Schloss Dagstuhl: Wahlforschung mit Informatik So hilft die Informatik der Wahlforschung

Dagstuhl · Auf Schloss Dagstuhl sprachen führende Wissenschaftler aus aller Welt über die algorithmische Sozialwahltheorie.

 Das Leibniz-Institut für Informatik auf Schloss Dagstuhl zieht regelmäßig Wissenschaftler aus aller Welt an.

Das Leibniz-Institut für Informatik auf Schloss Dagstuhl zieht regelmäßig Wissenschaftler aus aller Welt an.

Foto: SZ/Jennifer Back

„Mithilfe der Methoden der Informatik Wahlen erforschen“

– dieses Thema führte vor Kurzem Forscher aus aller Welt auf Schloss Dagstuhl, dem Leibniz-Institut für Informatik, zusammen.
Ihr Forschungsgegenstand, die algorithmische Sozialwahltheorie, wendet modernste Informatikforschung auf die Frage an, welchen Einfluss Wahlsysteme auf das Ergebnis einer Wahl haben. Also versammelten sich im nördlichen Saarland Informatiker, Wirtschaftswissenschaftler und Politikwissenschaftler aus 14 Ländern von vier  Kontinenten, um über Wahlregeln zu diskutieren. Sie befassten sich für eine Woche mit theoretischen und praktischen Fragen dieses Forschungsfeldes. Es umfasst dabei sowohl politische Wahlen als auch unterschiedliche Wahlen in Gesellschaften und Fachverbänden. Selbst die Entscheidungsfindung durch vernetzte Computer gehört dazu, etwa bei Entscheidungen darüber, welche Antwort eine Internet-Suchmaschine gibt.
Die Anfälligkeit von Wahlen für legale Manipulationen wurde auch thematisiert: Wähler können manchmal ein besseres Ergebnis erzielen, wenn sie die Umfragen berücksichtigen. Hat ein Kandidat keine Chance gewählt zu werden, könnten seine Unterstützer jemand anderen wählen. Sie könnten ihre Stimme etwa einem ähnlichen Kandidaten geben, der aber noch eine Chance hat, gewählt zu werden. Das ist es, was nach Meinung der Fachleute bei Bundestagswahlen hinter Erststimmenkampagnen steckt.

Wähler passen sich eben der Art des Wahlsystems an, mit dem sie konfrontiert werden, so die Einschätzung der Experten. Deshalb haben  laut ihnen Wahlsysteme einen Einfluss darauf, wie Kandidaten ihren Wahlkampf ausrichten und wer am Ende gewinnt. Als Beispiel führen sie die letzte Präsidentschaftswahl in den USA an. Dort hat Donald Trump beispielsweise die direkte Wahl verloren, aber im Wahlmännergremium gewonnen. Wenn die Vereinigten Staaten ein anderes Wahlsystem hätten, wären wohl andere Wahlkampfstrategien verwendet worden, vielleicht gäbe es sogar einen anderen Gewinner.

Im theoretischen Bereich des Dagstuhl Seminars gingen Piotr Skowron (Universität Oxford, UK) und Marc Kilgour (Wilfrid Laurier Universität, Kanada) der Fragestellung nach, welches je nach Kontext die beste Regel ist, um eine Gruppe auszuwählen. Die Eigenschaften, die eine gewählte Gruppe aufweisen sollte, unterscheiden sich immens – je nachdem, ob beispielsweise ein Parlament oder eine Gruppe von Finalisten in einem Wettbewerb zu wählen ist. Ein Parlament sollte etwa repräsentativ für die Vielfalt der Gesellschaft sein und die einzelnen Parteien sollten proportional repräsentiert sein, meinen die Fachleute. Im Falle einer Menge von Finalisten hingegen sollte ausschließlich die Exzellenz der gewählten Finalisten eine Rolle spielen und nicht die Vielfalt. Ein weiterer Unterschied ist die Zahl der zu Wählenden: Die Anzahl der Parlamentsmitglieder ist ein vorher relativ festgelegter Wert, wohingegen die Anzahl der Finalisten manchmal auch von ihrer Qualität abhängt.
Als praxisorientierte Anwendung befasste sich Bernard Grofman (Universität Kalifornien, Irvine) mit der Frage, wie die Grenzen von Wahlbezirken in den Vereinigten Staaten von Amerika gezogen werden. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er dabei dem Problem der manipulierenden Wahlbezirkseinteilung, dem berüchtigten Gerrymandering, bezüglich Parteianhängern oder bezüglich unterschiedlicher Ethnien. Informatik kann dabei helfen, um zu testen, ob eine verfassungswidrige Wahlbezirkseinteilung vorliegt. Grofman hat die Einteilung in den USA auch mit der in anderen Ländern verglichen.

Vincent Merlin (Universität Caen, Frankreich) beschäftigt sich mit der Literatur zum Design von Wahlmechanismen für einen Rat oder ein Komitee in einer föderalen Vereinigung. Eine praktische Anwendung ist die Auswahl einer Wahlregel in einem EU Ministerrat: Welches Gewicht sollten die einzelnen Repräsentanten erhalten, und welche Quote sollte für eine Entscheidung gewählt werden? Hierbei müssen Fairnesskriterien beachtet werden. Die Antwort auf solche Fragen hängt wiederum davon ab, welche Annahmen man über das Wahlverhalten macht, sagen die Experten.
Während des Seminars wurden in einem ständigen Austausch zwischen Theorie und Praxis die Themen Diversität, Proportionalität und ethische Fragestellungen behandelt. Die Theorie stellte dabei die Instrumente bereit, um einen Einblick in die Realität zu erhalten. Zur gleichen Zeit tragen die Resultate, die durch Anwendung dieser Werkzeuge entstehen, zu einem besseren Verständnis und zur weiteren Entwicklung dieser Instrumente bei.

Weitere Infos zu dem Seminar gibt es unter www.dagstuhl.de/17261.

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