Jörg Lohrig im Interview Warum der Rothirsch Triebe frisst, obwohl er Gras viel lieber mag

Der Leiter der Rotwild-Hegegemeinschaft Saarländischer Hochwald spricht über deren Aufgaben sowie die Lebensräume und -weise des Rothirschs.

 Jörg Lohrig

Jörg Lohrig

Foto: eb

Der Rothirsch hat fast die Größe eines Pferdes. Können Spaziergänger diesen Tieren im nördlichen Saarland noch begegnen?

LOHRIG Die Chance, einen Rothirsch tagsüber in Anblick zu bekommen, ist äußerst gering. Die Tiere, die ursprünglich die offene Landschaft besiedelten, wurden und werden immer mehr in den Wald gedrängt. Ursache hierfür ist einerseits die immer weiter fortschreitende Zersiedlung unserer Landschaft, andererseits die ständige Nutzung der Lebensräume, des Offenlandes, aber auch des Waldes durch die wirtschaftliche Nutzung, Freizeitaktivitäten rund um die Uhr und auch die Jagd.

Was ist eine Hegegemeinschaft und welche Aufgaben erfüllt sie?

LOHRIG Die Rotwild-Hegegemeinschaft Saarländischer Hochwald ist eine privatrechtliche Vereinigung der Jagdausübungsberechtigten, in deren Revieren Rotwild vorkommt. In unserem Fall sind das 64 Reviere mit zirka 21 000 Hektar Wald- und Feldfläche. Aufgaben der Hegegemeinschaft sind unter anderem die Ermittlung des vorhandenen Rothirschbestandes durch Beobachtungen und Schätzungen während des gesamten Jahres gemeinsam mit den Rotwildrevieren. In der Wildbiologie wird dies heute als Wildtiermonitoring bezeichnet. Weiterhin stellt die Rotwild-Hegegemeinschaft einen Gesamtabschussplan auf, der auf die Reviere zu verteilen ist. Dies geschieht unter der Prämisse, einen den landeskulturellen Verhältnissen angepassten, gesunden Wildbestand sicherzustellen. Hierbei sind aber auch die berechtigten Interessen der Landnutzer zu berücksichtigen. Weiterhin berät die Rotwild-Hegegemeinschaft die zuständigen Jagdbehörden in allen Fragen der Rotwildbewirtschaftung.

Warum kommt es trotzdem zum Beispiel zu Schäden am Wald und wie werden diese verursacht?

LOHRIG Grundsätzlich spricht man von Waldwildschäden, wenn es sich um den übermäßigen Verbiss von jungen Baumtrieben handelt, oder von Schälen, wenn die Tiere die Rinde von Bäumen abnagen. Von Schäden spricht man, wenn die Tiere dies in Wirtschaftswäldern tun. Das massive Schädigen von Wirtschaftswald gehört nicht zum natürlichen Verhalten von Rotwild. Vor allem hat der Mensch dieses geänderte Verhalten über Jahrhunderte hervorgerufen. Klar ist, dass der Rothirsch am liebsten Gras frisst, wenn man ihn lässt. Wenn nun die Tiere im Offenland oder an Waldrändern und Lichtungen immer wieder gestört werden, so ziehen sie sich von den Wiesen in dichte Wälder zurück und fressen dort die jungen Triebe, obwohl sie diese eigentlich weniger mögen als frisches Gras. Die Situation lässt sich auf den Menschen übertragen. Sie werden zu einem prächtigen Büffet eingeladen, und jedes Mal, wenn Sie mit Ihrem Teller dort stehen, schreit der Wirt „Bombenalarm“. Hier muss darauf geachtet werden, einerseits die Schäden zu minimieren, andererseits den Tieren ein artgerechtes Leben zu ermöglichen. Eine nicht einfache Aufgabe.

Wie viele Hirsche leben noch im Saarland?

LOHRIG Wir schätzen einen Frühjahrswildbestand von etwa 300 Tieren. Rothirsche im Saarland leben derzeit nur noch in den Kreisen Merzig-Wadern und St. Wendel in den geschlossenen Waldgebieten des Hochwaldes. Ab und an stellen wir jahreszeitlich bedingte Wanderbewegungen bei jungen männlichen Tieren in die gehölz- und waldreiche Kulturlandschaft der Merziger Muschelkalkplatte und des mittleren Saartals fest. Weiterhin konnte in den vergangenen Jahren vereinzelt im Gebiet des Wenzelsteins und Handenbergs bei Primstal sowie der Langheck bei Überroth Rotwild nachgewiesen werden. Hier unterstützen die Jäger vor Ort und Mitglieder von Naturschutzverbänden das Monitoring der Hegegemeinschaft durch Zuarbeit und Kooperation. Es handelt sich bei den vorgenannten Nachweisen außerhalb des geschlossenen Hochwaldgürtels um junge Hirsche oder kleine Familienverbände, bestehend aus einem Muttertier, dem vorjährigen Kalb und dem Kalb des Sichtungsjahres. Von einer dauerhaften Präsenz des Rotwildes in diesen Lebensräumen kann aber nicht gesprochen werden. Wir als Hegegemeinschaft stehen vor wachsenden Anforderungen und brauchen einen fundierten Rotwildplan. Als Zielsetzung ist zum einen die Sicherung der Ansprüche des Rotwildes und zum anderen der Interessenausgleich auf der Seite der beteiligten Menschen zu nennen. Hier werden wir anstreben, in Zukunft eng mit lokalen Interessengruppen, zum Beispiel dem Naturschutz, der Land- und Fortwirtschaft und dem Tourismus zusammenzuarbeiten.

Eine Mammutaufgabe?

LOHRIG Ich halte es mit meinem Großvater, der immer gesagt hat: „Mit den Kühen fährt man, mit den Menschen spricht man.“

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