Austausch steht im Vordergrund"Der Umgang mit Diabetes ist heute deutlich entspannter"

Weiskirchen. Es brummt und piepst in der Halle. Die Teilnehmer sitzen auf den Bänken in der Turnhalle der Regenbogen-Grundschule in Wehrden. Die Manschetten der Messgeräte fest um die Arme geschlungen, fast schon andächtig. "Der Blutdruck ist ein bisschen höher als letzte Woche." Oder: "Der Zucker ist in Ordnung", hört man manchen sagen. Dann wird alles notiert

Weiskirchen. Es brummt und piepst in der Halle. Die Teilnehmer sitzen auf den Bänken in der Turnhalle der Regenbogen-Grundschule in Wehrden. Die Manschetten der Messgeräte fest um die Arme geschlungen, fast schon andächtig. "Der Blutdruck ist ein bisschen höher als letzte Woche." Oder: "Der Zucker ist in Ordnung", hört man manchen sagen. Dann wird alles notiert. "Vor und nach dem Training messen wir den Blutdruck und den Blutzucker. Erst dann entscheidet die Übungsleiterin, wer mitmachen kann", sagt Werner Kronser, der Vorsitzende der Diabetiker-Sportgruppe Saarland. Kronser selbst hat auch nachgemessen. Die Werte sind in Ordnung. So in Ordnung, wie Werte mit Typ 2 Diabetes eben sein können. Hier sind alle Teilnehmer Typ 2, wie Kronser erklärt: "Typ 1 Diabetes haben viele junge Menschen. Die sind schwer in eine solche Gruppe zu kriegen. Viele sind über 60." Das Training beginnt mit leichtem Warmlaufen, aufgelockert mit ein paar Tanzschritten zu Musik. Dann klagt die erste Teilnehmerin über Schwindelgefühle. Übungsleiterin Margit Kleber nimmt das Tempo zurück: "Jetzt machen wir erst einmal ein paar Atemübungen. Das schadet dem Rest auch nicht." Es kommt auf Sensibilität an. Nicht auf Sensibilität gegenüber der Krankheit - hier spricht jeder offen darüber - sondern auf Sensibilität gegenüber dem Befinden der Teilnehmer. Kleber ist als Reha-Sport-Fachübungsleiterin dazu ausgebildet. "Man muss auch bei der Übungsauswahl aufpassen", sagt sie, "denn viele leiden an Folgeerkrankungen wie Neuropathien oder Coronar-Beschwerden." Doch diese fachkundige Leitung hat ihren Preis. Im Zuge der letzten Gesundheitsreform wurde der Diabetiker-Sportgruppe der Selbsthilfestatus aberkannt, was zum Verlust der Fördermittel der Krankenkasse führte. "Weil wir uns im Rahmen der geforderten Qualitätssicherung eine Fachübungsleiterin eingestellt haben, wurden uns die Zuschüsse gestrichen. Das ist doch blanker Hohn", sagt Werner Kronser und ärgert sich immer noch: "Die Leute sollen zuhause Sport treiben. Aber wer macht das denn? Wer so lange keinen Sport getrieben hat, fängt alleine wohl kaum an." 60 000 Diabetes-Kranke sind im Saarland registriert. 50 davon sind in einer Diabetiker-Sportgruppe. Zwar gab es auch Ansätze, in anderen Teilen des Saarlandes neben Völklingen und Weiskirchen, weitere Gruppen zu gründen, doch dieses Vorhaben scheiterte laut Werner Kronser an der geringen Nachfrage. Dabei spielt vor allem das Miteinander und der Austausch der Betroffenen eine wichtige Rolle: "Es geht um das soziale, darum, sich ohne Zurückhaltung und mit ähnlichem Wissensstand über die Krankheit austauschen zu können." So hält auch alle drei Wochen ein Arzt einen kurzen Vortrag über verschiedene Aspekte der Erkrankung - mal mit vorgegebenem Thema, mal auf Anregung von Teilnehmern. Auch deshalb war die Freude über die "Wertschätzung unserer Arbeit" durch die Bronzemedaille bei "Sterne des Sports" "unglaublich groß. Gerade weil es eben nicht um den sportlichen, sondern um den sozialen Teil ging", so Kronser. Und besonders nach Streichung der Fördermittel der Krankenkassen tat das Preisgeld gut. Denn es gebe zwar auch Nachfragen von Pharma-Firmen, aber das schließt Kronser aus: "Wir wollen unabhängig bleiben." Denn es gehe auch um eine Therapie neben der Medikamentierung. Weiskirchen. "Es geht mir um die Bewegung und die Gesellschaft." Elke Thiel (65) aus Weiskirchen ist seit zehn Jahren Mitglied in der Diabetes-Sportgruppe Saarland. Vor zwölf Jahren wurde bei ihr Diabetes diagnostiziert. Sie suchte ganz bewusst den Austausch mit anderen Betroffenen: "Man fragt dann schon einmal, was der andere für ein Medikament nimmt, wie er mit diesen oder jenen Beschwerden umgeht." Dabei spielt die Sicherheit, die die fachgerechte Betreuung im gemeinsamen Training bietet, eine große Rolle, sagt Thiel: "Wir sind gut eingerichtet. Einige können reanimieren und wir haben eine kleine Apotheke." Seit einiger Zeit hat jeder Teilnehmer ein Informationsblatt bei sich, damit für den Fall der Fälle der Notarzt entsprechend informiert ist. Doch trotz des Ernstes, den der Umgang mit der Krankheit erfordert, "können wir auch lustig sein". Dabei hat Thiel in den letzten Jahrzehnten eine Veränderung bemerkt: "Früher als Kind sind viele zurückgeschreckt, wenn man das Wort zuckerkrank hörte. Heute ist der Umgang deutlich entspannter." jbö "Wer lange keinen Sport getrieben hat, fängt alleine wohl kaum an."Werner Kronser

HintergrundDiabetes Typ 2: Im Gegensatz zu Typ 1 Diabetes tritt Typ 2 erst im höheren Alter auf. Hierbei ist zwar Insulin vorhanden, gelangt aber nur unzureichend in die Zellmembrane. Neben einer genetischen Veranlagung ist es vor allem Fehlernährung, die zu einer Insulinresistenz führt. Mindestens fünf Millionen Erkrankte gibt es in Deutschland. Sport und Diabetes: Sport bietet neben der medikamentösen Behandlung weitreichende Vorteile für Diabetes-Patienten und wird von einigen Ärzten als zwingend notwendig für eine erfolgreiche Therapie angesehen. So senkt Sport den Blutzuckerspiegel im Laufe des Trainings deutlich. Durch die verbesserte Koordination wird weniger Kraft und Energie für alltägliche Aufgaben benötigt. Zudem kann Folgeerkrankungen wie Herzbeschwerden lindernd entgegen gewirkt werden. Und muskuläre Disbalancen, die durch jahrelanges Übergewicht auftreten, können ausgeglichen werden. Kontakt: Diabetiker-Sportgruppe Saarland (Völklingen und Weiskirchen): Werner Kronser (1. Vorsitzender) Telefon (0 68 09) 13 52; Internet: www.dss-saarland.de; Trainingszeiten und Orte: in Völklingen montags von 18 bis 19.30 Uhr, Sporthalle der Regenbogengrundschule in Wehrden; in Weiskirchen dienstags von 18 bis 19.30 Uhr in der Sporthalle der Klinik Weiskirchen. jbö

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