden Organe das erste Mal tagen. Das Kuratorium fällt die maßgeblichen Beschlüsse der Stiftung. Mein zukünftiges Team und ich führen diese Beschlüsse aus.

Wie sind Sie dazu gekommen?

Jörg Litwinschuh: Ich habe mich für diese Stelle beworben. Das Bundesjustizministerium hat die Bewerbungsgespräche geführt, da es die Bundesregierung in der Stiftung vertritt. Es freut mich sehr, dass die Wahl auf mich gefallen ist und die Regierungsparteien CDU und FDP bewusst einen parteilosen Mann wie mich unterstützt haben. Das erleichtert meinen Start als Vorstand, der integrieren und für die gesamte schwule, lesbische und transsexuelle Community da sein will.

War es Voraussetzung, schwul zu sein, um den Posten zu erhalten?

Litwinschuh: Das war sicher keine Voraussetzung, denn das wäre ja eine Diskriminierung heterosexueller Bewerber. Ich stehe offen zu meinem Schwulsein und bin ein bundesweit gut vernetzter Aktivist für die Belange von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und nun auch für trans- und intersexuellen Menschen. Dies waren sicher keine schlechten Voraussetzungen für den Posten.

Gibt es eigentlich in der Politik Beispiele für Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit?

Litwinschuh: Schwulenfeindlich zu sein, gilt ja als nicht politisch korrekt. Daher halten sich homophobe Politiker - mit Ausnahme der Rechtsradikalen - meist zurück. Aber es gibt andere Möglichkeiten, Homosexuelle zu diskriminieren. Die Möglichkeiten des Antidiskriminierungsgesetzes müssen hier viel konsequenter angewandt werden. Auch die Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften mit der Ehe im Steuerrecht ist längst überfällig. Ich wünsche mir auch das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare. Das ist aber noch ein langer Weg. Hier mauern nicht nur Politiker, sondern auch einige Kirchen.

Lesbischsein ist leider stärker tabuisiert als das Schwulsein. Es gibt nur wenige lesbische Prominente, die sich geoutet haben. Daher fehlen auch vielen lesbischen Mädchen die Vorbilder. Wir brauchen mehr von diesen Frauen wie Hella von Sinnen, Anne Will, Ulrike Folkerts, Maren Kroymann oder Alice Schwarzer, die sich erst sehr spät zu ihrem Lesbischsein bekannt hat.

Die Stiftung möchte durch Aktionen auch versteckt lebende Lesben in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ermutigen, aus dem Schrank heraus zu kommen und zu sich zu stehen. Das befreit enorm - siehe Klaus Wowereit und Co.

Wie steht's mit der Kirche?

Litwinschuh: Mit den Kirchen möchte ich in einen Dialog treten. Meine Kritik an dem Umgang der katholischen Kirche zum Beispiel mit Frauen und Homosexuellen ist hinlänglich bekannt.

Vor einigen Wochen habe ich mich entschieden, in nächster Zeit Mitglied der evangelischen Kirche zu werden.Berlin. Vorsitzender der neuen Berliner Bundesstiftung Magnus Hirschfeld ist Jörg Litwinschuh. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ernannte den 43-Jährigen zum Chef der Ende Oktober gegründeten Einrichtung. "Die Stiftung kann jetzt ihre Arbeit aufnehmen. Das Forschungs- und Bildungsprogramm der neuen Stiftung wird einen wichtigen Beitrag für die Offenheit der Gesellschaft leisten", sagte sie bei der Überreichung der Ernennungsurkunde.

Die Stiftung werde durch Bildung und Forschung einen Beitrag gegen die Diskriminierung Homosexueller leisten, kündigte anschließend der Bundestagsabgeordnete Michael Kauch (FDP) an, der auch künftig Kuratoriumsmitglied der Stiftung ist. Kauch: "Damit wollen wir die Köpfe der Menschen erreichen, statt nur Antidiskriminierungsgesetze zu verabschieden." hgn

"Schwulen-

feindlich zu sein, gilt ja als nicht politisch korrekt. Daher halten sich homophobe Politiker - mit Ausnahme der Rechtsradi-

kalen - meist zurück."

Jörg Litwinschuh

Zur Person

Jörg Litwinschuh, 1968 in Weiskirchen geboren, besuchte das Hochwald-Gymnasium (HWG) in Wadern. In Hannover studierte er Medienmanagement (1990 - 95). Anschließend arbeitete der Diplom-Medienwissenschaftler unter anderem als Bereichsleiter in Marketing und Vertrieb bei der Kaufhof-Warenhaus-AG/Metro Group in Köln.

Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD), Landesverband Berlin-Brandenburg, war er ab 2002.

Als selbstständiger Kommunikationsberater arbeitete er seit 2005 bis zu seiner Ernennung zum Vorsitzenden der Magnus-Hirschfeld-Bundesstiftung.

Für die Deutsche Aids-Hilfe (DAH) war Litwinschuh von 2007 bis 2010 als Berater tätig, die letzten beiden Jahre davon als Pressesprecher.

Der Parteilose lebt mit Partner in Berlin. hgn

Hintergrund

Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld: Schon 2000 beschäftigte sich der Bundestag mit ihr. Am 31. August dieses Jahres stimmte das Bundeskabinett der Gründung zu. Das Startkapital beträgt zehn Millionen Euro. Der Bundestag, fünf Bundesministerien sowie weitere Organisatoren benennen ihr Kuratorium sowie den Vorsitzenden. Die Amtszeit beträgt fünf Jahre.

Aufgabe: Die Stiftung soll mit einem Bildungs- und Forschungsprogramm die Diskriminierung Homosexueller und Transgender (nicht einem Geschlecht sich zugehörig fühlend) bekämpfen. Zudem soll sie geschichtlich die Gräueltaten an Schwulen und Lesben während des Dritten Reiches aufarbeiten und die Erinnerung an den Namensgeber wach halten.

Namensgeber ist der deutsche Sexualforscher Dr. Magnus Hirschfeld (1868 - 1935). Er gilt als Pionier der Sexualforschung. Außerdem ist er Mitbegründer der Homosexuellenbewegung. Der Mediziner kämpfte mit einer Petition gegen den Paragrafen 175 im Strafgesetzbuch, der Sexpraktiken zwischen Männern unter Strafe stellte - allerdings erfolglos. Erst 1994 wurde er nach einigen Änderungen komplett gestrichen.

Das Institut für Sexualwissenschaft eröffnete Hirschfeld 1919. 1931 nahm er Einladungen zu Vorträgen unter anderem in Nordamerika an. Danach kehrte er wegen drohender Gefahren durch die Nationalsozialisten nicht nach Deutschland zurück.

Nazis ließen 1933 sein Berliner Institut schließen, Studenten plünderten und zerstörten es schließlich.

Hirschfeld starb 1935 im südfranzösischen Nizza.

Kritiker werfen ihm vor, der nationalsozialistischen Politik nicht entschieden widersprochen zu haben. Diese bezog sich darauf, die Fortpflanzung Geisteskranker zu unterbinden. Ebenso die von Homosexuellen, da ein Gendefekt vorliege. Deshalb brächten auch sie laut Hirschfeld nur Geistesschwache hervor. red/hgn

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